Fragestellung: Besteht ein Zusammenhang zwischen Exposition beziehungsweise Therapieversagen von Escitalopram (ES) in Abhängigkeit vom jeweiligen Genotyp des verstoffwechselnden Enzyms CYP2C19?

Hintergrund: Erkrankungen des affektiven Formenkreises haben weltweit einen großen Anteil an der Morbidität. In Bezug auf die Pharmakotherapie ist nach aktueller Studienlage jedoch kein klarer Wirksamkeitsvorteil spezifischer Antidepressiva nachzuweisen. ES stellt jedoch den selektivsten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) dar und ist somit in der klinischen Anwendung ein sehr häufig eingesetztes Präparat, das üblicherweise in der Standarddosierung von 10 mg begonnen wird. ES wird über das hepatische CYP2C19 metabolisiert, das einer großen genetischen Variabilität unterliegt, wobei bislang nur eine Gain-of-Function-Variante bekannt ist.

Patienten und Methodik: Die Studie analysierte retrospektiv die Daten von 2.087 Patienten unter ES aus einer norwegischen Datenbank. Auswahlkriterien waren die CYP2C19-Genotypisierung und die Bestimmung von ES-Serumkonzentration, Alter, Geschlecht und Zeitabstand zwischen letzter ES-Einnahme und Spiegelbestimmung. Die Patienten wurden entsprechend der Genotypisierung in vier Gruppen eingeteilt: Poor Metabolizer, Intermediate Metabolizer, Extensive Metabolizer und Ultrarapid Metabolizer. Ein gemischtes Modell wurde angewandt, um den Einfluss des Genotyps auf die ES-Exposition zu bewerten. Die jeweilige ES-Dosis wurde auf eine Tagesdosis von 10 mg/d normalisiert. Als Therapieversagen wurde ein Wechsel von ES auf ein anderes Antidepressivum innerhalb eines Jahres definiert. Zudem wurde ein ES-Spiegel von 25 nM als subtherapeutische Konzentration definiert.

Ergebnisse: Im Vergleich der vier verschiedenen genotypbasierten Gruppen ergab sich ein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Serumkonzentration. Poor Metabolizer und Intermediate Metabolizer zeigten signifikant höhere Spiegel im Vergleich zu den Extensive Metabolizern. Umgekehrt wiesen Ultrarapid Metabolizer signifikant niedrigere Konzentrationen auf. Über alle vier Gruppen hinweg wurden bei Patienten über 65 Jahre erhöhte Spiegel gemessen. Darüber hinaus zeigte sich, dass mit Zunahme der metabolischen Aktivität das Risiko für subtherapeutische Spiegel zunimmt. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres das Antidepressivum zu wechseln, war am größten in der Gruppe der Patienten, die die höchste metabolische Aktivität aufwies, sowie in der Gruppe der Patienten mit der schwächsten metabolischen Aktivität.

Schlussfolgerungen: Der jeweilige Genotyp hat einen entscheidenden Einfluss auf den ES-Spiegel und das Therapieversagen. Insbesondere Ultrarapid Metabolizer sowie Poor Metabolizer würden am stärksten von einer prätherapeutischen Genotypisierung und einer individualisierten Dosiswahl profitieren.

Kommentar von Johanna Grüner, Erlangen

Genotypisierung als mögliche künftige Standarddiagnostik?

Die vorliegende retrospektive Kohortenstudie umfasst ein großes Patientenkollekiv, dessen Allelfrequenzen repräsentativ, also vergleichbar mit der europäischen Population, sind (Evidenzniveau III). Als limitierende Faktoren sind zu nennen, dass in der Untersuchung das Verteilungsvolumen der Patienten, ihre Komorbiditäten und ihre Komedikation nicht weiter in der Auswertung und Patientenauswahl berücksichtigt wurden. Zudem betrachtet die Studie nicht, in welcher Indikation ES verordnet wird. Ferner ist diskutierbar, ob der Parameter „Therapieversagen“ durch den Wechsel auf ein anderes Antidepressivum adäquat abgebildet wird. In der Studie wird zudem nicht definiert, ob eine Augmentation von ES als Therapieversagen gewertet wird.

Ungeachtet der diversen Studienlimitationen ist die vorliegende Arbeit ein wichtiger Schritt in Richtung einer individualisierten Medizin, welche insbesondere in der Psychiatrie von großer Bedeutung ist, um zum einen die Compliance zu stärken und zum anderen einen raschen Therapieerfolg zu generieren. Ersteres ist insbesondere bei antriebsgehemmten Patienten von Bedeutung, letzteres hat besonders bei suizidalen Patienten große Brisanz. Wünschenswert wäre eine weiterführende Studie, welche die Wirtschaftlichkeit dieser Untersuchung analysiert. Eine derartige Diagnostik bei der Behandlung von Psychosen wurde bereits als rentabel eingeordnet [1].

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Dr. med. Johanna Grüner, Erlangen