Dr. Bernhard Mäulen, Leiter des Instituts für Ärztegesundheit in Villingen-Schwenningen, betreut seit vielen Jahren Ärzte mit Burn-out. Seine Erkenntnis: Der Fehler liegt im System.
? Herr Dr. Mäulen, welche Ärzte sind besonders Burn-out-gefährdet?
Dr. Bernhard Mäulen: Nach den Untersuchungen, die ich kenne, ist der Burn-out weniger eine Frage der Facharztgruppe, sondern eher eine des Karriereverlaufs und der Zeit im Beruf. Da gibt es zum einen die Ärzte im Alter ab etwa 50 Jahren, die schwerpunktmäßig betroffen sind. Sie haben sich im System eingerichtet, haben noch viele Jahre der Berufstätigkeit vor sich und müssen dies durchhalten. Die zweite Gruppe sind die jungen Ärzte, die noch auf dem Weg zum Facharzt sind. Die spüren, wie steil die Lernkurve ist, um ein wirklich guter Arzt, eine wirklich gute Ärztin zu werden, die haben noch viele Prüfungen und Hürden vor sich, bevor sie beruflich stabil verankert sind. Einen ähnlich zweigipfeligen Verlauf haben interessanterweise auch die Ergebnisse von Schweizer Untersuchungen über die Raten an Depressionen bei Ärzten ergeben.
? Lässt sich ein Burn-out überhaupt klar von einer Depression abgrenzen?
Mäulen: Leichte Formen überschneiden sich zwar. Aber Suizidalität beispielsweise ist kein Symptom des Burn-out-Syndroms, auch vegetative Symptome wie Störungen des Nachtschlafs, verringerter Appetit gehören nicht unbedingt dazu. Ein Burn-out lässt sich auch eher „geografisch“ behandeln. Einem schwer Depressiven nützt es nichts, nach Mallorca oder Teneriffa zu fliegen. Der sitzt am Strand und sagt: Alle sind glücklich, nur ich bin unglücklich. Jemand im Burn-out denkt höchstens: Wann muss ich hier wieder weg — so könnte ich leben.
? Gibt es bei Ärzten einen typischen Auslöser eines Burn-out?
Mäulen: (lacht) Das ist jetzt nicht satirisch gemeint. Aber wenn wir beide uns zusammensetzen würden, um ein Gesundheitssystem zu ersinnen, mit dem wir es in überschaubarer Zeit schaffen, hoch motivierte Ärzte so zu belasten, dass sie ausbrennen — dann würden wir uns ein System wie das heutige ausdenken: Wenig Freiheit, viel Bürokratie, viel Fremdbestimmung, was letztlich aus medizinfremden Bereichen wie Politik oder Ökonomie stammt.
? Spielen nicht auch die langen Arbeitszeiten eine Rolle?
Mäulen: Das ist ja das Erstaunliche. Ärzte in früheren Jahren haben stundenmäßig deutlich härter gearbeitet als die Ärzte heute. Man würde erwarten, die hätten damals reihenweise Burn-out haben müssen. Hatten sie aber eben nicht. Allerdings ist da auch keiner gekommen und hat gesagt: Das und das dürft ihr nicht, und ihr müsst die und die Statistik machen. Natürlich haben die Mediziner damals auch dokumentiert, aber der Umfang war etwa ein Zehntel von dem, was heute gefordert ist. Heute geht es ja in vielem um das, was man juristisch defensive Aufzeichnungen nennt. Und das ist das System, das den Burn-out fördert: Minimiere den Patientenkontakt; gib dem Arzt möglichst wenig Freiheit zu überlegen, was für seine Patienten das Richtige ist; und dann lass ihn möglichst viel Schreibarbeit erledigen. Das ist verrückt. Aber es ist unser System.
? Ist der Burn-out demnach so etwas wie eine Systemerkrankung?
Mäulen: Ja, das würde ich so sagen. Es sind nicht die langen Arbeitszeiten, die die Kolleginnen und Kollegen so nerven. Es sind die Aspekte von Überbürokratisierung und Fremdsteuerung.
? Um grundsätzlich etwas zu ändern, müsste man also an den Systemschrauben drehen.
Mäulen: Ja, aber sehen Sie dazu irgendeine Chance? Ich bin da sehr skeptisch. Derzeit sind es Fachleute der Verwaltung, politische Mandatsträger und an Gewinnmaximierung orientierte private Firmen, welche uns die Abläufe vorgeben, das Personal gefährlich verknappen und letztlich die Ökonomie über die Heilkunst stellen. Es scheint momentan, als habe der Kommerz gegen die medizinischen Notwendigkeiten gewonnen.
? Bleibt also, den Einzelnen in den Blick zu nehmen?
Mäulen: Das ist mein Ansatz. Ich suche mit meinen Patienten nach individuellen Lösungen, nach Mikro-Lösungen. Da geht es um systematische Faktoren wie ausreichende Urlaubszeiten, um die Zahl der Patientenkontakte, um die Praxisstruktur. Dazu kommen interne Faktoren. Was hat mich zu diesem Beruf gebracht? Wieso mache ich weiter, wenn es mir schlecht geht? Könnte ich ein Stück der Verantwortung bei den Patienten lassen? Kann ich einen Teil der Ohnmacht annehmen, dass ich nicht jedem helfen kann unter den Bedingungen dieses Systems? Und eine wichtige Frage ist auch, ob man vielleicht weniger arbeiten kann. Auch wenn das weniger Geld bedeutet.
! Herr Dr. Mäulen, vielen Dank für das Gespräch.
Literatur
Das Interview führte Dr. Robert Bublak
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Springer Medizin. „Bürokratie und Fremdsteuerung lassen Ärzte ausbrennen“. Pädiatrie 29, 8 (2017). https://doi.org/10.1007/s15014-017-1079-6
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