Im Rahmen der "KBV-Zukunftspraxis" sollen innovative E-Health-Anwendungen in Arztpraxen auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Fünf solcher digitaler Ideen befinden sich nun im Testlauf.

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Aktuell läuft die "KBV-Zukunftspraxis"- Testphase in ausgewählten Praxen. Eine digitale Lösung für eine papierfreie Praxis hat viele Ärzte bereits überzeugt.

Bei dem von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) veranstalteten Digitalisierungs-Wettbewerb zur Zukunftspraxis waren aus 60 Einreichungen zehn innovative E-Health-Lösungen ausgewählt worden.

Ziel der im März 2017 gestarteten Initiative ist es, den Alltag von Ärzten und Patienten zu verbessern. In einem insgesamt rund zwölf bis 18 Monate dauernden Testlauf prüfen Praxen derzeit fünf der zehn Anwendungen und Dienste auf ihre Praxistauglichkeit.

Das Interesse aus der Ärzteschaft war groß, mehr als 300 Praxen hatten sich für eine Teilnahme an der Implementierungsphase beworben, 150 davon sind nun final dabei. Die Ergebnisse aus den Praxistests sollen im Laufe des Jahres 2022 ausgewertet sein. Das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft und Prodekanat für Studium und Lehre an der Berliner Charité wurde beauftragt, die Evaluation technisch und organisatorisch zu begleiten.

Gemeinsam mit dem KBV-Projektteam entwickelt es derzeit spezielle Fragebögen für alle Praxisanwendungen. Darin soll ermittelt werden, wie die einzelnen Anwendungen im Querschnittvergleich über alle Teilnehmer hinweg abgeschnitten haben. Aber auch der Längsschnittvergleich für einzelne Praxen soll erhoben werden.

Feedback der Praxen fließt mit ein

In die Wertung fließt das Feedback der Praxen ein, das zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfragt wird: Vor dem Projektstart und drei Monate danach. Im Mittelpunkt stehen dann beispielsweise Fragen, wie sich die Teilnehmer mit den Anwendungen und Tools zurechtfinden und wie die Prozesse nach der Umstellung laufen. Die Abschlussbefragung erfolgt nach Ablauf der Testphase. Dann wird es um die Gesamterfahrungen gehen. "In der Auswertung spielt aber auch eine Rolle, wie technikbereit und technikaffin die Teilnehmer sind", sagt Jan Zöllick von der Charité.

Zusätzlich wird es eine Studie von Medizinstudenten geben, die herausfinden wollen, welchen Nutzen medizinisch-diagnostische Unterstützungssysteme haben. Im Kern geht es um die Frage, ob eine Diagnosefindung dadurch präziser ist als mit herkömmlichen Methoden.

Im Folgenden werden fünf Dienste vorgestellt, die im Rahmen der "KBV-Zukunftspraxis" getestet werden.

Aaron.ai: künstliche Intelligenz federt Anrufe ab

Der smarte Telefonassistent "Aaron.ai" ist nach Angaben des Geschäftsführers, Richard von Schaewen, in der Lage, telefonische Patientenanfragen so weit wie möglich autonom zu bearbeiten und strukturiert zu dokumentieren.

Die Bilanz des Geschäftsführers fällt rund ein Jahr nach dem Start in der KBV-Zukunftspraxis durchaus positiv aus: Der smarte Telefonassistent sei derzeit in über 70 Arztpraxen im Einsatz, darunter sowohl Einzelpraxen als auch medizinische Versorgungszentren oder Praxen mit mehreren Standorten. Dabei fungiert er in der Regel als zusätzliche Unterstützung in Stoßzeiten oder außerhalb der Sprechzeiten als Anrufbeantworter, der die Anliegen sogleich dokumentiert.

