Fragestellung: Ist die Behandlung mit Rituximab potenziell wirksam in der Therapie der sekundär progredienten Multiplen Sklerose (SPMS)?

Hintergrund: Die Therapieoptionen bei sekundär chronisch-progredienter MS sind limitiert. Neben dem alten Chemotherapeutikum Mitoxantron, älteren Interferonen und dem kürzlich zugelassenen Siponimod sind keine zugelassen Substanzen für die Behandlung dieser MS-Form verfügbar. Auch aus pathophysiologischer Sicht ist eine Behandlung schwieriger, da die zugrunde liegenden Mechanismen weniger gut verstanden sind als beim schubförmigen Verlauf und wahrscheinlich eine komplexe Mischung aus inflammatorischen und langsam zunehmenden neurodegenerativen Prozessen vorherrscht. Klinische wie experimentelle Daten deuten darauf hin, dass auch in der fortschreitenden MS-Form B-Zellen eine wichtige Rolle spielen. Eine B-Zell-Depletion könnte daher auch in dieser Erkrankungsphase therapeutisch wirksam sein. Zwei Phase-II-Studien untersuchten den Effekt von Rituximab bei schubförmig remittierender MS (RRMS; HERMES-Studie) und primär progredienter MS (PPMS; OLYMPUS-Studie). Bei RRMS-Patienten war Rituximab hochsignifikant wirksam. Bei PPMS-Patienten zeigte Rituximab nur in einer Subgruppe im Alter unter 51 Jahren mit aktiven MRT-Herden klinisch signifikante Effekte. Diese Studie untersuchte nun die klinische Wirksamkeit von Rituximab bei Patienten mit SPMS.

Patienten und Methodik: Die retrospektiven Studie untersuchte die klinischen Effekte von Rituximab bei SPMS-Patienten und verglich deren klinischen Verlauf mit dem von demografisch vergleichbaren SPMS-Patienten ohne Therapie. Eingeschlossen wurden 54 mit Rituximab behandelte und 59 unbehandelte SPMS-Patienten. Der primäre Endpunkt war die Progression des EDSS, ein sekundärer Endpunkt die Zeit bis zur bestätigten Progression.

Ergebnisse: Die mit Rituximab behandelten Patienten hatten bei Baseline ein mittleres Alter von 49,7 Jahren, eine durchschnittliche Erkrankungsdauer von 18,2 Jahren und einen durchschnittlichen EDSS-Score von 5,9. In der Kontrollgruppe hingegen lag das mittlere Alter bei 51,3 Jahren, die Erkrankungsdauer bei 19,4 Jahren und der mittlere EDSS-Score bei 5,7. In der adjustierten Analyse hatten die mit Rituximab behandelten Patienten zu den vergleichbaren Follow-up-Zeitpunkten einen signifikant niedrigeren EDSS-Score als die Kontrollgruppe (mittlerer Unterschied: -0,52; 95 %-Konfidenzintervall: -0,79 bis -0,26; p < 0,001). Auch die Zeit bis zur bestätigten Erkrankungsprogression war in der Rituximabgruppe signifikant verzögert. So zeigten nach vier Jahren nur 25 % der Patienten in der Rituximabgruppe eine bestätigte Progression, während in der Kontrollgruppe bereits zirka 50 % der Patienten eine bestätigte Progression aufwiesen.

Schlussfolgerung: In dieser Studie hatten SPMS-Patienten unter einer Rituximabtherapie einen signifikant niedrigeren EDSS in einem Beobachtungszeitraum von bis zu zehn Jahren und die Zeit bis zur bestätigten Erkrankungsprogression war signifikant verzögert. Damit scheint eine B-Zell-Depletion auch bei SPMS-Patienten therapeutisch wirksam zu sein.

Naegelin Y, Naegelin P, von Felten S et al. Association of rituximab treatment with disability progression among patients with secondary progressive multiple sclerosis. JAMA Neurology 2019;76:274-81