Üben – ein sportpädagogisches Desiderat

Üben wird in der Sportpädagogik, so bilanziert Küpper Ende der 1980er Jahre, allenfalls „als notwendige, nicht weiter diskutable Selbstverständlichkeit toleriert“ (Küpper, 1989, S. 114). Gleichwohl ist Üben seit jeher eine elementare Praxis des Sportunterrichts (Fahlenbock, 2015, S. 271) und sicherlich auch des außerschulischen Sports. Versteht man Sport als einen gesellschaftlich bedeutsamen Bereich der Bewegungskultur, der „Formen, Stilisierungen und Ästhetisierungen“ enthält (Lagig & Kuhn, 2018, S. 4), wird schnell deutlich, dass für den Erwerb von Bewegungen, von Bewegungsformen und ihrer Stilisierung Üben eine zentrale Praxis darstellt. Historisch betrachtet steht Üben dabei in einer ebenso langen wie wirkungsmächtigen Fachtradition, die es – noch vor der Gründung der deutschsprachigen Sportpädagogik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin – zur Hauptmethode der Körpererziehung erklärt hatte (Trogsch, 1961) und die nach Wiemeyer und Wollny (2017, S. 278) bis zu Guts-Muths und Jahn zurückverfolgt werden kann. Umso bemerkenswerter ist, dass eine systematische und bildungstheoretisch elaborierte Auseinandersetzung mit dem Übungsbegriff bzw. eine Theorie des Übens bisher aussteht. Auch bildungstheoretische Arbeiten zum Üben wie sie beispielsweise von Bollnow (1978) oder von Merleau-Ponty (1974) vorliegen, die in der Sportpädagogik ansonsten durchaus rezipiert werden, bleiben unbeachtet. Bewegungs- oder bildungstheoretische Bezüge verbleiben in diesem Sinne „implizit im Sinne unausgesprochener Vorannahmen und naiver Theorien zum Bewegungslernen“ (Scherer & Bietz, 2013, S. 63).

Üben scheint in der sportpädagogischen Theoriebildung eine vergessene und verkannte Praxis zu sein, obwohl kaum eine Unterrichtsstunde ohne Üben auszukommen vermag. So existiert eine offensichtliche Diskrepanz zwischen einer prosperierenden Praxisrelevanz und einer insuffizienten Theoriebildung.Footnote 1 Diese Diagnose ist nicht überraschend, gehört das Üben doch zu den in der Erziehungswissenschaft und (Fach‑)Didaktiken seit Langem stark vernachlässigten Feldern (Brinkmann, 2012). Eine bildungstheoretische Aufarbeitung des Übens, die seine produktiven und kreativen Potenziale würdigt und sich von psychologischen Lernmodellen und ihren unterrichtstechnologischen Applikationsdidaktiken abgrenzt, steht bis heute aus. Bilanziert Ehni (1985, S. 21) in diesem Sinne, dass das Üben in der Sportpädagogik „aus der wissenschaftlichen Diskussion gekommen“ sei, so möchten wir dieses Desiderat nach nunmehr 35 Jahren aufgreifen und in diesem Beitrag eine – von der Phänomenologie inspirierte – sportpädagogische Theorie des Übens in bildungstheoretischer Perspektive zur Diskussion stellen, um den beschriebenen Theorie-Praxis-Hiatus zu überwinden.

Die bildungstheoretische Perspektive soll dabei deutlich machen, dass im Einüben einer Fertigkeit auch das Ausüben einer Fähigkeit stattfindet. Üben ist nicht nur etwas üben, sondern immer auch sich selbst üben. In der Kultivierung der Fähigkeiten und Fertigkeiten gibt sich die oder der Übende eine Form und formiert sich. Diese Bildung als cura (Sorge) und cultura (Kultur bzw. Kultivierung) hat eine lange abendländische Tradition (Brinkmann, 2021).Footnote 2 Die formatio im Üben betrifft das Verhältnis des Übenden zu sich, zu anderen und zur Welt, wobei es zu einer Transformation dieses Verhältnisses im Sinne einer bildenden Erfahrung kommen kann (Giese, 2019, S. 188). Die Hypothese, die wir in diesem Beitrag als Grundlage einer bildungstheoretischen Legitimierung des Übens in der Sportpädagogik herleiten wollen, lautet: Üben ist eine Praxis, in der eine Fertigkeit (z. B. das obere Zuspiel beim Volleyball oder der Slice beim Tennis), eine Fähigkeit (z. B. Konzentration, Achtsamkeit, soziales Verhalten) und eine Haltung (z. B. Fehlertoleranz, Gelassenheit) erworben werden kann – durch Wiederholung. Dazu stellen wir im Folgenden zunächst den sportpädagogischen Forschungsstand dar, um dann leib- und körpertheoretische Grundlagen motorischen Übens zu diskutieren. Dann leiten wir daraus zwei zentrale Kennzeichen des Übens ab, um anschließend didaktische Schlussfolgerungen für die Sportpädagogik vorzuschlagen.

