Auch wenn fast alle Ärzte ein Smartphone besitzen und privat auch viele Apps benutzen, so wird es bisher nur von wenigen beruflich eingesetzt. „Das wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern, da unsere digitalaffinen Patienten dies einfordern“, ist Dr. David Duncker von der Medizinischen Hochschule in Hannover der Meinung.

Der Durchschnittsuser habe heute pro Tag bereits 2.617 Berührungen mit seinem Handy und verbringe 145 Minuten täglich mit der digitalen Kommunikation. Im Durchschnitt beginnt der Nutzer damit bereits um 7:31 Uhr und die Mehrheit hat vor dem Aufstehen das Wetter gecheckt, Nachrichten gelesen und ein bis zwei Messages an Freunde geschickt. 4 von 10 Usern geben an, sich ohne das Smartphone verloren zu fühlen, man spricht von einer NoMoPhobie. Dieser Umgang mit dem Handy wird die Medizin grundlegend verändern.

Unüberschaubares App-Angebot

„Die Fülle der angebotenen Medizin-Apps ist so vielfältig, dass der Markt kaum noch überschaubar ist“, so Duncker. Gerade für Patienten mit Palpitationen bzw. vermeintlichen Herzrhythmusstörungen ermögliche das Smartphone mit einer EKG-App eine zuverlässige Dokumentation. Auch die ESC hat bereits eine Patienten-App (myAF) und eine Healthcare professional App für Ärzte (AFmanager) herausgebracht mit dem Ziel, Patienten mit Vorhofflimmern zu schulen, sie bei Verhaltensänderungen zu unterstützen, die Therapieadhärenz zu verbessern und interaktive Therapiepläne zu entwickeln. „Letztendlich sollen damit mehr Patienten in den Genuss einer leitliniengerechten Therapie kommen“, so Duncker.

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Mittlerweile gibt es sogar EKG-ableitende T-Shirts.

© Ralph Lauren / AP Photo / picture alliance

„Ein Holter-EKG hat auch nur drei Ableitungen“

Gründe für eine EKG-Dokumentation sind Diagnosestellung, Monitoring, Risikostratifizierung und Indikationsstellung für eine Therapie. „Dies alles lässt sich auch digital machen, vielleicht sogar optimieren“, so Duncker. Für die Ableitung des EKGs stehen verschiedene, sehr unterschiedliche Smartphone-kompatible Systeme zur Verfügung, nämlich Gurte, ein Handschuh mit Elektroden, der bei Bedarf auf die Brust gelegt wird (ECG Glove AMD-3300TM), und Westen mit eingearbeiteten Elektroden (SmartGarments). Auch gebräuchliche Kleidungsstücke wie Shirts werden bereits mit Elektroden bestückt (Smart textiles).

Das neueste sind epidermale Smart-Systeme, die einfach auf die Haut geklebt werden. Diese Systeme liefern entweder ein 12-Kanal-EKG oder weniger Ableitungen, aus denen dann aber ein 12-Kanal-EKG rekonstruiert werden kann.

„Wir sollten nicht vergessen, dass auch ein konventionelles Holter-EKG nur drei Ableitungen liefert“, so Duncker. Das einfachste ist das 1-Kanal-Finger-EKG, wobei das EKG bei Auflegen eines Fingers abgeleitet wird, und das Armband für die Apple Watch mit der Daumen-Handgelenk-Ableitung eines EKGs über 30 Sekunden. Letzteres ist sowohl Android- als auch IOS-kompatibel und bereits FDA-zertifiziert.

Gefahren der neuen Technologien

Besonders geeignet ist ein Smartphone-EKG als Eventrekorder bei Palpitationen und für das Vorhofflimmern-Screening. Erste Machbarkeitsstudien haben gezeigt, dass systematische Smartphone-basierte Vorhofflimmern-Screeningprogramme durchaus durchführbar und effektiv sind, um bei beschwerdefreien Patienten das Vorhofflimmern zu detektieren. Bei bis zu 1 % der Patienten, die in einer Apotheke oder bei der Grippeimpfung mithilfe des Smartphones gescreent wurden, fand sich Vorhofflimmern.

Das Smartphone-EKG ist zudem eine einfache und effektive Methode für die Therapiekontrolle, also das EKG-Monitoring nach einer Katheterablation. Es erlaubt EKG-ST-Streckenanalysen und somit eine Diagnose im Notfall. Bei Dialyse-Patienten kann damit sogar der Kaliumspiegel zuverlässig ermittelt werden. „Die Entwicklung bei mobilen Technologien ist rasant und nicht ohne Risiken“, so Duncker. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass viele Menschen dadurch neurotisiert werden. Die Interpretation der großen Menge an Daten erfordere auch mehr Erfahrungen, um den Nutzen und den Stellenwert dieser Systeme definitiv beurteilen zu können.