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Dr. med. Ulrich Mutschler, Hamburg

In einer aktuellen Studie im British Medical Journal wurde die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten anhand der Daten der 28 „European Surveillance of Congenital Anomalies“(EUROCAT)-Registers (1991–2011, mit 12,5 Mio. Geburten in 19 europäischen Ländern) untersucht. Dabei ließen sich insgesamt 11.353 Neuralrohrdefekte feststellen, die ohne Zusammenhang mit chromosomalen Anomalien waren, darunter 4.162 Anenzephalien und 5.776 Kinder mit Spina bifida. Die europäische Gesamtprävalenz betrug damit 9,1/10.000 Schwangerschaften, dabei — bezogen auf die Lebendgeburten jedoch etwas weniger als die Hälfte.

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Trotz der Substitutionsempfehlungen von Folsäure bei Schwangeren existiert immer noch eine hohe Rate an Neuralrohrdefekten.

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Es ergaben sich im Verlauf des Untersuchungszeitraumes zwar Schwankungen, aber kein signifikanter Rückgang bei den Fallzahlen. Selbst unter Einbeziehung von störenden Faktoren wurden von 1995–1999 jährliche Steigerungen um 4 % beobachtet, gefolgt von einer Reduktion um 3 % in den Jahren 1999–2003. Danach blieben die Zahlen relativ unverändert, um letztlich im Jahre 2011 die gleiche Häufigkeit wie im Jahre 1991 zu erreichen. Und auch wenn man Anenzephalie und Spina bifida einzeln analysierte, änderte sich hier an der Häufigkeit nichts Grundlegendes.

Die Autoren um Professeur Babak Khoshnood schreiben in ihrem Kommentar, dass natürlich ein niedriger Folsäurespiegel nicht der einzig mögliche Grund für diese relativ unveränderte Rate an Neuralrohrdefekten sei. Es müssten auch der Nikotinkonsum der Mutter, chronische Erkrankungen wie Diabetes und bekannte Medikamente wie Antiepileptika als mögliche Risikofaktoren für Neuralrohrdefekte in Betracht gezogen werden, darüber hinaus Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur.

Als Konsequenz schreiben die Autoren: Obwohl seit 20 Jahren bekannt sei, dass eine Supplementation mit Folsäure definitiv die Neuralrohrdefektrate senke und auch Schwangere dementsprechend beraten würden, so sei es in Europa nachweisbar nicht gelungen, hier eine effektive Präventionsstrategie zu implementieren. Unter dem Gesichtspunkt einer Nutzen-Risiko-Abwägung sollte daher über eine Folsäureanreicherung in Grundnahrungsmitteln nachgedacht werden.

Kommentar

Es stellt sich auch die Frage, ob im Rahmen einer allgemeinen Schwangerenvorsorge diese Folsäurepräparate nicht kostenlos rezeptiert beziehungsweise über die Krankenkassen abgegeben werden sollten — eine entsprechende Kosten-Nutzen-Analyse würde hier sicher zu einem positiven Resultat führen. Insbesondere die Kombination einer frühzeitigen Information mit niedrigschwelliger Versorgung hat sich im Gesundheitswesen bisher immer als positiv herausgestellt (siehe Vitamin-D- und Fluor-Versorgung).