Übungstheoretische Überlegungen in der Sportpädagogik

Auch wenn eine einheitliche Theorie des Übens in der Sportpädagogik aussteht, besteht über unterschiedliche fachdidaktische Traditionen hinweg Einigkeit, dass „der Übungssinn und der Anreiz zum Üben im Sportunterricht (…) vorwiegend im Beherrschen von sportlichen Fertigkeiten“ (Ehni, 1985, S. 21) liegt,Footnote 3 wobei „die Optimierung von Bewegungsabläufen bzw. Bewegungsfertigkeiten (…) seit jeher als das eigentliche Anwendungsfeld des Übens“ (Söll, 2005, S. 265) gilt. Auch Kretschmer (2000, S. 242) sowie Balz und Kuhlmann (2015, S. 85) betonen in diesem Sinne, dass es beim Üben „durch gezieltes Unterweisen um den Erwerb und die Verbesserung sportlicher Fertigkeiten geht (z. B. den Salto vorwärts am Minitrampolin üben)“. Bezeichnet auch Größing (2007, S. 150) das Üben als Kern des motorischen Lerngeschehens, stehen diese Ansätzen bewusst oder unbewusst in der Tradition der wirkungsmächtigen Definition von Stiehler (1966), der „Wiederholung, Vervollkommnung, Bewusstheit und Zielgerichtetheit“ (Stiehler, 1966, S. 134) als die wesentlichen Merkmale des sportlich-motorischen Übens benennt und der das Üben ausdrücklich als „die wichtigste praktische Tätigkeit der Schüler im Sportunterricht“ (ebd., S. 135) bezeichnet.

Stiehler, der zu dieser Zeit das Institut für Theorie und Methodik des Schulsports an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig leitet, legt eine Systematisierung der Grundformen des Übens vor, die eine große Nähe zu den Trainingswissenschaften zeigt und dem Üben auch Tätigkeiten wie das Wettkämpfen unterordnet (Abb. 1).Footnote 4 Die konzeptionelle Nähe und die impliziten Bezüge zu einer technologischen Lehrmethodik, „die mit dem informationstheoretischen Ansatz des Lernens auch in der bewegungswissenschaftlichen Diskussion lange Zeit dominant war“ (Scherer, 2001b, S. 3), zeigt sich auch in der trainingswissenschaftlichen Definition des Übungsbegriffs von Schnabel, Harre und Krug (2014, S. 291):

Wiederholter Vollzug von (Bewegungs‑)Handlungen mit dem Ziel ihrer Aneignungen und Vervollkommnung. Im sportlichen Training die Hauptmethode zum Neuerwerb, zur Vervollkommnung und zur Stabilisierung von Bewegungsfertigkeiten, darüber hinaus auch von konditionellen, koordinativen und taktischen Fähigkeiten, durch wiederholte Bewegungshandlungen.

Abb. 1
figure 1

Die Grundformen des Übens nach Stiehler. (Aus Stieler, 1966, S. 148)

Prominente, unterrichtspraktische Beachtung findet der Übungsbegriff in dieser Fachtradition auch in der Methodischen Übungsreihe (MÜR), die als „eine nach methodischen Grundsätzen geordnete Übungsfolge, die zur Erlernung einer bestimmten Übung (Zielübung) führen soll“ (Fetz, 1961, S. 62), verstanden wird. Obwohl die impliziten Transferannahmen der MÜR seit über 40 Jahren kritisch diskutiert werden (Leist, 1978; Scherer & Bietz, 2013, S. 64)Footnote 5 und die MÜR auch im Zuge der Entwicklung einer pragmatischen Fachdidaktik mit dem Leitziel einer sportlichen Handlungsfähigkeit seit den 1980er Jahren einer erneuten Kritik unterzogen wird (Aschebrock, 2013, S. 59), hat sie im Methodenrepertoire des sog. Sportartenprogramms sowie in der Praxis des Sportunterrichts nach Scheid und Prohl (2012, S. 95) weiterhin eine dominante Stellung inne.

Einleitend lässt sich somit festhalten, dass die in der Sportpädagogik existierenden Übungskonzeptionen einseitig den Erwerb sportiver Fertigkeiten fokussieren und dabei durch eine konzeptionelle Nähe zu trainingswissenschaftlichen Modellierungen und korrespondierenden, technologischen Lehr‑/Lerntheorien gekennzeichnet sind. Trotz der großen praktischen Bedeutung, die dem Üben allgemein zugeschrieben wird, fehlt es an einer bildungstheoretischen und originär (sport-)pädagogischen Legitimation des Übens, und es bedarf einer bildungstheoretischen Rehabilitierung dieser elementaren Praxis der Sportpädagogik.

Leib- und körpertheoretische Grundlagen motorischen Lernens und Übens

Die kritische Bestandsaufnahme mag damit zu tun haben, dass mit der Lernform Übung häufig traditionelle Vorstellungen von Stumpfsinn und Drill verbunden sind. So wird konventionell unter Übung eine Praxis verstanden, die Erworbenes sichert, einschleift, speichert oder automatisiert. Solche Vorstellungen sowie alternative Modellierungen möchten wir anhand von zwei Unterrichtsbeispielen illustrieren, um daraus anschließend leib- und körpertheoretische Grundlagen des Übens zu entwickeln.

