Ein leukämiekranker Junge stirbt im Alter von 11 Jahren an einem septischen Schock. In dieser Nacht ist seine Mutter nicht bei ihm. Die Ärzte hatten sie an diesem Tag während der Intensivversorgung zunächst auf dem Krankenhausflur warten lassen. Später wurde sie von den Ärzten beruhigt und nach Hause geschickt. So war sie nicht bei ihrem Sohn als dieser starb. Einige Monate später schreibt die Mutter den folgenden Brief an die behandelnden Ärzte.

„Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Brief schreiben soll und wenn ja, wie, und vor allem, was Sie als Ärzte daraus mitnehmen können sollten. Es hat nochmal so lange gedauert, bis er die jetzige Fassung bekam. Aber die Tatsache, dass die Ereignisse der letzten 24 Stunden im Leben meines Sohnes mich einfach nicht loslassen, ist der Grund, dass dieser Brief nun vor Ihnen liegt [...].

Vor ca. 10 Monaten ist unser Sohn in Ihrem Krankenhaus verstorben. Es gab bereits ein Nachgespräch mit den beteiligten Ärzten und Pflegekräften. Dennoch treibt mich die Erinnerung an diese 24 Stunden um. Keiner kann die Zeit zurückdrehen, und so, wie alles abgelaufen ist, bleibt es. Die letzte Nacht im Leben meines Sohnes war ich nicht bei ihm. Nachdem ich ihn ein halbes Jahr bei seinem unfassbaren Kampf gegen die Leukämie und die Folgen einer Hirnblutung begleitet, unterstützt und zu Hause gepflegt hatte, war ich in dieser Nacht nicht bei ihm. Ich war nicht bei ihm, weil nicht klar kommuniziert wurde, wie es wirklich um ihn steht. Scheinbar dachte man, es wäre noch mehr Zeit? So kam es damals bei mir an.

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Während der Intensivbehandlungen wird die Mutter vor die Tür geschickt. Später in der Nacht stirbt ihr Sohn ohne sie.

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Eltern als Nichtmediziner sind nicht in der Lage, aus einer Fülle einzelner Daten die Diagnose herauszulesen oder zu schlussfolgern. Sie brauchen die Diagnose und eine Einschätzung. Die Auswertung der Informationen wurde jedoch mir überlassen. Aber ich konnte trotz der ungewollten medizinischen Erfahrung der letzten Monate nicht zwischen diesen Zeilen lesen. Ich möchte betonen, dass ich denke, dass vom rein Medizinischen alles getan worden ist, was möglich war. Was nicht funktioniert hat war die Kommunikation.

Warum greife ich nach 10 Monaten das Thema wieder auf, wo sich doch für uns nichts mehr ändert? Das Überbringen schlechter Nachrichten ist nicht leicht. Vermutlich manchmal schwieriger als die medizinische Versorgung selbst. Natürlich wissen Sie das, Ärzte einer Intensivstation haben täglich damit zu tun. Zudem hoffe ich, dass die Nachrichten nicht täglich so katastrophal sind wie bei uns. Ein Arzt muss aber den Mut haben, uns als Eltern zu sagen, dass keiner weiß, ob unser Sohn diesen Zustand überleben kann [...], nach allem, was er schon hinter sich hatte. Eltern brauchen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was sie sich zumuten können. Zum Beispiel wie lange ich noch bei meinem Sohn bleibe, wenn er sediert wird und die Beatmung wieder über das Tracheostoma erfolgen soll. Ich hatte schließlich schon einiges mit ihm in diesem halben Jahr erlebt. Das hätte ich auch noch verkraftet.

Der lange Aufenthalt im Wartebereich vor der Station führte dazu, dass ich mich abgestellt fühlte. Ich wusste nicht: Bin ich jetzt vergessen worden oder geht es nur noch nicht? Man traut sich nicht zu klingeln, weil man denkt, man stört und hofft aber zugleich, dass man schon rechtzeitig informiert oder wieder reingebeten wird. So geht/ging es sicher nicht nur mir.

Hinterher werden Angehörige Ihnen dankbar sein für jedes klare Wort. Es wird eine bessere Erinnerung bleiben an eine schwierige Zeit.“