Fragestellung: Wie wirksam ist die Monotherapie mit Benzodiazepinen bei einer Depression im Vergleich zur Behandlung mit Antidepressiva oder Placebo?

Hintergrund: Die Wirkung von Antidepressiva setzt erst nach einer mehrwöchigen Latenz ein. Benzodiazepine sind wegen ihrer unmittelbaren Wirkung eine potenziell interessante Alternative.

Patienten und Methodik: Die Autoren erstellten eine systematische Übersichtsarbeit von randomisierten kontrollierten Studien, in denen Benzodiazepine mit Antidepressiva und/oder Placebo in der Behandlung der Depression (Primärdiagnose) verglichen wurden. Sofern möglich, wurden die aus den Studien extrahierten Daten für eine Metaanalyse verwendet. Primärer Endpunkt war die Responserate, sekundäre Outcomes waren die Abbruchrate und unerwünschte Nebenwirkungen.

Ergebnisse: Von 38 in die Übersichtsarbeit eingeschlossenen Studien bezogen sich die meisten auf den Vergleich mit trizyklischen Antidepressiva und/oder Placebo, nur in einer Studie wurde mit Fluvoxamin, einem neueren Antidepressivum, verglichen. Die Studiendauer variierte zwischen drei und zwölf Wochen. Die meisten Studien sahen einen Effektvorteil von Benzodiazepinen gegenüber Placebo, während sich die Wirksamkeit von Benzodiazepinen und Antidepressiva meist nicht signifikant unterschied. Die Rate der durch Wirkungslosigkeit verursachten Therapieabbrüche war höher in der Placebogruppe. In einigen Studien fand man zudem eine höhere Abbruchrate in der Antidepressiva- im Vergleich zur Benzodiazepingruppe, was auf häufigere Nebenwirkungen in dieser Gruppe zurückgeführt werden konnte. Auch wurde in manchen Studien ein schnelleres Eintreten der Response bei Benzodiazepinen gegenüber Antidepressiva beschrieben. Für den Vergleich von Benzodiazepinen und Placebo wurden acht Studien mit insgesamt 1.302 Patienten in die Metaanalyse eingeschlossen. In keiner der Studien waren Benzodiazepine Placebo statistisch überlegen. Im metaanalytischen Vergleich zwischen Benzodiazepinen und Antidepressiva wurde auf 20 Studien mit insgesamt 2.118 Teilnehmern zurückgegriffen. Mit einer Risk Ratio (RR) für die Response von 0,81 spricht das Ergebnis für die Überlegenheit von Antidepressiva, allerdings bestand auch hier kein statistisch signifikanter Unterschied (95 %-KI: 0,51–1,27; p = 0,36). Es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen ängstlicher und nicht ängstlicher Depression gefunden werden.

Schlussfolgerungen: Die Autoren betonen, dass keine signifikanten Unterschiede im Ansprechen auf Benzodiazepine und Antidepressiva festgestellt wurden. Sie halten den monotherapeutischen Einsatz von Benzodiazepinen wegen des schnellen Wirkeintritts und der besseren Verträglichkeit für möglicherweise empfehlenswert in der kurzfristigen Behandlung der Depression.

Kommentar von Lea-Teresa Nagel und Tom Bschor, Berlin

Unerwartete Ergebnisse — unerwartete Schlussfolgerungen

Die Metaanalyse wies mehrere unerwartete Ergebnisse auf: 1. Benzodiazepine sind nicht statistisch signifikant besser antidepressiv wirksam als Placebo; 2. Antidepressiva schneiden besser ab als Benzodiazepine, wenn auch nicht signifikant, und 3. ängstlich-depressive Patienten profitieren nicht stärker von Benzodiazepinen als nicht ängstliche Patienten. Insbesondere das erstgenannte Ergebnis überrascht, da Benzodiazepine einen unmittelbar positiven Einfluss auf mehrere Depressionssymptome in den Beurteilungsskalen haben (Ein- und Durchschlafen, Früherwachen, körperliche Angst, psychische Angst, Unruhe), ohne dass dies bereits einer genuin antidepressiven Wirkung entspräche. Die Schlussfolgerung der Autoren, nach der Benzodiazepine möglicherweise empfohlen werden können, ist mit Vorsicht zu betrachten (geringe Datenmenge, keine Beurteilung der Studienqualität, extreme Streuung der Ergebnisse). Das Fehlen eines statistisch signifikanten Unterschieds zwischen dem Therapieansprechen auf Benzodiazepine und Placebo wird ignoriert und nur eine Studie enthält Informationen zum Verlauf nach Absetzen. Ein im Vergleich zu Antidepressiva rascher Wirkverlust nach Absetzen kann angenommen werden. Auch sollten die langfristigen Risiken einer Benzodiazepintherapie beachtet werden. Besonders irritierend ist, dass die Autoren dem Abhängigkeitsrisiko von Benzodiazepinen kaum Beachtung schenken. Die S3-Leitlinie rät von einem generellen Gebrauch von Benzodiazepinen in der Depressionsbehandlung ab. Eine zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen kann nach individueller Nutzen-Risiko-Einschätzung erwogen werden, sollte aber nicht länger als vier Wochen erfolgen. Die vorliegende Übersichtsarbeit überzeugt nicht von der Wirksamkeit einer Benzodiazepinmonotherapie in der Depressionsbehandlung und stellt die Empfehlung der S3-Leitlinie nicht infrage.

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Lea-Teresa Nagel und Tom Bschor, Berlin