Praktische Annäherungen

Wie in Abb. 2 zu erkennen ist, konzentriert sich das Üben in der zitierten Methodischen Übungsreihe zum oberen Zuspiel im Volleyball auf isolierte, dekontextualisierte Elemente, wie etwa die Armhaltung ohne Ball oder aber auf Übungen mit Ball, aber ohne Spielhandlung usw. Solche Zugänge, „die in der Sportpädagogik der technologischen Position zugerechnet werden“ (Scherer, 2001b, S. 3), und die v. a. von behavioristischen, kognitivistischen und intellektualistischen Modellen auf der epistemologischen Grundlage von Information, Begriff oder Regel favorisiert werden, bringen es mit sich, dass die Übung zu stupiden Drill oder zur stumpfen Automatisierung verkommt (Brinkmann, 2011). Um das zu vermeiden, muss gleichzeitig zu Isolierung, Zerlegung und Vereinfachung der Bewegung der Gestalt‑, Struktur- und Situationsbezug im Zeit- und Orientierungsraum der Übung beachtet und im Übungsprozess beachtet werden. Das isolierte Detail muss in den Zusammenhang des Ganzen gebracht werden. Sinnvoll geübt wird, wenn zusammen mit der Isolation das Ganze der Situation einbezogen wird. Die Übungsaufgabe muss es erforderlich machen, dass isolierte Bewegungen wieder in den Bewegungsablauf eingefügt werden. Zur Isolation muss die Rekomposition möglich sein. Übungen funktionieren in diesem Sinne zugleich isolierend/komponierend sowie analysierend/synthetisierend. Dabei sind sowohl Beschränkung der Situation und Vereinfachung der Handlung als auch Begrenzung der Wahrnehmung und des inhaltlich-stofflichen Umfangs der Übungen Voraussetzung erfolgreichen Übens.

Abb. 2
figure 2

Das obere Zuspiel beim Volleyball nach Meyndt, Peters, Schulz und Warm. (Aus Meyndt, Peters, Schulz und Warm, 2003, S. 46)

Ein alternatives Beispiel aus dem Schultennis zeigt, wie dieser Zusammenhang als authentische Übungssituation hergestellt werden kann (Hasper, 2009). Um zunächst die Fähigkeit der Ballbeherrschung einzuüben, wird in Kleinfeldern mit Methodikbällen und -schlägern gespielt, die eine leichtere Ballkontrolle erlauben. In der Mitte jedes Spielfelds liegen Zielzonen aus, wodurch die Bälle in der Mitte des Feldes fokussiert werden. Weite Laufwege, die das Einfinden einer günstigen Position zum Ball erschweren, werden dadurch vermieden. Zudem wird das Netz erhöht, um das Spiel zu verlangsamen (Abb. 3). Das übergeordnete Ziel ist, lange Ballwechsel zu initiieren, um eine möglichst hohe Zahl an authentischen Ballberührungen zu realisieren. Geübt werden somit nicht isolierte Fertigkeiten, sondern die Spielfähigkeit in vereinfachten, aber authentischen Übungssituationen.

Abb. 3
figure 3

Anfängergemäße, authentische Spielfähigkeit initiieren. (Nach Hasper, 2009)

Der dargestellte Zusammenhang von Teil und Ganzem in der Situation sowie jener von Isolation und Komposition sind zwei Kennzeichen der Übung. Das Wissen darum ist eine wichtige Voraussetzung für ihre didaktische Gestaltung. Bevor wir weitere Grundmomente der Übung zur Diskussion stellen, werden zunächst anthropologische sowie körper- und leibtheoretische Grundlagen motorischen Lernens und Übens diskutiert, die sich aus dem bisher Gesagten ergeben (Brinkmann, 2012, 2021).

Theoretische Grundlagen

Die kritische Auseinandersetzung mit empiristischen und kognitivistischen Wahrnehmungs- und Lernkonzeptionen führte schon in der Gestaltpsychologie der 1920er und 1930er Jahre zu einer Betonung einer ganzheitlichen Erfahrung, die auf leiblicher Bewegung und Enaktion mit der Umwelt basiert. Leib, Gestalt, Körperschema und Verkörperungen sind in diesem Sinne anthropologische Voraussetzungen und Fundamente des Übens (Bietz, 2005) und werden im Folgenden als begriffliche und konzeptionelle Fundament des Sports und einer darauf fußenden Sportpädagogik ausgewiesen, der die Formung, Kultivierung und Stilisierung von Bewegungen zum Ziel hat.

Der Begriff der Gestalt umschreibt den Umstand, dass es auf das Verhältnis der einzelnen Wahrnehmungen und Erfahrungen zueinander ankommt, auf ihre Bedeutung, ihren Sinn. Wird dieser verändert, ändert sich auch die „Struktur des Verhaltens“ (Merleau-Ponty, 1976). In einer Struktur- bzw. Gestaltwahrnehmung stehen Teil und Ganzes in einem Entsprechungs- und Verweisungsverhältnis. Folglich ist „Übung (…) Ausbildung, im weitesten Sinne, einer Struktur, nicht die Festigung eines Bandes“ (Koffka, 1921). M. a. W., das mechanische, repetitive Üben von einzelnen, isolierten Bewegungen führt nicht dazu, dass die Bewegung in einer Anwendungssituation gekonnt wird. Vielmehr bildet sich beim Üben von motorisch komplexen Handlungen „allmählich eine ‚Bewegungsmelodie‘ heraus, die nicht aus selbständigen Stücken besteht, sondern ein gegliedertes Ganzes bildet“ (Koffka, 1921, zitiert nach Weise, 1932, S. 191). Wiederholendes Üben durch Struktur- und Gestaltbildung ist daher nur situativ umzusetzen. Nicht einzelne isolierte Tätigkeiten, sondern der sinnhafte Zusammenhang einer Situation bildet die Struktur der Bewegung sowie der Übungssituation.

