Hintergrund und Fragestellung: Als akutes Lungenversagen („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) werden entzündliche Lungenschädigungen bezeichnet, die über die akut aufgetretene Hypoxämie mit einer verminderten Lungencompliance und beidseitigen Lungeninfiltraten im Röntgenbild charakterisiert sind. Die Sterblichkeit bei ARDS ist hoch. Ein enges Zusammenspiel von primärer Lungenschädigung und zusätzlicher Barotraumata infolge der maschinellen Beatmung mit einer sekundären Lungenschädigung gilt als gesichert. Eine lungenprotektive Beatmung bestehend aus den Komponenten niedriges Tidalvolumen und Begrenzung des Plateaudrucks hat sich daher als Standardtherapie fest etabliert. Je nach Verlauf ist eine frühe (Beginn nach 12 bis 24 h) Bauchlagerung für mind. 16 h empfohlen. Schon vor mehr als 10 Jahren konnte in einer Studie eine weitere Reduktion des Barotraumas und der Prognose durch die frühe Gabe eines Muskelrelaxans über 2 Tage belegt werden. Jedoch hat sich diese Therapie nicht in der Breite auf den Intensivstationen durchgesetzt. Da sich die Prognose der Patienten mit ARDS infolge verschiedener Therapieanpassungen in den letzten Jahren verbessert hat, wurde der Effekt einer frühen neuromuskulären Blockade nun erneut in einer randomisierten Multicenterstudie untersucht.

Patienten und Methoden: 1.006 Patienten (von 3.840 gescreenten) mit einem mittelschweren bis schweren ARDS (PaO2/FIO2 < 150) von weniger als 48 h Dauer wurden entweder mit einer leichten Sedierung (RASS 0 bis −1) oder einer tiefen Sedierung kombiniert mit neuromuskuläre Blockade durch kontinuierliche Gabe von Cisatracurium i. v. behandelt. In beiden Gruppen lag dem ARDS in ca. 59 % eine Pneumonie, in ca. 15 % Aspiration und ca. 14 % eine nicht pulmonale Sepsis zugrunde. Eine Beatmungsstrategie mit hohem PEEP und niedrigem Tidalvolumen sowie restriktiver Flüssigkeitsstrategie war in beiden Gruppen vorgegeben und strikt eingehalten (FiO2 ca. 0,8; PEEP ca. 13 cm H2O; inspiratorischer Plateaudruck ca. 26 cm H2O).

Ergebnisse: Die 90-Tage-Sterblichkeit als primärer Endpunkt war mit 42,5 ± 2,2 % (Interventionsgruppe, IG) und 42,8 ± 2,2 % (Kontrollgruppe, KG) fast gleich. Auch hinsichtlich weiterer sekundärer Endpunkte wie Sterblichkeit im Krankenhaus, Tage auf Intensivstation und Zahl ventilatorfreier Tage bis Tag 28 fanden sich keine relevanten Unterschiede zwischen den Gruppen. In der IG waren signifikant mehr schwere kardiovaskuläre Komplikationen (14 IG und 4 KG; p = 0,02) aufgetreten. Barotraumata traten tendenziell weniger in der IG auf (4 % vs. 6,3 % KG; p = 0,12).

Schlussfolgerungen: Eine frühe neuromuskuläre Blockade in Kombination mit einer tiefen Sedierung hat keinen Einfluss auf die Prognose von Patienten mit einem mittelschweren bis schweren ARDS, sofern die Patienten leitliniengerecht mit einem niedrigen Tidalvolumen, einem hohen PEEP und einer restriktiven Flüssigkeitsstrategie behandelt werden.

Kommentar von PD Dr. med. Georg Nilius

Tiefe Sedierung und Relaxierung im Einzelfall zu erwägen

ARDS bleibt eine große Herausforderung an die praktische Intensivmedizin. In der aktuellen Studie des amerikanischen PETAL-Netzwerks konnte eine beeindruckende Umsetzung der lungenprotektiven Beatmung erreicht werden. Im Gegensatz zu einer europäischen Studie von vor 10 Jahren konnte nun durch frühe Muskelrelaxation keine weitere Verbesserung der Prognose erreicht werden [1]. Hierfür gibt es vermutlich 2 Gründe: Während in der europäischen Studie eine Niedrig-PEEP-Strategie kombiniert mit niedrigem Tidalvolumen genutzt wurde, war es in der aktuellen eine Hoch-PEEP-Strategie — auffallend ist hier die niedrige Zahl von Pneumothoraces.

Weiterhin wurden in der europäischen Studie alle Patienten tief sediert, in der aktuellen Untersuchung jedoch nur die Patienten im Kontrollarm. In den letzten Jahren hatte sich gezeigt, dass eine tiefe Sedierung die Komplikationsrate erhöht. Auch in der aktuellen Studie waren signifikant mehr schwere kardiovaskuläre Komplikationen infolge der tiefen Sedierung nachweisbar, jedoch war — anders als befürchtet — in der Interventionsgruppe die Rate an neuromuskulären Schäden nicht erhöht. Im lesenswerten Editorial von A. Slutsky und J. Villar werden die Konsequenzen für die Praxis auf den Intensivstationen diskutiert [2]. Bei konsequenter leitliniengerechter Beatmungstherapie kombiniert mit einer milden Sedierung ist eine routinemäßige Gabe von Muskelrelaxanzien nicht indiziert. Erfordert eine an der aktuellen Klinik und Pathophysiologie ausgerichteten Beatmung aber die Relaxierung, ist das im Einzelfall möglich.

figure 1

PD Dr. med. Georg Nilius