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Typ-2-Diabetes wird mit Antidiabetika behandelt und im DMP honoriert — gute Gründe, nichts zu ändern...

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Als vor über einem Jahr die Arbeitsgruppe von Professor Roy Taylor aus Newcastle in England die Ergebnisse der DiRECT-Studie veröffentlichte, war die Fachwelt erstaunt. Es wurde damit nämlich ein „Glaubenssatz“ der Diabetologie pulverisiert: „Einmal Diabetes — immer Diabetes“, das gilt seither nicht mehr.

Für die Studie in 49 Hausarztpraxen hatte man 298 übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes und einer mittleren Erkrankungsdauer von 3 Jahren entweder mit einer flüssigen Mahlzeiten-Ersatztherapie (< 900 kcal/Tag) über drei bis fünf Monate versorgt oder einer Standardberatung. Die Patienten sollten dabei 15 kg an Gewicht verlieren. Im Mittel hat die Interventionsgruppe nach einem Jahr 10 kg Gewicht verloren, in der Kontrollgruppe war es nur 1 kg. Der Erfolg dieser radikalen Maßnahme nach einem Jahr: 46 % der Patienten in der Interventionsgruppe hatten eine klinische Diabetesremissionen im Vergleich zu 4 % in der Kontrollgruppe. Von den Teilnehmern mit einem Gewichtsverlust von mehr als 15 kg hatten sogar 89 % eine Remission.

Kritik erst einmal entkräftet

Die Kritik an dieser Studie ließ nicht lange auf sich warten, besonders die kurze Beobachtungsdauer von nur einem Jahr wurde angeführt. Vor Kurzem hat die Arbeitsgruppe aber nun die Zweijahresergebnisse publiziert (s. Journalclubbeitrag in diesem Heft). Diese zeigen, dass sich weiterhin 36 % der Teilnehmer in der Interventionsgruppe in einer klinischen Remission befinden, verglichen mit 3 % in der Kontrollgruppe. Teilnehmer der Kontrollgruppe hatten immer noch im Schnitt 5,4 kg weniger ihres Ursprungsgewichts verloren, und das HbA1c lag bei ihnen im Schnitt 0,44 %punkte höher als in der Interventionsgruppe (beide Ergebnisse sind statistisch hochsignifikant!).

Die bessere Stoffwechseleinstellung ist bemerkenswert: Denn in der gesamten Interventionsgruppe wurden nur 40 % mit Antidiabetika behandelt, im Vergleich zu 84 % in der Kontrollgruppe. Weitere Analysen ergaben eine Remissionsrate von 64 % bei den Teilnehmern, die ein um mindestens 10 kg reduziertes Gewicht weiter bewahren konnten. Damit wurde erstmals gezeigt, dass klinischen Remissionen bei über einem Drittel der Typ-2-Diabetiker langfristig möglich sind, wenn sie erst drei Jahre erkrankt waren.

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Prof. Dr. med. Stephan Martin

Verbund der Katholischen Kliniken Düsseldorf (VKKD), Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ) Hohensandweg 37, 40591 Düsseldorf Stephan.Martin@ vkkd-kliniken.de

Der britische Arzt Sir Muir Gray bezeichnet Typ-2-Diabetes als „walking deficiency syndrome“, was prinzipiell mit der DiRECT-Studie bestätigt wird. Gray warnt vor Begriffen wie Typ-2-Diabetes oder metabolisches Syndrom (“they make you think it’s like rheumatoid arthritis or a real disease”).

Mehr Anreize für Prävention!

Entsprechend sollte in allen Bereichen des Gesundheitswesens umgedacht werden: Die Politik muss mehr Anreize für die Prävention schaffen. Stattdessen wird Typ-2-Diabetes finanziell belohnt, weil Krankenkassen für Patienten hohe Zuwendungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gezahlt werden. Diese würden bei klinischen Remissionen natürlich ausbleiben: ein finanzieller Schaden für die Kassen.

Programme werden daher nicht gefördert, weil Krankenkassen entsprechende Verluste mit einrechnen müssten. Ein Patient in klinischer Remission fällt zudem aus dem DMP Typ-2-Diabetes, was zu Einbußen in den extrabudgetären DMP-Pauschalen bei Ärzten führen würde.

Und wenn aktuell ein engagierter Patient durch Lebensstil-Änderung eine Insulintherapie beenden kann, wird er dafür bestraft, weil er anschließend seine Blutzucker-Teststreifen aus eigener Tasche bezahlen muss. Die Daten der DiRECT Studie sind überzeugend.

Für Deutschland aber gilt offenbar weiterhin: Heilung ist eher unerwünscht!