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Dr. Matthias Herbst

Generalsekretär ADK e. V.

Jüngst habe ich eine Ausstellung über Peter Rosegger besucht. Rosegger ist ein österreichischer Schriftsteller und lebte von 1843–1918. In dieser Zeit wandelte sich die Welt in einer ähnlich rasanten Weise wie heute. Geboren als Kind von Bergbauern in einer Zeit, in der über 55 % der Werktätigen als Bauern arbeiteten, wurde er durch die Entwicklung der Wirtschaft und der Verkehrsmittel in die Stadt gespült und mit der bereits damals existierenden Explosion des Wissens und der Bildung konfrontiert. In diesen Jahren wuchs die Eisenbahn heran und durch dieses für damalige Zeiten schnelle Transportmittel wurden die Räume verkleinert und die Mobilität und Geschwindigkeit des Lebens massiv erhöht. Es entwickelte sich die industrielle Produktion und zum ersten Mal gab es ein von heimischen Strukturen entwurzeltes Arbeiterproletariat, was zu sozialen Spannungen in den Ländern und später zum steigenden Nationalismus führte. Die Idee von 1848 und der Proklamation vom Hambacher Schloss wurde durch die Nationalstaaten bekämpft und mit äußerst konservativen Antworten zufriedengestellt. Was blieb war das Bürgertum und die Nationalstaaten. Die Ideen von Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus und Internationalismus wirkten in dieser Zeit auf die Bevölkerung ein. Machtpolitik auf europäischer Ebene in Form rivalisierender Nationalstaaten führte letztendlich in die Katastrophe des ersten Weltkriegs. Peter Rosegger hat diese Zeit des Umbruchs in seinen Erzählungen und Romanen sowie Zeitungsartikeln verarbeitet.

Was hat Peter Rosegger mit heute zu tun? Auch im Jahre 2018 — 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs und dem Ableben Peter Roseggers — steht die Welt an einem Scheideweg. Aufgrund des immer heftigeren Streits zwischen den Großmächten Amerika, China und Russland um nationale Vormacht muss auch Europa schauen wo es bleibt. Ein Handels- (besser Verteilungs-)krieg ist am Horizont bereits aufgezogen. Was damals die Eisenbahn war, ist heute das Internet. Zeit und Raum verschmelzen. Die menschlichen Gepflogenheiten werden sich ändern, aus dem einzelnen selbstbewussten Bürger in seiner Regionalstruktur ist mittlerweile eine Nummer unter vielen in der Masse von Big Data geworden. Die künstliche Intelligenz führt zu Analysen und Wechselwirkungen mit Statistiken und damit Beeinflussungen, deren Gesamtfolgen noch gar nicht abzuschätzen sind. Bestes Beispiel ist die Beeinflussung der amerikanischen Präsidentenwahl durch die unfreiwillige Analyse von 50 Millionen Facebooknutzern, die in der Folge, ohne es zu ahnen, speziell mit Informationen versorgt wurden, die dem republikanischen Kandidaten Trump genutzt haben. Mit Cambridge Analytics soll eine europäische/englische Firma direkt daran beteiligt gewesen sein. Fake News bekommt eine neue Variante. Wer wirklich dahinter steckt, ist nur wenigen bekannt.

Der so transparente Bürger kann — gerade auch durch den Einsatz spezieller Software wie Cookies — gar nicht mehr beurteilen, welche Nachricht er aus welchem Grund erhält und ob diese wirklich wahr ist und ob nicht bereits eine Vorauswahl, aus welchem Grund auch immer, stattgefunden hat. In diesen Zeiten kommt es darauf an uns ein Mindestmaß an solide recherchierter und vertrauenswürdiger Information zu erhalten, wie wir es in Zusammenarbeit mit dem Springer-Medizin-Verlag zumindest im Print-Bereich sicherstellen.

Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) tritt am 25. Mai 2018 in Kraft. Hier wird nun versucht, den Bürger in das Zentrum der Betrachtung zu stellen und ihm durch gewisse Rechte das Gefühl der Datensouveränität zu geben.

