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Prof. Dr. med. Thilo Jakob, Gießen

Um die Versorgungsrealität nach Bienen- und Wespengiftanaphylaxie zu untersuchen, haben Allergologen und Notfallmediziner standardisierte Fragebögen an 548 Patienten verschickt. Die Patienten waren zwischen 2001 und 2014 in den Notfallzentren von Freiburg, Bad Krozingen oder Göppingen wegen des Verdachts auf Hymenopterengiftanaphylaxie (HVA) behandelt worden. Bei 126 hatte sich die Verdachtsdiagnose zwischenzeitlich bestätigt, die meisten hatten eine Reaktion vom Schweregrad 2 (24 %) oder 3 (64 %) nach Ring und Messmer erlitten.

Laut Patientenauskunft hatten nur 55 % beim Indexereignis eine Empfehlung für das weitere Vorgehen erhalten. Fast 70 % war kein Allergikerausweis und über 40 % kein Rezept für ein Notfallset ausgestellt worden. Während des gesamten Follow-ups wurden immerhin 90 % der Patienten mit Notfallmedikamenten ausgestattet. Über die ordnungsgemäße Anwendung wurde laut eigenen Angaben aber nur etwa die Hälfte der Patienten unterrichtet. Überdies erhielten nur 77 % einen Adrenalinautoinjektor, dessen Verfallsdatum zum Zeitpunkt der Befragung auch noch bei jedem Zweiten überschritten war. 43 % der Patienten berichteten zudem, das Notfallset nur selten oder nie mit sich zu führen. Nur 46 % der Patienten hatten nach dem Indexereignis einen Allergologen aufgesucht, 15 % hatten danach gar keinen Arzt gesehen.

Zu einer spezifischen Immuntherapie, die in den Leitlinien ab Schweregrad 2 empfohlen wird, waren insgesamt 70 % der Patienten beraten worden, von den Patienten, die einen Nichtallergologen aufgesucht hatten, waren es nur halb so viele. 50 % aller Patienten unterzogen sich einer Immuntherapie. Patienten mit höherem Schweregrad machten zwar tendenziell häufiger Gebrauch davon, allerdings blieben selbst bei Grad-4-Reaktion drei von acht ohne Immuntherapie. Als Gründe für die Entscheidung gegen eine Immuntherapie wurden unter anderem das nur einmalige Auftreten der anaphylaktischen Reaktion sowie Aufwand, Dauer oder Risiken der Behandlung genannt.

Kommentar

Leitlinien für die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen werden von Expertengremien erstellt und sollen einer optimierten und standardisierten Versorgung unserer Patienten dienen. Die aktuelle Studie von Manmohan et al. zeigt am Beispiel der Insektengiftallergie, dass hier große Lücken bestehen zwischen den im Expertenkreis formulierten Empfehlungen und den in der Realität umgesetzten Maßnahmen. Das Besondere an dieser Untersuchung ist, das es sich um eine Befragung an einem nicht selektionierten Patientengut handelt und damit vermutlich einen realistischen Einblick in die tatsächliche Versorgungsrealität bietet — und die sieht traurig aus. Wir haben eine ausgezeichnete Diagnostik und eine hochwirksame Therapie zur Verfügung und trotzdem gelingt es uns nur unzureichend, die betroffenen Patienten gemäß unserer Empfehlungen zu versorgen. Die Autoren der Befragung zeigen eine Vielzahl von bisher nicht ausreichend genutzten Gelegenheiten, die Versorgung unserer Patienten zu verbessern. Von besonderer Bedeutung scheint, dass Patienten mit HVA frühzeitig, das heißt möglichst noch während der Akutbehandlung, über die notwendigen nächsten Schritte zur Diagnostik und Therapie informiert werden. Diese Maßnahmen sollten leicht umzusetzen sein — erste Schritte in diese Richtung sind bereits initiiert und es bleibt abzuwarten, welche Früchte das trägt.

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Nach einer anaphylaktischen Reaktion auf einen Wespenstich muss mehr als nur die Akutversorgung des Patienten folgen.

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