Haben Ärzte den Verdacht, dass ein Kind vernachlässigt, misshandelt oder gar missbraucht wird, sollten sie umgehend tätig werden. Wie sie vorgehen sollten, erläutert Oliver Berthold, Leiter der Kinderschutzambulanz der DRK Kliniken Berlin Westend.
? Was können Ärzte tun, wenn sie den Verdacht hegen, dass eine Kindeswohlverletzung vorliegen könnte?
Oliver Berthold: Solch ein Verdacht wirft viele Fragen auf. Doch bevor Ärzte aus Unsicherheit untätig bleiben, sollten sie sich unbedingt beraten lassen. Da ist die Medizinische Kinderschutzhotline eine Anlaufstelle. Ärzte können sich aber auch an Kinderschutzambulanzen oder an die Jugendämter wenden.
? Wie hilft die Kinderschutzhotline Ärzten und Therapeuten?
Berthold: Die Kinderschutzhotline hilft dabei, die Fragen zu sortieren, die so ein Verdacht mit sich bringt. Wir raten immer, Schritt für Schritt vorzugehen. Dazu klären wir zunächst, welche Schritte dringend sind und wo die nötigen Informationen erhältlich sind. Auf dieser Basis kann der Arzt abschließend eine gute Entscheidung über das weitere Vorgehen fällen.
? Sollten Ärzte so einen Verdacht den Eltern gegenüber direkt ansprechen?
Berthold: Ja, wenn das die Sicherheit des Kindes nicht zusätzlich gefährdet. Sie sollten zunächst mit den Eltern oder Patienten ins Gespräch gehen und darauf hinwirken, dass sie Hilfen in Anspruch nehmen. In einer Klinik kann solch ein Gespräch unter Umständen gemeinsam mit dem Kliniksozialdienst geführt werden.
? Welche Hilfen können Ärzte ihren Patienten konkret empfehlen?
Berthold: Das kann in der Praxis ganz niedrigschwellig sein, indem man den Eltern zum Beispiel Erziehungsberatung anbietet. Zur medizinischen Abklärung ist die Überweisung in eine Klinik mit einer Kinderschutzgruppe zu empfehlen, weil dort die entsprechende Expertise vorgehalten wird.
? Und wie können Ärzte vorgehen, wenn sie den Eindruck haben, dass die Gespräche nichts nützen oder wenn sie die Eltern oder Patienten nach so einem Gespräch nicht wieder sehen?
Berthold: Das passiert leider gar nicht so selten, dass Eltern dann den Kontakt abbrechen. Gelingt es nicht, die Patienten oder Eltern dazu zu bewegen, dass sie sich selbst Hilfe holen, hat man letztendlich seine eigenen Möglichkeiten als Arzt ausgeschöpft. Damit der Prozess aber an dieser Stelle nicht abbricht, sieht das Gesetz vor, dass dann das Jugendamt informiert werden darf und soll.
? Voraussetzung ist allerdings, dass es gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gibt. Wann liegen die denn vor?
Berthold: Hier gibt es oft Missverständnisse. Die Betonung liegt auf „Anhaltspunkte“. Niemand muss sicher sein, niemand muss eine komplette Diagnostik abgeschlossen haben. Wenn ich als kompetente Fachkraft anfange, mir Sorgen zu machen, dann geschieht das in der Regel, weil ich bereits Anhaltspunkte habe. Das ist ausreichendund sollte der Ausgangspunkt dafür sein, dass ich tätig werde.
? Die Kommunikation zwischen Ärzten und Jugendhilfe funktioniert auch nicht immer reibungslos. Was müssen Ärzte wissen, wenn sie ein Amt einschalten?
Berthold: Wichtig ist, dass sie erst einmal sicherstellen, ob ihr Gegenüber im Jugendamt alle Informationen erhalten hat und dass es keine Missverständnisse gibt. Die Jugendämter haben zwar eigene Abläufe, sind aber meist sehr kooperativ.
! Herr Berthold, vielen Dank für das Gespräch.
Literatur
Das Interview führte Angela Mißlbeck.
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Springer Medizin. So handeln Sie bei Verdacht auf Kindesmisshandlung. Pädiatrie 31, 10 (2019). https://doi.org/10.1007/s15014-019-1559-y
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