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PD Dr. med. Sebastian Kobold Center of Integrated Protein Science Munich (CIPS-M) und Abteilung für Klinische Pharmakologie, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität; Mitglied des Deutschen Zentrums für Lungenforschung Sebastian.kobold@med.uni-muenchen.de

© Steffen Hartmann, Klinikum der LMU München.

Bisher wurden Medikamente im onkologischen Bereich auf Basis von unabhängigen Machbarkeits- und Wirksamkeitsstudien mit spezifischen Patientenkohorten für klar definierte Indikationen und Entitäten zugelassen. Diese Praxis hat sich bewährt, da auch identische Zielmoleküle bei unterschiedlichen Tumorentitäten nicht gleich therapeutisch ansteuerbar sind. Dies liegt womöglich an der biologischen Diversität und Variabilität verschiedener Tumorerkrankungen. Konkret bedeutet dies, dass ein Signalweg bei einer Entität vielleicht zentral für die Tumorzelle ist, bei einer anderen — aufgrund anderer Mutationen und Veränderungen — davon unabhängig sein kann.

Änderungen durch die Präzisionsmedizin

Zunehmend werden in der Onkologie Medikamente zugelassen die genau definierte Veränderungen oder Strukturen angreifen. Diese „Präzisionsmedizin“ ist deutlich von den Zytostatika abzugrenzen, die meist übergeordnete Prozesse des Zellzyklusses oder die Zellteilung hemmen — ohne klare Differenzierung zwischen gesunden und Tumorzellen.

Das Zielspektrum der modernen Präzisionstherapeutika reicht von überexprimierten Antigenen auf der Tumorzelloberfläche, die durch Antikörper adressiert werden, bis zu „Small-molecule-Inhibitoren“, die Punktmutationen in Enzymen erkennen und deren Aktivität hemmen. Solche Mutationen oder Antigene sind meist aber nicht auf eine Tumorart begrenzt. Häufig kommen sie bei mehreren Tumorentitäten vor, wenn auch mit unterschiedlicher Inzidenz. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Medikamente — wenn die entsprechende Veränderung vorliegt — auch entitätenübergreifend eingesetzt werden könnten. Ein solches molekular orientiertes Vorgehen ist Gegenstand klinischer Studien und wird in sogenannten „molekularen Tumorboards“ auch außerhalb registrierter Studien „off label“ umgesetzt. Die potenziellen Vorteile einer solchen Strategie sind bestechend: dadurch könnten Sicherheit und auch Wirksamkeit onkologischer Therapien gesteigert werden. Der klinische Nutzen muss allerdings erst noch belegt werden.

Gibt es schon entitätenübergreifende Strategien?

Strategien, die T-Zellen enthemmen — durch sogenannte Checkpoint-blockierende Antikörper — scheinen sich als ein Beispiel für ein entitätenübergreifendes therapeutisches Prinzip zu etablieren. Die Zahl der Zulassungsindikationen — insbesondere für die gegen PD-1 („programmed cell death protein 1“) gerichteten Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab — nimmt ständig zu. Allerdings stellt sich zunehmend die Frage nach Biomarkern für das Ansprechen auf diese Therapien. In präklinischen Studien hat sich zwar die Mutationslast als potenzieller Kandidat herausgestellt, doch die klinische Anwendbarkeit solcher Analysen ist fraglich; auch lassen sich dadurch nicht alle Patienten, die ansprechen, zuverlässig identifizieren.

Beispiel Pembrolizumab und MSI

Ein indirektes Maß für die Mutationslast bei einer bestimmten Tumorerkrankung ist der zugrundeliegende genetische Defekt. Der Begriff der Mikrosatelliteninstabilität (MSI) ist dem Kliniker bei kolorektalen Karzinomen schon seit längerem ein Begriff. Die MSI korreliert mit einer höheren immunogenen Mutationslast. Bereits 2015 erwies sich eine Pembrolizumab-Behandlung in einer kleinen Studie mit Patienten, deren kolorektale Karzinome MSI-positiv waren, als potenziell wirksam [Le DT et al. N Engl J Med. 2015;372(26):2509-20]. Patienten mit MSI-negativen Karzinomen hatten hingegen keinen Vorteil.

2017 wurde in Science eine Studie veröffentlicht, in der Patienten mit MSI-positiven Tumoren entitätenübergreifend mit Pembrolizumab behandelt wurden [Le DT et al. Science. 2017; 357(6349):409-13]. Die Ergebnisse waren eindrücklich: Die Gesamtansprechsrate lag bei 53 %, die Rate für komplette Remissionen bei 21 %. Ein Ansprechen wurde u. a. sogar bei Patienten mit Pankreaskarzinomen dokumentiert. Auf Basis dieser Studie erteilte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA 2017 die Zulassung von Pembrolizumab für Patienten mit MSI-positiven Tumoren, unabhängig von der Histologie. Ein ähnliches Verfahren läuft zurzeit in Europa. Die FDA-Zulassung ist insofern bemerkenswert, als diese die erste Zulassung eines Krebsmedikamentes nur auf Basis eines molekularen Markers darstellt — ohne Bindung an eine bestimmte Entität.

Noch sind Entitäten die wichtigste Therapiebasis

In Anbetracht der Hoffnung, welche wir dieser Tage auf die zielgerichtete Therapie und Präzisionsmedizin setzen, ist die Euphorie groß: schließlich ist sie mit der Erwartung gekoppelt, dass noch weitere entitätenunabhängige Zulassungen für andere Medikamente kommen werden. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt, zu hoffen, dass in Zukunft nur noch spezifische, patienteneigene Veränderungen identifiziert und gezielt therapeutisch angegangen werden könnten. Dadurch würden Entitäten an Bedeutung verlieren.

MSI als seltener Sonderfall

Bei allem Enthusiasmus ist es aber wichtig festzustellen — und auch aufzuklären —, dass dieser Fall (noch) nicht eingetreten ist. Entitäten sind 2018 unverändert die wichtigste Grundlage, um ein bestimmtes therapeutisches Vorgehen festzulegen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die MSI-positiven Tumorerkrankungen einen seltenen Sonderfall darstellen; sie machen nur etwas über 5 % aller Adenokarzinome aus.

Kritisch muss festgestellt werden, dass die Selektion von Patienten über die MSI zwar mithilft, diejenigen zu identifizieren, die ansprechen; dennoch werden durch die MSI-Selektion keineswegs alle ansprechenden Patienten sicher identifiziert. Fast 50 % sprechen trotz MSI nicht an und nur knapp 20 % erreichen ein komplettes Ansprechen. Das sind zwar im Vergleich, zum Beispiel mit der Therapiestratifizierung anhand von PD-L1 („programmed cell death-ligand 1“), bessere Ergebnisse. Die MSI-Selektion reicht aber dennoch nicht aus, um wirklich sicher Patienten zu identifizieren, die von der Therapie profitieren werden.

Fazit

Es bleibt also abzuwarten, ob sich das Versprechen der molekular gesteuerten Präzisionsmedizin für unsere Patienten in breitem Maße erfüllen wird.

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