Die geübte Bewegung basiert dabei auf „implizitem Wissen“, d. h. auf der Nicht-Explizierbarkeit gestalthafter Wahrnehmung und Praxis (Bietz & Scherer, 2017, S. 76). Die motorischen Bewegungen sind intentional auf etwas gerichtet. Polanyi (2016) zeigt, dass sich darin das zentrale Bewusstsein (distaler Term) antizipatorisch auf die Vorwegnahme einer Handlung richtet, während sich das unterstützende Bewusstsein (proximaler Term) implizit verhält. Aufgrund dieser inneren Distanzierung werden äußere Dinge mit Bedeutung belegt, erhalten also eine semantische oder mit anderen Worten eine bedeutungstragende Funktion. Erst aufgrund äußerer Reize wird ein distaler Term fokussiert, aus dem Erlebnisstrom herausgeschnitten und bewusst wahrgenommen. Das Verhältnis von funktionalem Handeln und distaler Fokussierung ist aber aufgrund der intentionalen Bewusstseinsstruktur nicht linear. Entweder man handelt im Modus der ersten Person funktional-instrumentell, indem man von dem Körper und der Wahrnehmung weg auf etwas anderes achtet (distal), oder man achtet im Modus der dritten Person fokal-bewusst auf Wahrnehmung und Erkennen (proximal), kann dann aber nicht mehr funktional handeln. Wir können einen Nagel nur einschlagen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Nagel (distaler Term) richten, nicht auf den Hammer (proximaler Term). Wir können eine Treppe nur hochgehen, wenn wir uns auf das Ziel fokussieren (distal), nicht auf die einzelnen Stufen (proximal). Wir können nur Fahrrad fahren, wenn wir uns auf die Richtung des Fahrens konzentrieren und nicht auf die einzelnen Verrichtungen bzw. Teilbewegungen des Fahrens. Würden wir den proximalen Term (Einzelheiten, Informationen, erste Person) fokussieren, würden wir diesen nicht nur nicht explizieren können, sondern im Handeln scheitern (Scherer, 2001b, S. 15). Explizites, regelhaftes Wissen kann daher sogar dem Können hinderlich sein. Im Handeln und damit auch im Üben ist implizites Wissen als praktisches Können primär, verbal explizites und formalisiertes Wissen hingegen sekundär (Neuweg, 1999).

Strukturäquivalent stellt Merleau-Ponty in seinem Werk „Phänomenologie der Wahrnehmung“ (Merleau-Ponty, 1974) die dynamischen und praktischen Aspekte von Leib und Leiblichkeit in den Mittelpunkt. Motorische Bewegungen sind auf elementare Weise mit der Wahrnehmung verbunden. Sie sind als leiblich-intentionale Akte primordial selbst schon in den Sinn- und Bedeutungsraum der Welt eingelassen. Die Einheit des Leibes stellt sich in der Tätigkeit her. Die „intentionalen Fäden“ fügen sich in der Bewegung zu einem „intentionalen Bogen“ impliziten Könnens. Erst in der Gesamtgestalt des Leibes und in der konkreten Bewegungs- und Handlungssituation „emergiert“ das Körperschema als „System“ (ebd., S. 71). Wissen ist danach zu allererst inkorporiertes Wissen bzw. geübtes Können: „Erlernt ist eine Bewegung, wenn der Leib sie verstanden hat, d. h. wenn er sie in seiner ‚Welt‘ einverleibt hat“ (ebd., S. 168). Durch Wiederholungen „lagern“ sich in diesem Sinne nicht Ausführungsdeterminanten motorischer Teilbewegungen, sondern Bedeutungen ab – es „prägt“ sich Sinn ein: Man erwirbt einen Habitus. Nur durch wiederholtes Tun prägen sich Gewohnheit (hexis) und Habitus aus. Erst in der Wiederholung sowie in der gezielten Wiederholung werden die Gewohnheiten, die Sedimentierungen und Habitualisierungen zu dem, was sie sind: leiblich-bewegte und bewegende Dispositionen der Wahrnehmung, der Bewegung und des Denkens in der sozialen Welt.

Wiederkehr der Übung?