In einigen Praxen werde "Aaron.ai" auch als Standardlösung genutzt, die Telefonate regelhaft annimmt und die Patientenströme steuert. Eingesetzt werde der Assistent auch als Mitarbeiter für spezifische Anliegen, etwa Rezeptwünsche oder Terminabsagen. Dr. Hiwa Dashti, der "Aaron.ai" in seiner Praxis nutzt, erklärte, dass die Mitarbeiter spürbar entlastet würden und die Zufriedenheit bei Patienten wachse, da am Ende des Tages alle Anrufe abgearbeitet seien. "Wir merken, dass wir die Sorgen der Patienten über diesen Anrufbeantworter kanalisieren können."

Die künstliche Intelligenz kann laut Unternehmen inzwischen außerdem Patienten identifizieren, die Anfragen zu Corona haben und entsprechend leiten. Im Durchschnitt habe der smarte Assistent so rund 45 % des Anrufvolumens in Praxen abgefangen.

RED medical: Praxisverwaltung komplett online

"Das Gesundheitswesen läuft der technologischen Entwicklung hinterher. Webbasierte Lösungen sind immer noch rar im Markt", erklärte Jochen Brüggemann, Geschäftsführer und Gründer von RED Medical.

Das Unternehmen hat das gleichnamige, webbasierte Cloud-Praxisverwaltungssystem (PVS) entwickelt. Es wird als "Software as a Service" vollständig in externen Rechenzentren geführt.

Auch die Konnektoren, die jede Arztpraxis spätestens ab dem 1. Juli 2021 an die Telematikinfrastruktur anbinden sollen, müssen nicht in den Räumlichkeiten vor Ort installiert werden. Die Software ist bereits durch die KBV zertifiziert. Im Fokus des Testprojekts stand in den vergangenen Monaten insbesondere die Frage nach Praktikabilität, Nutzen und Akzeptanz der virtuellen PVS-Lösung.

Das Programm biete den Vorteil, dass jederzeit von überall auf das System zugegriffen werden könne, so Brüggemann. "Datensicherung, Wartung und Updates liegen in den Händen von Profis in den Rechenzentren und müssen nicht von Praxen und Apotheken geleistet werden."

Das System bietet außerdem weitere Services wie die Möglichkeit, Videosprechstunden und Konferenzen abzuhalten sowie Termine zu vereinbaren. Die notwendige Sicherheit werde durch eine vollständig Ende-zu-Ende-Verschlüsselung garantiert. In Zukunft will das Unternehmen, einen Beitrag leisten, alle Beteiligten des Gesundheitswesens miteinander zu vernetzen.

Idana: Weg zur papierfreien Praxis überzeugt Ärzte

Die Softwarelösung "Idana", die in den "KBV-Zukunftspraxen" getestet wird, stellt digitale, krankheitsspezifische Fragebögen bereit. Ärzte können damit unter anderem die Anamnese ihrer Patienten vorab digital erfassen und auswerten oder Verlaufskontrollen automatisieren. "Bei jedem Patientenbesuch können rund fünf Minuten eingespart werden", bilanziert Lucas Spohn, Geschäftsführer der Tomes GmbH. "Damit bleibt mehr Zeit für das Gespräch mit dem Patienten."

Zudem seien administrative Prozesse, etwa Einwilligungsformulare, digital zu erledigen, indem der Patient vorab oder während der Wartezeit in der Praxis die Formulare digital ausfüllt und unterzeichnet. Sie werden dann automatisch im Praxisverwaltungssystem hinterlegt. "Die Praxis erhält alle Daten so, wie sie sie braucht und steuern kann und Patienten können bestimmen, wann und wo sie ihre Daten eingeben", erklärt Spohn.

Patienten kommen demnach entweder über einen Praxisaushang mit QR-Code und Link zu den Fragebögen oder per E-Mail. Alternativ kann das Praxispersonal die Software in der Praxis für den Patienten starten. Fragebögen stünden in Anlehnung an die entsprechenden Leitlinien standardisiert zur Verfügung, könnten aber auch individuell angepasst werden.

