Fragestellung: Wie hoch ist die Prävalenz der Antikörper gegen das JC-Virus unter deutschen MS-Patienten und lassen sich spezifische Infektionsmuster erkennen?

Hintergrund: Die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) ist eine sehr seltene Erkrankung, die jedoch mit einer hohen Letalität verbunden ist. Unter der Therapie mit Natalizumab sind weltweit bereits etwa 300 PML-Fälle (Stand Dezember 2012) bei MS-Patienten aufgetreten, wobei die Letalität circa 20–25% beträgt. Das PML-Risiko steigt mit der Dauer der Natalizumab-Behandlung (länger als 24 Monate), spezifischen Vorbehandlungen, insbesondere immunsuppressiven und chemotherapeutischen Therapien sowie mit dem Nachweis einer bereits erfolgten JC-Virus-Exposition. Idealerweise sollte es möglich sein, das Risiko einer PML durch einen einfachen Test abzuschätzen. Die bisherigen Virus-DNA-Tests in Serum und Urin waren unzuverlässig. Der Nachweis der Virus-DNA im Liquor gilt unverändert als Nachweis der Erkrankung selbst.

Durch die Einführung des JCV-Antikörper-Tests soll nun ein einfaches Instrument zur Verfügung gestellt werden, das es erlaubt, das Risiko an einer PML zu erkranken, besser einzuschätzen. Detaillierte Zahlen zur Prävalenz bei deutschen MS-Patienten lagen bisher nur für kleine Gruppen vor.

Patienten und Methodik: Mehrere deutsche MS-Zentren haben ihre Patienten konsekutiv auf die Prävalenz von JC-Virus-Antikörpern untersucht. Die demografischen Kerndaten von über 500 Patienten inklusive Daten zu Erkrankungsdauer und -verlauf wurden zentral ausgewertet und mit dem Antikörperstatus abgeglichen.

Ergebnisse: Die JCV-Antikörper-Prävalenz betrug durchschnittlich 56%. Es bestanden keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern, hinsichtlich Erkrankungsdauer oder -verlauf. Unterschiedlich war aber die Prävalenz im Hinblick auf das Alter: Je älter die Patienten waren, desto höher war die Antikörperprävalenz (▸Abb. 1 ). Von innerhalb der Kohorte bekannten PML-Patienten (n = 6), stand von drei Patienten Serum vom Zeitpunkt vor der PML-Diagnose zur Verfügung. Alle drei Proben waren positiv.

Schlussfolgerungen: Die Prävalenz der JCV-Antikörper entspricht mit circa 56% etwa der Rate, die auch aus anderen Ländern (USA, Italien, Schweden) kürzlich berichtet worden ist. Interessant ist die Beobachtung, dass mit dem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit einer Exposition, ähnlich wie bei anderen Erregern auch langsam ansteigt und im Alter über 60 Jahre schließlich über 70% beträgt. Die Zahlen lassen ferner die Hypothese zu, dass mit einer Konversionsrate von etwa 2–3% pro Jahr zu rechnen ist.

figure 1

1 Verteilung von Anti-JC-Virus-Antikörpern nach Alter und Geschlecht

© MS Journal 2012; 18: 1054–55

Kommentar von Prof. Volker Limmroth

Mindestens einmal pro Jahr testen

Diese Studie an über 500 deutschen Patienten gibt einen guten Überblick über die JCV-Antikörper-Prävalenz in Deutschland. Im Durchschnitt liegt die Prävalenz bei knapp 60%. Leider ließen sich keine Infektionsmuster erkennen. Der einzige Faktor, der mit der Zunahme der Prävalenz korreliert, ist das Alter der Patienten: mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz langsam an, wie bei anderen Erregern auch. Alle PML-Patienten, die im Rahmen dieser Kohorte untersucht worden sind und von denen Serum vor der Erkrankung zur Verfügung stand, waren ebenfalls positiv, was den prädiktiven Wert des Tests erneut unterstreicht. Der Test als solcher wird offensichtlich neben der Behandlungsdauer und der vorangehenden Behandlung die dritte Komponente der Risikostratifizierung. Die Konversionsrate (von negativ zu AK-positiv) beträgt rechnerisch 2–3% pro Jahr, allerdings zeigen andere Studien eine tatsächliche Konversionsrate unter Natalizumab-Patienten von bis zu 10 % jährlich. Bei negativen Patienten sollte also mindestens jährlich ein erneuter Test vorgenommen werden. Bleibt aber das Dilemma, was machen wir mit Patienten, die viele Jahre unter Natalizumab stabil waren, jetzt aber positiv sind — weiter behandeln? Grundsätzlich ja, aber mit erhöhter Vigilanz und MRT-Kontrollen im Abstand von vier bis sechs Monaten.