Fast zwei Drittel der 3.788 auf dem Weltmarkt angebotenen Arzneimittelwirkstoffe werden in Asien, ganz überwiegend in China und Indien, produziert. Für fast 60 % der Wirkstoffe gibt es weltweit nur bis zu fünf Zulassungen.

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Der Sandoz-Standort Kundl in Österreich ist die letzte Produktionsstätte für Antibiotika in Europa.

Es war ein banales Medizinprodukt, dessen Nichtverfügbarkeit der Politik unter die Haut fuhr und erwirkte, dass nun auch die fragile Versorgung mit essenziellen Arzneimitteln auf der europäischen Agenda steht. Atemmasken und Schutzkleidung waren bei der sich rasant ausbreitenden COVID-19-Pandemie Anfang 2020 zu einem weltweit knappen Gut geworden, die Preise schossen in die Höhe, Regierungen reagierten panisch, Hasardeure machten fette Geschäfte.

Die Pandemie machte deutlich, dass sich hochentwickelte und reiche Industrienationen in gefährlichem Ausmaß von China und Indien abhängig gemacht haben, Ländern, die noch vor wenigen Jahren zur Dritten Welt zählten. Diese Abhängigkeit gilt auch für Teile der Arzneimittelversorgung, in der Hauptsache patentfreie Arzneimittel.

Bisher nur Mangelbewirtschaftung

Seit Jahren kommt es immer wieder zu länger anhaltenden Lieferstörungen, die auch in Versorgungsengpässe münden können. Häufige Ursachen: Qualitätsprobleme bei der Produktion, Havarien, aber auch unerwartet steigende Nachfrage auf dem Weltmarkt. Systematisch erfassen Arzneimittelbehörden inzwischen Liefer- und Versorgungsengpässe, die Meldepflichten der Unternehmen sind verschärft worden, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurde ein Beirat aller relevanten Stakeholder eingerichtet, um die Versorgungslage zu analysieren.

Allein mit den Methoden des Arzneimittelrechts und der Mangelbewirtschaftung lässt sich das Problem nicht bewältigen. Notwendig sind neue wirtschafts- und industriepolitische Ansätze, die die Versorgung stabilisieren.

Entscheidend ist die Zahl der Zulassungen

Wie fragil Teile der Arzneimittelversorgung weltweit im Laufe der Jahre geworden sind, zeigt der Report "Woher kommen unsere Wirkstoffe? Eine Weltkarte der API-Produktion". Erstellt wurde die Studie von dem Münchner Beratungsunternehmen Mundi Care unter der Leitung von Dr. Andreas Meiser im Auftrag von Pro Generika.

Entscheidend für die Versorgungssicherheit ist die Zahl der zertifizierten Zulassungen (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia, CEP; der Nachweis, dass die Wirkstoffqualität einer Monografie des Europäischen Arzneibuchs genügt). Je mehr Zulassungen pro Wirkstoff es gibt und je gleichmäßiger diese nach Weltregionen verteilt sind, umso stabiler ist die Versorgung, weil Ausfälle bei einem Hersteller flexibler kompensiert werden können (Abb. 1).

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: Anteil der Wirkstoffe nach Anzahl der validen CEPs pro Wirkstoff

Die Studie enthält eine gute Nachricht: Die Anzahl der Zulassungen am Standort Europa hat auch in den vergangenen 20 Jahren zugenommen, und zwar um 262 % von 348 auf 1.260. Seit 2016 ist eine Stagnation zu beobachten. Das heißt aber: Grundlegende Fähigkeiten für eine umfassende Wirkstoffproduktion sind in Europa erhalten geblieben.

Der Shift nach Asien

Die schlechte Nachricht: Die Anzahl der Zulassungen an asiatischen Standorten hat zwischen 2000 und 2020 um 1.209 % auf 2.369 zugenommen. Das Wachstum in Asien war fast fünfmal höher als in Europa. Insofern haben sich die Zulassungsanteile in den vergangenen 20 Jahren umgekehrt: Betrug der europäische CEP-Anteil im Jahr 2000 noch 59 % und der asiatische 31 % (Rest der Welt 10 %), so liegen die asiatischen Länder aktuell bei 63 %, während die Europäer nur noch auf 33 % kommen. Und unter den asiatischen Ländern haben nur Indien (von 52 auf 66 %) und China (von 13 auf 21 %) ihre CEP-Marktanteile ausgebaut (Abb. 2).

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: Anzahl und Verteilung valider CEP von 2000 bis 2020

Bedenklich für Europa ist die Entwicklung der Marktein- und austritte: Noch bis 2012 gab es mehr neue Hersteller als vom Markt verschwanden. Seitdem ist jedes Jahr die Zahl der Hersteller rückläufig. Anders in Asien: Bis 2016 sind deutlich mehr Hersteller neu in den Markt ein- als ausgetreten; erst seit 2016 deutet sich auch in den asiatischen Märkten eine Konzentration an. Die Anzahl der Hersteller ist jedoch nur bedingt aussagefähig. Denn die meisten indischen und chinesischen Hersteller haben ihre Produktion auf weniger als vier Wirkstoffe fokussiert, weniger als 30 % produzieren vier und mehr Wirkstoffe. Tendenziell haben indische Hersteller ein größeres Portfolio (35 % > sechs Wirkstoffe) als die Chinesen, in denen nur 7 % der Produzenten mehr als sechs Wirkstoffe im Sortiment haben.

Wie bedenklich das Ausmaß der Konzentration auf dem weltweiten Wirkstoffmarkt ist, zeigt die Zahl der Zulassungen (CEPs) je Wirkstoff. So existieren weltweit für 56 % aller Wirkstoffe lediglich fünf oder weniger CEPs. Bei einem Viertel davon - bezogen auf alle Wirkstoffe: 12,5 % - existiert de facto ein weltweites Herstellungs- und Zertifizierungsmonopol. Nur für 20 % der Wirkstoffe existieren weltweit elf oder mehr Zulassungen. Nicht zuletzt liegt dies daran, dass indische und chinesische Hersteller auf großvolumige Wirkstoffe fokussieren. So liegen die asiatischen CEP-Anteile bei den generischen Blockbustern Metformin, Simvastatin, Candesartan und Ramipril zwischen 80 % und 95 % des Weltmarktes.

Große Menge, kleiner Preis

Die Konzentration auf dem weltweiten Wirkstoffmarkt ist die unmittelbare Auswirkung eines unerbittlichen ökonomischen Gesetzes: das der abnehmenden Grenzkosten. Je größer die Ausbringungsmenge je Produktionseinheit, desto niedriger die Kosten je zusätzlich produzierter Wirkstoffeinheit. Dieses Gesetz haben sich weltweit Staaten und Sozialversicherungssysteme als Einkäufer auf dem Generikamarkt zunutze gemacht und den Preisdruck - in Deutschland durch Ausschreibungen und Rabattverträge - erhöht. In der betriebswirtschaftlichen Logik führt dies dazu, dass nur der Monopolist als letzter verbliebener Hersteller eines Wirkstoffs die niedrigsten Grenzkosten realisieren kann.

Fliegt eine solche Fabrik in die Luft oder wird sie von einem Tsunami heimgesucht, folgt der Totalausfall. Tatsächlich ist die Wirkstoffproduktion in China stark auf die Provinz Zhejiang südlich von Shanghai konzentriert, die immer wieder von Taifunen heimgesucht wird.