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eSport „ist“ nicht Sport – eSport und Sport haben Bedeutungen

Eine sprachphilosophische Analyse anstelle von ontologischen Auseinandersetzungen

eSport “is” not sport—eSport and sport have meanings

An analysis from the perspective of a philosophy of language instead of ontological debates

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Zusammenfassung

Kein Problem hat denorganisierten Sport, die Sportwissenschaft und die Sportpolitik in der jüngsten Vergangenheit so beschäftigt wie die Frage, ob eSport bzw. eGaming Sport ist oder nicht. Dabei hat sich die Diskussion über die Position des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) weitgehend auf einen Schlagabtausch mit apodiktischen Aussagen beschränkt. Auf sprachwissenschaftliche Voraussetzungen ist kaum eingegangen worden. Bezeichnend für den Diskussionsstand ist, dass bisher das Fehlen einer anerkannten Definition von Sport bemängelt wird, ohne sich kundig zu machen, ob dies überhaupt möglich, sinnvoll oder notwendig ist. Ziel des Beitrags ist zunächst eine Offenlegung der sprachlogischen Grundlagen für Definitionen bzw. die Zuschreibung von Bedeutungen allgemein, um dann mögliche Antworten auf die Fragen zum Verhältnis von eSport bzw. eGaming und Sport zur Diskussion zu stellen. Die adäquate Grundlage bilden die Philosophie der idealen und die der normalen Sprache sowie das erfahrungswissenschaftliche psychologisch-linguistische Prototypenmodell. Den Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Basis für Entscheidungen bieten, für welche Lebensbereiche die eSport-Frage mit Hilfe von Definitionen getroffen werden muss und für welche Lebensbereiche stattdessen auf die Alternative der Bedeutungszuschreibung im Rahmen der normalen Sprache zurückgegriffen werden kann. Eine Definition von Sport ist gerechtfertigt für rechtsfähige Organisationen wie den DOSB, während dieser Ansatz für die alltagssprachliche Welt und z. B. auch für die Gegenstandsbeschreibung der Sportwissenschaft nicht angemessen erscheint. In dem Beitrag werden in historischer und in systematischer Perspektive Merkmale bzw. Bedeutungen des Sports zur Diskussion gestellt, auf die sowohl für die normative Definition der Sportorganisationen als auch für die Alltagssprache zurückgegriffen werden kann.

Abstract

In the recent past, no issue has preoccupied organised sport, sports science and sport politics more than the question of whether or not eSports—or eGaming—can be classified as belonging to sport. The discussion on the position of the DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) has largely been confined to a verbal clash of apodictic statements. Linguistic requirements have hardly been considered. The characteristic for the current debate is that the lack of an acknowledged definition of sport is criticised, without questioning if this is at all possible, sensible or even necessary. This contribution aims at disclosing the language-logical basics for definitions, or rather the attribution of meanings in general, in order to then discuss possible answers to the questions concerning the relations between eSports—or eGaming—and sport. For this purpose, an adequate foundation is provided by the philosophy of the “ideal language”, that of the “ordinary language”, and by the empirical psychological-linguistic prototype model. A common feature of these approaches is that they provide the basis for determining those areas where the question of eSports has to be met by means of definitions, and those where it is possible as an alternative to fall back on the attribution of meanings in the context of the ordinary language. While a definition of sport is justifiable for judicable organisations like the DOSB, this neither seems to be appropriate for an everyday use nor, for example, for describing the domain of sports science. From a historical and systematic perspective, this article points out possible characteristics and meanings of sport which apply to both the normative definition of sports organisations and everyday language.

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Abb. 1

Notes

  1. Formal entspricht die Problematik der Anerkennung von eSport als Sport der Diskussion in den Altertumswissenschaften. Dort ist sehr ausführlich und kontrovers diskutiert worden, ob die Wettkämpfe im Antiken Griechenland als Sport bezeichnet werden dürfen oder nicht. In den Altertumswissenschaften stehen sich die sogenannten Archaizer (Ablehnung des Sportbegriffs außerhalb der Moderne) und die Modernizer (Wettkämpfe der Antike waren Sport) relativ unversöhnlich gegenüber (Weiler 2017; Willimczik 2017). Das zentrale Ergebnis der Diskussion in den Altertumswissenschaften: Auf wissenschaftlicher Ebene kann nicht geklärt werden, wer „recht hat“.

  2. Der Ansatz der Philosophie der normalen Sprache hat schon früh Eingang in die Sportwissenschaft gefunden, in Nord-Amerika durch die Veröffentlichungen von Fogelin (1972) und Zeigler (1979), in Deutschland durch Lenk (1980).

  3. Auch wenn die Analogiebildung Spiel-Sport in Tab. 1 plausibel erscheint, darf nicht übersehen werden, dass die Philosophie Wittgensteins sehr komplex und als geschlossenes System zu sehen ist. Für eine intensive Beschäftigung des Sports im Rahmen der Philosophie von Wittgenstein wird auf die Veröffentlichungen von Drexel (2002, 2003, 2004) verwiesen.

  4. Drexel hat Wittgensteins Spiel-Beispiel im Sinne eines „Sport als Kulturspiel“ interpretiert (2002).

  5. Die Frage, inwieweit es zulässig ist, den philosophischen Ansatz Wittgensteins als Ausgangspunkt oder Grundlage für empirische Untersuchungen zu nehmen, ist sehr kontrovers diskutiert worden. Strenge Inkommensurabilisten werden dies vehement verneinen, andere werden es akzeptieren (vgl. auch Willimczik 2007). Ein abschließendes, metatheoretisch begründetes Urteil über (In‑)Kommensurabilität kann es auch nach Drexel (2006) nicht geben.

  6. Gefördert durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (VF 0407/11/4/2002/03).

  7. Die auf Aristoteles und Kant zurückgehende Forderung, dass Wissenschaft u. a. über ihren Gegenstand konstituiert wird, wird spätestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts nicht mehr erhoben. Nach Diem begründet „Wissenschaft ihren Wissenschaftscharakter alleine durch wissenschaftliche Arbeit“ (1964, S. 31; vgl. auch Willimczik 2001,S. 23–27).

  8. Nach der Systematik von Wittgenstein wären eSport bzw. eGaming nicht auf der Ebene von Schach anzusiedeln, sondern auf der von Brettspielen oder von Kartenspielen. Damit eignet sich Schach nicht als Argument für die Aufnahme von eSport oder eGaming. Dann müsste das auch z. B. für Halma, Mensch-ärgere-dich-nicht usw. gelten.

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Willimczik, K. eSport „ist“ nicht Sport – eSport und Sport haben Bedeutungen. Ger J Exerc Sport Res 49, 78–90 (2019). https://doi.org/10.1007/s12662-019-00569-2

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