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Dr. med. Thomas Hoppen, Koblenz

Mit dem Alois-Kornmüller-Preis 2017 wurde eine bemerkenswerte Arbeit ausgezeichnet: Anhand der durch genetische Assoziation bestimmten volumetrischen Profile im MRT von Kindern, die sich circa 10 Monate vor Schuleintritt befanden, konnte die spätere Ausprägung einer LRS mit einer Exaktheit von 75 % vorhergesagt werden. Dazu wurden 141 neurologisch unauffällige Kinder untersucht, DNA aus ihren Speichelproben typisiert, ein etwa 6-minütiges MRT und umfangreiche psychomotorische Testungen inklusive Lese- und Rechtschreibfähigkeit durchgeführt. Bekanntlich ist der linke Gyrus fusiformis das Kernareal für das schriftsprachliche Verarbeitungssystem. Diese Untersuchung ergab nun erstmals deutliche Hinweise, dass die kortikale Plastizität dieser Hirnregion und damit ihre Anpassungsfähigkeit an kognitive Herausforderungen schriftsprachlichen Lernens genetisch begrenzt sein könnte. Eine Volumenminderung der grauen Substanz des linken Gyrus fusiformis im Zusammenhang mit einer Risikovariante des Gens NRSN1 deutet auf einen möglichen Pathomechanismus hin.

Kommentar

Das rein psychometrische „Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten“ ist das bisher einzige Frühdiagnoseverfahren und besitzt nur eine Genauigkeit von 57 %. Eine gezielte und sehr kurze MRT könnte — natürlich mit einigen Kosten verbunden — einen hohen diagnostischen Zusatznutzen bieten. Daran schließt sich konsequenterweise die Frage an: Ließe sich aus therapeutischer Sicht die eingeschränkte Plastizität des linken Gyrus fusiformis und weiterer beteiligter Kortexareale bereits im Vorschulalter durch Training ausgleichen? Die Antwort lautet grundsätzlich eher ja, da evaluierte Interventionsprogramme für den Einsatz im letzten Kindergartenjahr existieren. Langfristig könnten so die hohen Kosten für Heilbehandlungen für Menschen mit LRS gesenkt und die individuellen Bildungschancen angeglichen werden.