Sport und Chemie sind meine Fächer und ich halte mich für einen guten Lehrer. Nicht zuletzt, weil ich mit dem Sport auch eine Mission verfolge: Den jungen Leuten die Freude an der Bewegung als Grundlage eines gesunden Lebens zu vermitteln, — es gibt sicher schlechtere Motive. Höhepunkte des Schuljahres waren für mich die Skilager mit den neunten und elften Klassen in einer Hütte in Österreich. Doch leider gewann in den letzten Jahren eine Entwicklung an Fahrt, die mir diesen Job zunehmend vermieste. Die Vorgespräche mit den Eltern über Sicherheit, Unfallgefahr, Unterkunft, Ausrüstung etc. waren immer schon schwierig, aber noch tolerabel. Mit den manchmal bedrohlich vorgetragenen Forderungen nach bestimmten Ernährungsvorschriften stoßen der Hüttenwirt und ich dagegen an Grenzen. Jedes Jahr muss ich mich mit neuen Anomalien und Krankheiten beschäftigen, die im klinischen Wörterbuch aus der Schulbücherei (noch) nicht zu finden sind. Zum Glück gibt es Doktor Google. — Zwar selten eine Lösung, aber immerhin Hilfe für die Gespräche.

Essen „free from everything“?

Diabetes, Zöliakie, Allergien, daran bin ich gewöhnt und diese Probleme tauchten auch nur selten auf. Schwieriger ist es schon mit den religiösen Vorschriften. Bei Forderungen nach koscherer Kost oder Mahlzeiten ohne Schweinefleisch spielte der Hüttenwirt aber nicht mit und oft blieben diese Kinder zuhause. Richtig schwierig wird es mit Laktoseintoleranz, weichen und harten gesundheitlich oder ethisch motivierten Veganern, wahlweise ovo-lakto oder flexitarisch, ketogener Diät, Weizenunverträglichkeit, Verfechtern von „low carb“ oder „high carb“, Paleo-Ernährung oder Veggie-Days, den verschiedenen „free froms“, was sich auf fast alles beziehen kann. Vielleicht „free from everything“? Aber irgendwas brauchen die Kinder doch. Die Essstörung „Orthorexia nervosa“ ist zwar schulmedizinisch noch nicht anerkannt, aber die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie charakterisiert sie als gegeben bei Menschen, die „vom gesunden Essen besessen“ seien. Das kann zwanghafte Züge bekommen, eine Übertretung der Vorgaben geht jedenfalls mit Schuldgefühlen und Angst einher. Genau die richtigen Voraussetzungen für einen fröhlichen Aufenthalt einer Schülergruppe auf der Skihütte! Mir wird der Umgang mit den fanatischen Selbstoptimierern zu anstrengend und ich habe beschlossen, zukünftig als Fitnesstrainer auf Kreuzfahrtschiffen und als Tennis- und Golflehrer in Feriendörfern zu arbeiten. Da sind zum Glück andere für das Essen verantwortlich und nicht ich. Den letzten Anstoß dazu gab der alte Hüttenwert mit seinem Spruch: „Und wenn man sich noch so richtig ernährt, landet man irgendwann in der langen Kiste.“

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