Fragestellung: Es wurde eine Metaanalyse zur Häufigkeit und zum Risiko des Auftretens von Aggressivität bei Menschen mit einer Alzheimer-Demenz (AD) oder einer milden kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) durchgeführt.

Hintergrund: Aggressivität ist eine der häufigsten Verhaltensauffälligkeiten bei kognitivem Abbau und führt zu Komplikationen wie erhöhten Kosten, vermehrten Krankenhausaufenthalten, erhöhter Belastung der pflegenden Angehörigen, früheren Pflegeheimumzügen, vermehrter Medikation (v. a. Antipsychotika) mit geringer Wirkung und Nebenwirkungsrisiko sowie häufigeren Fixierungen. Bisherige Studienergebnisse zur Häufigkeit von Aggressivität bei Menschen mit AD oder MCI waren sehr heterogen.

Patienten und Methodik: In die umfangreiche Literaturrecherche wurden Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien eingeschlossen, die Menschen mit AD oder MCI mit kognitiv Gesunden bezüglich des Auftretens von Aggressivität verglichen und validierte Skalen wie zum Beispiel das Neuropsychiatrische Inventar (NPI) verwendeten. Studien ohne ausreichende Datenangaben zur Berechnung von Odds Ratios (OR) und Studien mit Menschen im Krankenhaus, Pflegeheim oder anderen Institutionen wurden ausgeschlossen.

Ergebnisse: Die Autoren fanden 17 Studien mit insgesamt 6.399 Menschen mit AD und 2.582 Menschen mit MCI. Im Vergleich zu 5‚8 % (n = 54) der gesunden Älteren zeigten 27‚8 % (n = 2.321) der Menschen mit AD und 7‚4 % (n = 306) der Menschen mit MCI aggressives Verhalten. In der Metaanalyse ergab sich bei Menschen mit AD eine 4‚9-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten (95 %-Konfidenzintervall [KI]: 1‚8–13‚2), bei hoher Heterogenität der Studien. MCI war dagegen nicht signifikant mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Aggressivität assoziiert (OR: 1‚8; 95 %-KI: 0‚7–4‚3), bei mittlerer Heterogenität der Studien. Die Wahrscheinlichkeit für Aggressivität war bei Menschen mit AD 2‚6-fach höher als bei Menschen mit MCI (95 %-KI: 1‚7–4‚0), bei mittlerer Heterogenität der Studien. Menschen mit anderen Demenzerkrankungen und Menschen mit AD zeigten eine ähnliche Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten, ebenso ergab sich kein Unterschied zwischen Menschen mit amnestischer MCI und nicht amnestischer MCI. In der Studie mit dem niedrigsten Anteil an männlichen Patienten trat am seltensten aggressives Verhalten auf, in der Studie mit dem höchsten Anteil an männlichen Patienten am häufigsten. Aufgrund unzureichender Daten und Angaben konnten jedoch keine Subgruppenanalysen durchgeführt werden. In populationsbasierten Studien ergab sie eine 3‚2-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten bei Menschen mit AD oder MCI und bei Patienten von Gedächtnisambulanzen eine 2‚5-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit.

Schlussfolgerungen: Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von aggressivem Verhalten bei Menschen mit AD ist im Vergleich zu gesunden Älteren deutlich erhöht. In Anbetracht der negativen Auswirkungen dieser Verhaltensstörung für die Patienten selbst, die Pflegenden und Institutionen fordern die Autoren ein proaktives Management und Strategien zur Prävention.

Kommentar von Katharina Geschke, Mainz

Nicht jede Verhaltensauffälligkeit bedingt eine Behandlung

Diese Metaanalyse belegt eine fast fünffach erhöhte Wahrscheinlichkeit für aggressive Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit einer Alzheimer-Demenz in einem ambulanten Setting im Vergleich zu gesunden Älteren. Ein ähnliches Ergebnis ergab sich für Menschen mit anderen Demenzerkrankungen. Menschen mit MCI hingegen zeigten keine signifikant vermehrten aggressiven Verhaltensauffälligkeiten.

Die Metaanalyse wurde nach den Leitlinien PRISMA (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) und MOOSE (Meta-Analyses of Observational Studies in Epidemiology) erstellt. Das Studienprotokoll ist registriert und die Methoden werden transparent beschrieben.

Die Ergebnisse der Studie belegen jedoch nur die Erfahrungen aus der klinischen Praxis. Im klinischen Alltag ist viel relevanter, dass nicht jede Verhaltensauffälligkeit bei Demenz — aggressiv oder nicht — eine medikamentöse Behandlung bedingt. So ist bei der Indikationsstellung vor allem auf die Lebensqualität des Patienten und des pflegenden Angehörigen zu achten. Auch in der S3-Leitlinie Demenzen haben nicht medikamentöse Verfahren Vorrang gegenüber medikamentösen Therapien. Es muss in Anbetracht der Häufigkeit von Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Demenz weiter deutlich mehr am Ausbau von nicht medikamentösen Verfahren gearbeitet werden. Diese sollten flächendeckend verfügbar und durch die Krankenversicherungen finanziert sein.

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Dr. med. Katharina Geschke, Mainz