Neben den bisher benannten Theoriebezügen rückt das Üben auch in der Soziologie, der Philosophie und der Psychologie in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus, was im Sinne eines Exkurses zunächst illustriert wird, bevor zwei Kennzeichen der Übung diskutiert werden. Der Kultursoziologe Richard Sennett (2008) hat dazu eine viel beachtete Studie zum „Handwerk“ und zur Praxis und Didaktik der Übung vorgelegt. Das Buch bietet eine Fülle wichtiger Einsichten zur Didaktik der Übung am Beispiel der Hand und des Handwerks. Im Unterschied dazu nimmt Sloterdijk den Perfektionismus der Übung in den Blick, nämlich nicht nur etwas zu können, sondern etwas immer besser können zu wollen und damit sein Leben ändern und verbessern zu können (Sloterdijk, 2009). Er betrachtet unterschiedliche Bereiche menschlichen, kulturellen Schaffens wie Religion, Wissenschaft, Kunst, Sport und Pädagogik. Seine These lautet, dass sich spätestens mit der „anthropotechnische(n) Wende“ (ebd., S. 139) um 1900 eine Rehabilitierung der alteuropäischen Askese ereignet, die sich in den Akrobaten des Körpers (olympische Bewegung) und des Geistes (Schriftstellerinnen und Schriftsteller) ankündigt. Diese gelangen durch Übung zu zunächst ungeahnten Leistungen, die jeweils von späteren immer wieder übertroffen werden.

Auch in der Psychologie werden Techniken und Wirkungen von Übungen untersucht. Der amerikanische Psychologe Karl Anders Ericsson hat das Konzept der „deliberate practice“ (der zielgerichteten Übung) entwickelt, mit dem außergewöhnliche Leistungen im Schach, in der Musik und im Sport empirisch untersucht und auf gezieltes Üben zurückgeführt werden können (Ericsson, Krampe, & Tesch-Römer, 1993). Die Untersuchungen zeigen, dass im Alter von 20 Jahren die besten Expertinnen und Experten ungefähr 10 Jahre und insgesamt etwa 10.000 h geübt haben, wobei sich die täglich vier Stunden gezielter Übung mit Ruhezeiten abwechselten. Gezielte Übung ist daher weitaus bedeutsamer für überdurchschnittlichen Erfolg und Leistung als natürliche Begabung.

Aber auch in den Erziehungswissenschaften (Duncker, 2008), in der Mathematikdidaktik oder der Musikdidaktik erlebt das „intelligente Üben“ (Gudjons, 2006) eine Renaissance (Brinkmann, 2012). In den Fächern Mathematik, Französisch und Englisch werden die Aufgabenformate der Bildungsstandards als sog. „lernerorientierte(n) Aufgaben“ in „intelligenten“ Übungsformaten in „authentischen“ Situationen operationalisiert (Heymann, 2005; Wynands, 2006).

Wir möchten die bisher diskutierten Aspekte im Folgenden aufgreifen und das produktive und kreative Potenzial der Übung genauer herausstellen. Dazu werden auf der Grundlage der leib- und körperbezogenen Überlegungen zu Gestalt, impliziten Wissen und Körperschema ausgewählte Kennzeichen des Übens unter bildungs- und erfahrungstheoretischer Perspektive näher beleuchtet.

Wiederholung: Kreativität der Übung

Die kreative Wiederholung im Üben möchten wir anhand einer Unterrichtssequenz von Scherer (2001a) zur Vermittlung des Speerwerfens illustrieren. Anstatt klassischer Übungsfolgen, die sich an einer äußeren Analyse der Zielbewegung orientieren und daraufhin isolierte Übungen für das Tragen des Speers, den Anlauf oder das Werfen aus dem Stand vorschlagen, insistiert Scherer darauf, dass die Gesamtbewegung als Ganzes erhalten bleibt und mit vereinfachten Fluggeräten geübt wird. Dabei wird grundsätzlich aus einem Drei-Schritt-Anlauf geworfen, während die Rahmenbedingungen des Werfens variiert werden. So soll neben Methodikspeeren auch mit Bambusstäben, Gummistäben oder anderen Fluggeräten geworfen werden. Um authentische Wurferfahrungen zu generieren, die es erlauben, die Güte unterschiedlicher Wurfausführungen selbstständig abzugleichen und die zudem einen hohen Motivationsaspekt bieten, wird auch auf unterschiedlich weit entfernte Ziele geworfen.

Aus Sicht der Übungstheorie zeigt dieses Beispiel, dass in und mit der wiederholenden Übung Veränderungen und Variationen systematisch verbunden werden. Übungen sind auf Veränderung angelegt. Aufgrund dessen können Wissen und Haltung ein- und ausgeprägt, die Fertigkeit ausgebildet und die Fähigkeit verbessert werden. Anders als die Sentenz „üben, üben, üben“ suggeriert, ist die sinnvolle Wiederholung keine einfache Repetition desselben und auch keine Prozeduralisierung vormals „gespeicherter“ kognitiver Regeln. Das Wiederholen von Vergangenem bedeutet einerseits eine Wiederkehr von Gewohntem, Gewusstem oder Gekonnten. Zugleich ist dieses nicht mehr dasselbe, als es vormals gewusst, gekonnt oder als das es gewohnt war. In der Wiederholung kehrt keinesfalls dasselbe noch einmal identisch wieder. Vielmehr kehrt in der Übenserfahrung etwas Bekanntes wieder, das erinnert, verändert, variiert oder transferiert werden kann. Deshalb sind Variation und Kreativität möglich. Es handelt sich um eine „Wiederkehr eines Ungleichen als eines Gleichen“ (Waldenfels, 2001, S. 7). Veränderung und Variation in der Wiederholung bezieht sich allerdings nicht nur auf die Ausübung der Fertigkeit. Im Einüben und Ausüben verändert sich auch die oder der Übende selbst, weil darin das Verhältnis zu sich selbst sowie zur Welt formiert und transformiert wird. Es werden Gewohnheiten, Automatismen und Habitualisierungen erzeugt und zugleich können diese in einem Bildungsprozess modifiziert und transformiert werden.