Den Angaben Spohns zufolge ist das Feedback von Ärzten und Patienten "sehr positiv". Ärzte profitierten unter anderem durch die Zeitersparnis, aber auch die Möglichkeit, administrative Prozesse papierfrei zu gestalten. Patienten schätzten den Komfort, ihre Daten orts- und zeitunabhängig eingeben zu können.

Xpert Eye: Datenbrille ermöglicht virtuellen Schulterblick

Wie lässt sich die ärztliche Versorgung von Heimbewohnern und nicht mobilen Personen verbessern? Dieser Frage hat sich das Kölner Start-up AMA angenommen und "Xpert Eye" entwickelt - eine Datenbrille, die als "You see what I see"-Lösung in Kombination mit einem Smartphone gedacht ist. Bei Haus- und Heimbesuchen können Ärzte und medizinische Fachangestellte (MFA) künftig auf den "virtuellen Schulterblick" setzen: Dank der Datenbrille, die eine MFA beim Patienten bei Bedarf aufzieht, kann sich der Arzt per Videokonferenz selbst ein Bild machen und der Mitarbeiterin vor Ort unterstützend und beratend zur Seite stehen. So entsteht eine ortsunabhängige Verfügbarkeit ärztlicher Expertise.

Nun will das Start-up seine Testphase in den Arztpraxen starten. Das Unternehmen ist überzeugt, dass die Zahl der ärztlichen Hausbesuche reduziert werden könne, ohne dass sich die Versorgung verschlechtert.

Die Hände der Datenbrillenträger bleiben frei, dadurch wird den Nutzern maximale Handlungsfreiheit zugesichert. Es komme zu keinerlei Verzögerungen, was insbesondere bei Einsätzen von Rettungssanitätern oder bei Ärzten in Notfallsituationen von großer Wichtigkeit sei, so das Unternehmen.

"Unsere Hard- & Software Komplettlösung verbindet Mitarbeiter über weite Entfernung miteinander, als wären sie zur gleichen Zeit am selben Ort", sagt Nürnberg. "Damit können die Praxen Zeit und Geld sparen."

Klindo: Digitaler Fragebogen nicht für alle praktikabel

Im Februar letzten Jahres ist die Software "Klindo" in den Praxistest im Rahmen der "KBV-Zukunftspraxis" gestartet. Die digitale Sprechstundenhilfe dient der Erfassung und Auswertung von standardisierten psychometrischen Fragebögen. Mit "Klindo" soll die Dokumentation und Auswertung schneller, einfacher und sicherer erfolgen, als es bisher in der Papierdokumentation üblich war.

Insgesamt 41 Praxen waren für die einjährige Evaluationsphase avisiert, tatsächlich teilgenommen haben dann letztlich 21 Zukunftspraxen, wie Jochen Rausch, Initiator und Geschäftsführer von "Klindo", berichtet. Sechs der teilnehmenden Praxen haben den Angaben zufolge keine Tests über die Software durchgeführt, elf Praxen wollen die Software nach der Evaluationsphase nicht weiter nutzen. Vier Praxen waren vom Nutzen der Anwendung überzeugt und wollen sie auch weiterhin im Praxisalltag integrieren.

Ein Grund für die vielen Absprünge ist nach Auffassung Rauschs die Corona-Pandemie, die kurz nach dem Start der Evaluationsphase ausbrach. "Einigen Praxen fehlte schlichtweg die Zeit, sich im Alltag mit der neuen Technologie zu befassen." Ein anderer Grund könnte sein, so Rausch, dass es innerhalb der Software noch Lücken im Bereich Kinder- und Jugendpsychotherapie gebe. "Wir müssen den Nutzen in diesem Bereich deutlich steigern", so Rauschs Lehre.

Die Ärzte, die "Klindo" weiter nutzen, seien besonders überzeugt von der digitalen Prozessoptimierung im Behandlungsalltag, da die Basisdokumentation nicht mehr mit Papier und Stift erfolgen müsse.