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Cagnaccioli di San Pietro „Spielende Kinder“ (1925)

© akg-images / Mondadori Portfolio / 2004 / MondadoriPortfolio

Das kleine Gemälde „Spielende Kinder“ erscheint nicht nur realistisch, sondern auch ganz aktuell. Man fragt sich gleich, ob den drei Kindern gerade der Game Boy abgenommen worden ist. Und nun sollen sie sich auch noch mit Spielzeug beschäftigen, das nicht mehr ihrem Alter entspricht. Mit den kleinen Bällen könnten sie vielleicht noch etwas anfangen, aber nichts mit den pickenden Hühnern und der Spiel-Schaukel. Ein Auto mit Püppchen für diese Drei? Und so schauen sie sich in ihrer Langeweile nicht einmal gegenseitig an.

Magischer Realismus

Cagnaccio di San Pietro war ein italienischer Maler des sogenannten Magischen Realismus. Er wurde zum Begriff einer künstlerischen Strömung, die sich in den 1920er-Jahren vor allem auf dem Gebiet der Malerei, aber auch der Literatur in einigen europäischen Ländern sowie in Südamerika ausgebreitet hatte. Als „Dritte Realität“ bezeichnet, stellt er eine Verschmelzung von einer sichtbar gemachten realen Wirklichkeit und einer magischen, scheinbar geträumten Realität dar, wobei es einen fließenden Übergang zum Surrealismus gibt. Ein Kunsthistoriker prägte den Begriff „Neoexpressionismus“.

Seine Familie stammte aus dem kleinen Dorf San Pietro auf der Laguneninsel Pellestrina vor Venedig und so nannte sich der Sohn eines Leuchtturmwärters, der eigentlich Natale Bentivoglio Scarpa hieß, um 1920 Cagnaccio di San Pietro. Von Jugend an wurde Venedig zum Lebensmittelpunkt. Er studierte dort nur ein Jahr an der Akademie der schönen Künste und bildete sich dann selbst weiter, malte vorwiegend Stillleben, Porträts und vor allem weibliche Akte. Um 1918 eignete er sich vorübergehend eine futuristische Bildsprache an, um sich dann ab 1920 der Neuen Sachlichkeit zuzuwenden.

Bekannt wurde di San Pietro mit seinem Gemälde „Nach der Orgie“ (1928), das drei nackte Frauen darstellt in drei Ansichten ein und derselben Frau, magisch, hyperrealistisch, auf dem Boden neben Sektflaschen und -gläsern liegend. Das Bild löste damals einen Skandal aus.

Die „Welt der Dinge“ wurde zum zentralen Thema. In seinen Stillleben wirken diese räumlich dicht und formal streng. Es sind die einfachen Gegenstände des täglichen Lebens, die er mit großer Präzision und eher kalter Farbigkeit abbildete. Dazu kommen wie auf unserem Gemälde Menschen in inhaltlichem Zusammenhang.

Früher Tod in Venedig

In den 1930er- und 1940er-Jahren nahm di San Pietro an den Biennalen in Venedig teil. In den Kriegsjahren wurde er wegen seines labilen Gesundheitszustandes in einem Hospital in Venedig betreut, wo er seine Ärzte und Krankenschwestern malte. 1946 starb er nach langer Krankheit im Alter von knapp 50 Jahren. Zwei Jahre danach wurde ihm auf der Biennale eine Retrospektive gewidmet.