Negativität: Potenziale der Übung

Eine informations- und perfektionszentrierte Sicht auf das Üben impliziert nur eine Facette potenzieller Übungspraxis. Nimmt man statt der Ergebnisse und der Erfolge den Prozess in der Erfahrung des Übens in den Blick, dann ergibt sich ein etwas anderes und deutlich komplexeres Bild: Geübt wird, wenn man die angestrebte Fähigkeit und Fertigkeit eben noch nicht „kann“, wenn man scheitert und es aufs Neue versucht, wenn sich der „Formungswille des Individuums an der Widerständigkeit der Welt bricht“ (Giese, 2008, S. 175). Übung und ihre Wiederholung basieren auf einem Nicht-Können, das er zu überwinden gilt – durch Übung. Deshalb ist Üben eine anstrengende und fordernde Tätigkeit, die Ausdauer, Selbstüberwindung und Fehlertoleranz verlangt. Negative Erfahrungen entstehen aber nicht nur in der leiblich deklinierten Erfahrung des Noch-Nicht-Könnens, sondern auch im Verlernen oder Verüben: Übt man eine Zeit lang nicht, dann kommt es zum teilweisen Verlust oder Vergessen, was wiederum ein erneutes Üben erfordert. Aber die eingeübte Bewegung wird nicht vollständig vergessen. Das zeigt sich, wenn schon gekonnte Bewegungen überformt werden müssen, etwa wenn Skifahrer auf neue Skier umsteigen und „sich das Üben auf die Optimierung und Differenzierung von (…) bereits verfügbaren Bewegungs‑/Handlungsmustern richtet“ (Scherer & Bietz, 2013, S. 151). Genau genommen müssen dann durch besondere Übungsformate schon erworbene, schematisierte und habitualisierte Bewegungsformen umgeübt werden. Insgesamt bleibt zu resümieren, dass negative Erfahrungen als Strukturen für das Üben elementar sind.

In der Erziehungswissenschaft geraten diese negativen Erfahrungen zunehmend in den Fokus der Forschung: Irritationen, Enttäuschungen, Scheitern und Fehler werden als wichtige Momente und nicht als Betriebsunfälle erfolgreichen Lernens und Übens betrachtet (Benner, 2005). In der Sportssoziologie rückt die Frage nach dem Verhältnis von Lernen und Habitus im Kontext von „Subjektivierungspraktiken“ und „Habitustransformationen“ in den Blick, wenn nach gezielten Irritationen des „natürlichen Weltglaubens“ im Horizont der doxa gefragt wird (Alkemeyer, 2006, S. 126, 136). Negativität ist hier nicht im landläufigen Sinn als etwas Schlechtes, Lästiges oder Gefährliches zu verstehen. Buck zeigt in seiner tiefsinnigen Studie zu „Lernen und Erfahrung“ (Buck, 2019), dass sich aus der negativen Erfahrung vielmehr eine „Rückwendung der Erfahrung auf sich selbst“, also eine „Erfahrung über die Erfahrung“ (ebd., S. 48) entwickeln kann. Buck greift dazu auf Husserls Analyse der Intentionalität zurück. Er zeigt, dass die Horizontstruktur der Erfahrung mit dem Funktionskreis von „Erfüllung“ bzw. „Enttäuschung“ der Antizipation zusammenhängt (ebd., S. 72). Tritt das Antizipierte und Erwartete nicht ein, entsteht eine Irritation oder Enttäuschung, weil das Erfahrene nicht mit dem Vorwissen und Vorkönnen kongruent ist (Giese, 2010, S. 72). Darin werden die Erfahrenden auf sich selbst, genauer auf ihre alten Erfahrungen zurückgeworfen. Sie machen eine Erfahrung über eigene Erfahrungen. Ein „Wandel unseres Erfahrenkönnens“ (Buck, 2019, S. 8) wird möglich.

