Hintergrund und Fragestellung: Schon kurz nach der Einführung der Sauerstofftherapie als lebensrettende Notfallmaßnahme wurde auch die Toxizität von Sauerstoff in hoher Konzentration diskutiert. So weiß man heute, dass die vermehrte Freisetzung von Sauerstoffradikalen die Zellen schädigt. Mehrere Studien haben sich schon mit dieser Problematik beschäftigt.

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Bei nicht hypoxämischen Patienten gab es keinen Vorteil für die Notfall-Sauerstoffgabe.

© Mathias Ernert, Deutsche Rettungsflugwacht e.V., Mannheim

Um eine bessere und differenziertere Aussage zum Nutzen einer inhalativen Sauerstoffapplikation bei nicht hypoxämischen Patienten mit unterschiedlichen akuten Erkrankungen machen zu können, hat man sich nun in einem aktuellen Review erneut dieser Thematik gestellt. Ungeachtet des Nutzens der Sauerstofftherapie bei bestimmten Notfallkonstellationen sollte eine mögliche höhere Morbidität und Mortalität unter Hypoxie überprüft werden.

Patienten und Methoden: Mit einer selektiven Literaturrecherche, in der prospektive randomisierte Studien zur normobaren Sauerstoffapplikation untersucht wurden, versuchten die Autoren diese Frage zu klären. Ergänzend wurden retrospektive Untersuchungen und Leitlinienempfehlungen mit einbezogen. Zwei Untersucher identifizierten unabhängig voneinander die entsprechenden Outcomestudien. Die Ergebnisse wurden für die Krankheitsentitäten COPD, Myokardinfarkt, Schlaganfall/Hirnblutung, Post-Reanimation-Phase und Intensivmedizin im Allgemeinen kategorisiert und bewertet.

Ergebnisse: 13 Studien mit 17.213 Patienten konnten einbezogen werden. In der Auswertung wurde deutlich, dass in keiner der Studien ein Vorteil für die Sauerstoffgabe bei nicht hypoxämischen Patienten gezeigt werden konnte. Im Gegenteil: Bei Patienten mit einer exazerbierten COPD und beatmeten Intensivpatienten war bei Hyperoxie die Mortalität um 7 % höher (9 % versus 2 %) als in der Gruppe der Patienten mit Normoxie.

Nach stattgehabtem Myokardinfarkt führte die restriktive Sauerstoffgabe zu einer Verkleinerung des Infarktareals im Gegensatz zur standardisierten Anwendung von 8 l/min per inhalationem. Für die Schlaganfall-Behandlung lassen die vorliegenden Daten keine allgemein gültigen Schlussfolgerungen zu.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass eine unreflektierte Sauerstoffgabe die Morbidität und Mortalität steigern kann. Daher sollte in jedem Fall auf eine normoxische Oxygenierung geachtet werden.

Kommentar von Prof. Dr. med. Hans Jürgen Heppner

„Viel hilft viel“ könnte nicht unpassender sein

Es steht völlig außer Frage, dass Sauerstoff oftmals lebensrettend sein kann und ein medizinisches Therapeutikum ist, wie viele andere Wirksubstanzen auch. Aber auch hier gilt: Zu viel schadet nur und Sauerstoff hat auch unerwünschte Wirkungen. Er darf nicht unüberlegt und vor allem nicht ohne Kontrolle und Überwachung der Applikation angewendet werden.

Bei den COPD-Patienten ergab das titulierte Vorgehen unter um eine pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung (SpO2) von 88 % − 92 % die besten Ergebnisse. Für die Myokardinfarktgruppe zeichnete sich eine Therapieindikation nur bei einer SpO2 unter 94 % ab. Auch bei reanimationspflichtigen Patienten scheint eine hohe Sauerstoffapplikation primär das Wiedererlangen des spontanen Kreislaufs zu verbessern, aber das sekundäre Outcome ist unter Hyperoxie von einer höheren Mortalität geprägt. Viel hilft viel kann hier wohl nicht unpassender sein! Daher muss die adjuvante Sauerstofftherapie immer kritisch hinterfragt werden und eine routinemäßige Sauerstoffanwendung bei nicht hypoxämischen Patientin sollte nicht erfolgen.

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Univ.- Prof. Dr. Hans Jürgen Heppner