Der Blutdruck in den Nachtstunden korreliert mit hypertensiven Folgeschäden. Die abendliche Einnahme von Antihypertensiva führt zu niedrigeren nächtlichen Blutdruckwerten und deutlich geringeren, kardiovaskulären Komplikationen als die übliche Verordnung am Morgen.

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© Robert Kneschke / Fotolia (Symbolbild m. Fotomodell)

Bei abendlicher Einnahme von Antihypertensiva traten weniger kardiovaskuläre Komplikationen auf.

In die multizentrische, kontrollierte, prospektive Studie wurden 19.084 Hypertoniker im Alter von 60,5 Jahren mit und ohne eine vorherige antihypertensive Therapie aufgenommen. Die Behandlung erfolgte mit den üblichen fünf Klassen der Antihypertensiva, die für die Einmalgabe pro Tag zugelassen sind. Die Gesamtdosis aller Antihypertensiva sollte entweder morgens beim Aufwachen (n = 9.532) oder abends zu Beginn der Bettruhe (n = 9.552) eingenommen werden. Die Blutdruckkontrolle erfolgte zu Beginn und bei allen Kontrollen durch dreimalige Praxismessung und durch multiple, mindestens jährliche ambulante Langzeitmessungen (ABDM) über jeweils 48 Stunden.

Bei Studienbeginn lagen die Blutdruckwerte in beiden Gruppen dicht beieinander (Tab. 1). Während und nach einer Beobachtungsdauer von 6,3 Jahren waren die Werte zwar in beiden Gruppen deutlich gesunken, aber signifikant stärker bei abendlicher als bei morgendlicher Einnahme.

Tab. 1 : Blutdruck zu Studienbeginn und Blutdruckabfall bis zum Studienende

Obwohl der Unterschied nur wenige mmHg erreichte, beeinflusste dies die hypertensiven Folgen erheblich. Insgesamt erlitten 1.752 Patienten schwere kardiovaskuläre Komplikationen. Bei verblindeter Auswertung und nach Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren waren deren Gesamtzahl wie auch die einzelnen Komponenten (Kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte, koronare Revaskularisierungen, Herzinsuffizienz und Schlaganfälle) bei abendlicher Einnahme signifikant (alle p < 0,001) seltener und nahezu halbiert.

Hermida RC et al. Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J. 2020;41;4565-76

Kommentar

Die vorliegende Publikation wurde wegen ihrer wissenschaftlichen und klinischen Bedeutung im Oktober 2019 vorab online publiziert. Es gingen dann aber zahlreiche kritische Kommentare ein, die Bedenken hinsichtlich der methodischen Qualität und Zweifel wegen der hohen Wirksamkeit anmeldeten. Deshalb wurde die endgültige Publikation zurückgestellt, eine erneute intensive Begutachtung eingeleitet und umstrittene Aussagen mit den Autoren diskutiert. Die endgültige Publikation erfolgte im Dezember 2020 - in der ursprünglichen Version ohne jede Änderung.

In den Empfehlungen der Fachgesellschaften wird zwar kein Termin für die Einnahme von Antihypertensiva genannt, doch wird allgemein die morgendliche Gabe von Medikamenten mit 24-Stunden-Wirkung bevorzugt. Dieses Vorgehen wurde nie ernsthaft infrage gestellt.

Die jetzige Studie hat außer der intensiven Begutachtung einige wesentliche Vorteile. Es wurden fast 20.000 Hypertoniker über mehr als sechs Jahre beobachtet, der Blutdruck konventionell und mit ambulanter Langzeitmessung regelmäßig bestens überprüft und die kardiovaskulären Komplikationen im Blindverfahren ausgewertet. Einziger Nachteil: Die Patienten wurden nicht randomisiert, sondern von den Prüfärzten den beiden Armen im Verhältnis 1 : 1 zugeteilt. Bei der Auswertung berücksichtigte man zahlreiche mögliche Einflussfaktoren. Die Abnahme der schweren kardiovaskulären Komplikationen wird durch die stärkere Blutdrucksenkung bei abendlicher Einnahme erklärt, offenbar ohne Nebenwirkungen. Dies betrifft alle Werte, bevorzugt die Nachtwerte. Die Blutdruckänderungen sind zwar gering, liegen aber in der gleichen Größenordnung wie in erfolgreichen, randomi- sierten, kontrollierten Therapiestudien.

Die Ergebnisse sind plausibel. Trotzdem werden viele Hypertonologen die vertrauten Gewohnheiten nicht aufgeben.