Anlass dieser (selbst-)reflexiven Wendung sind Erfahrungen der Irritationen, Enttäuschungen, Erfahrungen von Krisen (Giese, 2016, S. 106). Im bildungstheoretischen Diskurs sowie in der Sportpädagogik werden sie unter Bezug auf Buck als negative Erfahrungen bezeichnet. Aus der negativen Erfahrung in der Praxis kann sodann ein reflexiver Prozess erwachsen. Dieser wird als lernende oder bildende Erfahrung bezeichnet. Negative Erfahrungen gelten daher als – sehr positive – Voraussetzungen von Lernen, Bildung bzw. von Umlernen (Meyer-Drawe, 2008), von einem Blickwechsel (Benner, 2012), einer Transformation (Koller, 2012) bzw. eines Umübens (Brinkmann, 2012). In der bildenden Erfahrung wird die leibliche Formation transformiert – eine Veränderung von Körperschema, Habitus und Bewegungsgewohnheit wird möglich (Rödel, 2018; Brinkmann, 2021). Im Sport stehen, wie oben angedeutet, Bewegungen, ihre Formung, Stilisierung und Ästhetisierung im Mittelpunkt. Das geschieht, in der Bestimmung von Scheid und Prohl (2012, S. 26), indem ein Hindernis freiwillig in den Weg gestellt wird, „sodass es den Zweck hat, als Mittel der Ermöglichung dieser spezifischen Form des Bewegungsvollzugs zu fungieren“. Negative Erfahrungen sind insofern vor allem für die Sportdidaktik von zentralem Interesse, da Menschen solche Erfahrungen im Sport willkürlich inszenieren, „in Form von Aufgaben, Problemen oder Konflikten, Herausforderungen, die vorwiegend mit körperlichen Mitteln bewältigt werden. Haben Sie sie bewältigt, konstruieren sie neue, noch anspruchsvollere Herausforderungen“ (Laging & Kuhn, 2018, S. 14).

Damit hängt eine große didaktische Herausforderung für Lehrkräfte zusammen. Sie besteht darin, gezielt und vorsichtig Irritationen, Enttäuschungen und Fehler im Unterricht einzusetzen und so die Lernenden mit ihrem Nicht-Wissen und Nicht-Können zu konfrontieren. Wird die negative Erfahrung zu deutlich, ereignet sich in der Wiederholung ein Bruch. Das Weiterüben kann unmöglich werden: Die oder der Übende bricht ab und gibt auf. Das, was es zu üben gilt, muss zumindest potenziell im Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler liegen, um Überforderungen zu übermeiden (Giese, 2008, S. 232). Negative Erfahrungen sollten daher „taktvoll“ (Burghardt & Zirfas, 2019) und mit Rücksicht auf die individuellen Situationen inszeniert und damit die produktiven Potenziale der Übung genutzt werden.

Anstatt eines Fazits: Didaktik der Übung

Übungen sind soziale und edukative Tätigkeiten, die darauf zielen, jemand anderen zum Üben anzuregen, ihn zu unterstützen, aber auch, ihn zu disziplinieren. Insofern ist es zwar nützlich, zu wissen, welche Aspekte und Dimensionen im Üben und seiner Erfahrung bedeutsam sind. Aber von den Strukturen des Übens und Lernens unvermittelt auf das Lehren und die Übung zu schließen, ist ein Kategorienfehler. Die Lehre des Übens, also die auf Vermittlung gerichtete Übung, hat eine andere Struktur als das Üben selbst (Benner, 2020). Übungen finden dann in einem pädagogischen Verhältnis statt (Lippitz & Woo, 2019). Als edukative Tätigkeiten erfordern sie ein Arrangement, das in und mit pädagogischen Praktiken wie Zeigen inszeniert wird (Berdelmann & Fuhr, 2020).Footnote 6 Übung als soziale und edukative Praxis benötigt daher eine Reflexion auf didaktische Praktiken, Prämissen und Ziele.

Wir haben oben gezeigt, dass es unzweckmäßig ist, Regeln, Begriffe, Schemata oder scripts vorzugeben und diese in der Übung ausführen bzw. prozeduralisieren zu lassen. Denn nicht jedes Können und Üben ist in Regeln überführbar. Der Könner kann nicht sagen, wie er vorgeht. Er verfährt intuitiv, wenn er z. B. das Gleichgewicht auf dem Fahrrad hält, Volleyball oder Tennis spielt. Obwohl die kognitive oder naturwissenschaftliche Regel „beschreibt, wie es geht, kann man mit ihr nicht lernen, wie es geht“ (Neuweg, 2006, S. 20). Deswegen kann ein Können oder ein Üben nicht ausschließlich in Form von Regeln, Gesetzen oder Schemata dargestellt werden. Es gibt keine expliziten Regeln für das Erlernen des oberen Zuspiels beim Volleyball oder einer anderen motorischen Fertigkeit. Dieses Explikationsproblem führt gleichzeitig allerdings auch zu einem Instruktionsproblem: Leibliches, motorisches Können kann man nicht aus Regeln lernen, sondern nur, indem man es tut (Bietz & Scherer, 2017, S. 73). Der „didaktische Kategorienfehler“ besteht also darin, von der theoretisch modellierten Beschreibung von Erfahrung und Kompetenz auf Erfahrungserfahrung und Kompetenzerwerb zu schließen. Der „Sündenfall einer intellektualistischen Didaktik“ ereignet sich, wenn Regeln und Pläne vermittelt werden, weil Forscherinnen und Forscher „vorher zu bloß theoretischen Zwecken (diese) eingeführt haben, um schon vorhandenes Können zu rekonstruieren“ (Neuweg, 1999, S. 112).

