Die Entwicklung immunonkologischer Therapien befindet sich derzeit in einem ungeheuren Aufwind. In Deutschland habe es keine Wirkstoffklasse in der Onkologie gegeben, die so positiv bewertet worden sei wie die Immuntherapie, so Wolf-Dieter Ludwig, Berlin. Entsprechende Anhörungen hat Ludwig seit 2011 im Gemeinsamen Bundesausschuss regelmäßig begleitet. Acht Mal sei Präparaten ein „beträchtlicher Zusatznutzen“ bescheinigt worden, nur bei fünf der neuen Wirkstoffe sei kein Zusatznutzen belegt, sagte der Hämatologe während der Oxford-Debatte „Immuntherapie — berechtigter Hype oder überzogene Kosten?“. Manche erachten das Potenzial, etwa der Checkpointblockade und der T-Zelltherapien, quasi als unbegrenzt. Michael von Bergwelt, München, erinnerte daran, dass die Checkpointblockade z. B. auch bei der Therapie von invasiven Pilzinfektionen eine Rolle spiele und T-Zelltherapien inzwischen einen Stellenwert nach der allogenen Stammzelltransplantation hätten.

„Kein Hype, sondern Realität“

Für Stephan Grabbe aus Mainz ist „die Tumorimmuntherapie selbstverständlich kein Hype, sondern Realität“. Das gelte auch für die klinische Wirksamkeit bei metastasierten Tumoren. Der Checkpointhemmer Nivolumab sei ein Beispiel dafür, dass man es nicht mehr mit einer Nischenindikation zu tun habe, sondern eher mit einem Trend quer über die gesamte Onkologie, mal mit mehr, mal mit weniger gutem Ansprechen.

Woran kann man erkennen, ob ein Patient auf eine immunonkologische Therapie anspricht? Ein Beispiel für ein solches Stratifikationskriterium sei die Mutationslast, so Grabbe, die eindeutig mit dem Therapieansprechen korreliere: Tumoren mit vielen Mutationen sprächen z. B. besser auf Ipilimumab an als Tumoren mit wenigen Mutationen. Weitere mögliche Kriterien könnten Blutparameter wie LDH, Lymphozytenanteil, Monozyten- und Eosinophilenzahl sein. Allerdings seien diese noch nicht validiert und somit noch nicht in der Realität angekommen. Schließlich sei der PD-L1-Status als Stratifikationskriterium bei vielen Tumorentitäten etabliert, werde jedoch beim Melanom im Zusammenhang mit einer Nivolumab-Therapie noch heftig diskutiert. Auch für Grabbe ist klar, dass die aktuell verlangten Kosten der Immuntherapie auf Dauer nicht bezahlbar sind. Aber: „Es kann nicht die Aufgabe der Medizin sein, diese gesellschaftsethische Frage zu beantworten“, so der Dermatologe.

Spielt Histologie keine Rolle mehr?

Im Zusammenhang mit der Auswahl der Patienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Immuntherapie ansprechen, würden Checkpointhemmer zunehmend „in einem histoagnostischen Umfeld“ validiert, die Histologie spiele keine Rolle mehr, so Ludwig: „Wir brauchen definitiv verlässliche Biomarker, die prospektiv untersucht sind und die uns eindeutig einen Nutzen der jeweiligen Checkpointinhibitoren anzeigen.“ Wenn derartige Biomarker im klinischen Alltag nicht zur Verfügung stünden, könnte man nicht davon ausgehen, dass die Checkpointhemmer hier denselben Nutzen brächten wie in den klinischen Studien. Da laufe alles unter sehr kontrollierten Bedingungen ab und sei deshalb nicht repräsentativ für das, was im klinischen Alltag geschehe.

Ludwig erinnerte auch an die hohen Kosten. So hätten die Jahrestherapiekosten, als Ipilimumab 2011 zugelassen wurde, bei 74.000 Euro gelegen, bei Pembrolizumab bereits bei 144.000 Euro und bei Kombinationstherapien bei 155.000 Euro. „Und wenn man davon ausgeht, dass möglicherweise bei BRAF-positiven metastasierten Melanomen die Kombination Checkpoint- plus Kinasehemmer zum Einsatz kommt, dann sind wir bei 300.000 Euro“, so Ludwig. Entsprechend widersprach der Hämatologe dem Dermatologen: „Ich halte es angesichts dieser Situation und dieser Kosten für eine prinzipiell ethische Aufgabe für uns Mediziner, dass wir eine Entscheidung darüber treffen, welche Evidenz zum Nutzen wir brauchen und wie sicher wir unsere Patienten identifizieren, wenn wir derartige Summen für eine Therapie ausgeben.“ Von dieser Behandlungsform wisse man bisher nicht genau, ob sie überhaupt kurativ sei, wahrscheinlich verlängere sie derzeit eher das Leben.