Nur ein instrumentalistisches Theorieverständnisses führt, so Neuweg, zur didaktischen Forderung, dass in „Lehr-Lern-Prozessen (…) explizites Wissen zu vermitteln ist“, um die „Bewusstheit der Informationsverarbeitung sicherzustellen“ (ebd., S. 91). Intellektualistische Didaktiken, die auf Informationsverarbeitung, Bewusstwerdung und Explikation von implizitem Wissen setzen, verkennen die oben diskutierte Tatsache, dass Bewegungen intentional, situativ und gestalthaft erlernt werden. Nicht Regeln sichern das künftige Können, sondern gestalthaftes und situatives Verstehen des Leibes, das sich in einer „Gestalt“ (Koffka), einem „Körperschema“ (Merleau-Ponty) bzw. in einem „impliziten Wissen“ (Polanyi) ausdrückt. Die Findigkeit des Körpers, seine kreativen Anpassungen und Reaktionen in Situationen werden so nicht eintrainiert, sondern als Erfahrung eingeübt. Einüben und Ausüben gehören zusammen, indem man an sich selbst übt (Brinkmann, 2021).

Will man im (außer-)schulischen Sport sinnvoll und erfolgreich üben lassen, können die drei nachfolgenden Aspekte – im Sinne eines unterrichtsbezogenen Fazits – didaktische Orientierung bieten (Brinkmann, 2012, S. 393 ff.):

  1. 1.

    Sowohl Beschränkung der Situation und Isolation der Bewegungen als auch Begrenzung der Wahrnehmung und des inhaltlich-stofflichen Umfangs der Übungen sind Voraussetzung erfolgreichen Übens. Entscheidend ist der sinnvolle und authentische Zusammenhang der isolierten Teile zum Ganzen der Bewegung und der Situation (Koffka, 1921). Dann wird es auch möglich, einzelne Elemente der Übung sinnvoll zu variieren. Die Variation der isolierten Elemente sichert ein individualisiertes, vertieftes und lebendiges Üben. Wichtig ist dabei, dass nicht das Ergebnis, das Produkt oder der Abschluss der Übung, sondern der Prozess des Übens im Mittelpunkt steht. Dann wird es einfacher, die individuellen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und die besondere Wirklichkeit der Übung als ein Lernen auf Probe zur Geltung kommen zu lassen. Eine Möglichkeit der Variation ist die Veränderung der Reihenfolge und Zusammenstellung der isolierten Elemente innerhalb der Wiederholung. Das kann sich auf Aufgaben und Aufgabenformate beziehen (Brinkmann, 2014). Dadurch werden jeweils neue Zusammenhänge hergestellt. Mittels neuer Bezüge zu unbekannten Bereichen kann zudem ein Transfer auf Anderes stattfinden. Weitere didaktische Mittel zur Variation in der Wiederholung sind Perspektivverschiebung und Kontrastbildung. Mit der Perspektivverschiebung werden durch gezielte Aufgaben beispielsweise die Eigenwahrnehmungen der Bewegung auf unterschiedliche Teilbereiche der Gesamtbewegung gelenkt. Durch Kontrastbildung – wie das Stoßen einer Kugel mit und ohne Körperrotation (Giese & Hasper, 2009) – kann die Wahrnehmung auf unterschiedliche Ausführungsparameter der Bewegung gelenkt werden.

  2. 2.

    Wenn Wiederholung nicht nur als schiere Repetition desselben, sondern als Wiederholung von bereits Gekonntem und Gewusstem gesehen wird, dann werden Transferprozesse im Üben relevant. Die gezielte Reaktualisierung des Vorwissens und Vorkönnens in der Wiederholung sollte mit dem Anspruch von etwas Neuem und Unbekanntem in Verbindung gebracht werden (Brinkmann, 2021). Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung: Für Lehrkräfte, weil sie die Reichweite des Transfers inhaltlich, didaktisch und methodisch bestimmen und in der Planung abschätzen müssen, und für die Schülerinnen und Schüler, weil sie mit negativen Erfahrungen konfrontiert werden. Die metatheoretische Thematisierung solcher Bildungsmechanismen im Unterricht kann dabei selbst Teil des Bildungsprozesses sein.

  3. 3.

    Fehler, Irritationen, Störungen und Enttäuschungen können als produktive und kreative Elemente im Üben genutzt werden. Das didaktische Mittel dazu ist die gezielte Inszenierung negativer Erfahrungen (Brinkmann, 2012, 2014, 2021). Die Übenden dürfen weder beschämt noch frustriert noch durch simple Repetition ermüdet oder gelangweilt werden. Die Kunst der Übung besteht darin, die Grenze zwischen Unter- und Überforderung auszuloten und die Lernenden nicht zu beschämen oder zu gefährden. Eine große Herausforderung an die Professionalität der Lehrkräfte, die sich nicht auf gutgemeinte Rezepte oder Methodenbausteine, sondern vor allem auf ihre Erfahrung und ihren „pädagogischen Takt“ verlassen können müssen.

Dann kann es gelingen, dass nicht nur eine Fertigkeit oder Fähigkeit eingeübt, sondern dass auch bestehende Erfahrungen, Gewohnheiten und Haltungen umgeübt und damit verändert werden. Die Übung kann so Beginn und Ausgang neuen Lernens sein – durch Wiederholung.