Wir Ärzte arbeiten ja seit fast 2.500 Jahren gemäß dem Eid des Hippokrates und dürfen uns durchaus als erste berufsbezogene Datenschützer der Weltgeschichte verstehen. Das Vertrauen unserer Patienten beruht auf der Integrität und Professionalität unserer Datenverarbeitung. Die Karteikarte und deren Lagerung/Aufbewahrung konnten wir noch selbst organisieren. Die moderne EDV ist allerdings mittlerweile so kompliziert, dass weder Arzt noch Patient in der Lage sind, ohne Dritte — sprich EDV-ler und Datenschützer — die Funktionsfähigkeit und die Einhaltung der Regeln des Datenschutzes zu überwachen. Was nach dem 25.5.2018 über uns hereinbricht, weiß heute noch niemand. Es wird 10–15 Jahre dauern, bis die EU-DSGVO ein trittfestes Gebilde ist. Von Big Data und künstlicher Intelligenz ist in der EU-DSGVO wenig zu lesen. Im Hintergrund arbeiten aber große Konzerne wie SAP, Google und IBM daran, den Politikern die Analyse von großen Datenmengen gerade in der Gesundheitsversorgung schmackhaft zu machen. „Wir wissen schon 6 Wochen vor dem Tod, ob ein Patient stirbt“, behauptet Google. Wenn dem so sei, könne man sich z.B. den hohen Kostenaufwand der letzten 6 Lebenswochen sparen!? Sowohl der frühere Gesundheitsminister Gröhe wie auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel haben schon zu den Möglichkeiten von Big Data positiv Stellung genommen. Merkel spricht sogar vom Gold des 21. Jahrhunderts. Die Lobbyisten in Berlin haben ganze Arbeit geleistet. Der neue Bundesgesundheitsminister Spahn soll dem in Nichts nachstehen.

Es kommt nun bei allem für und Wider darauf an, dass die Ärzte in der Gesamtkonstellation eine klare Haltung gegenüber der Telematik im Gesundheitswesen einnehmen und Mindeststandards und handelbare Vorschriften definieren, die sinnvolle Nutzung von Daten durch die EDV sinnvoll und anwendbar machen. Zunächst ist ebenfalls zu klären, was mit zusammengeführten Daten seitens der Krankenkassen beziehungsweise weiterer Dienstleister geschieht, und wie dort die Anonymisierung gewährleistet wird. Es gibt sowohl für biometrische wie auch genetische Daten im Normalfall keine Anonymisierung, diese lassen sich stets auf einem bestimmten Patienten zurückführen. Gerade im Bereich der Videodokumentation von Naevi wie auch ästhetischer Prozeduren sind strenge Maßnahmen zum Schutz der Daten angezeigt. Für uns Ärzte stellt die EU-DSGVO durch Umsetzung und Schulung des Personals einen großen Aufwand dar. Gleiches gilt auch für die Einführung der Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen, mit der Sie zumindest aus Kostengründen weiterhin warten sollten, zumindest bis die EU-DSGVO gegriffen hat.

Unsere Interessenvertretungen waren bis vor Kurzem untergetaucht, wenn es um die EU-DSGVO ging. Wo bleiben die originären medizinischen und ärztlichen Interessen? Kann Bürokratie Systemfehler des Internets heilen? Wie angreifbar machen wir uns durch die Telematikinfrastruktur, wenn sich schon das Parlament und die Regierung nicht vor ausländischen Häckern schützen können? Viele Fragen bleiben. In einem QSD-CAST-Workshop zum Thema „EU-DSGVO in der dermatologischen Praxis“ in der „Cyber-City“ Darmstadt zusammen mit dem dortigen Fraunhofer-Institut SIT wurden Dutzende Fragen formuliert, die jetzt zu klären sind. Im Herbst ist eine weitere Veranstaltung dazu geplant.

Sieht man den Trubel der letzten Wochen, muss man einmal mehr fragen, wer uns wo wie vertritt. Insofern treibt den Verfasser dieser Zeilen auch die Sorge um, ob anstehende Beschlüsse des Deutschen Ärztetages Richtung Telemedizin und Aussetzen des persönlichen Erstbehandlungsgebotes mehr als vorauseilender Gehorsam denn als selbstbewusste Statements unserer Profession zum Thema Arzt und Datenschutz zu werten sind. Auf jeden Fall sind alle Anträge vorab kritisch auf ihre Wirkung zu prüfen. Schon werden seitens der Industrie Digitalbudgets gefordert, um Ärzte in der Folge aus Behandlungsprozessen zu verdrängen. Telemedizin kann und ist für Flächenstaaten sicher als sinnvoll in speziellen Bereichen einzustufen, für eine dermatologische Praxis mit sicherlich nicht wenigen Scheinen ist Telemedizin eher eine zusätzliche Herausforderung. Durch den Versuch, diese in die Gebührenordnung der GKV einzubeziehen, ist diese zurzeit in Deutschland tot. 4,99 Euro brutto sind indiskutabel. Da nützt auch eine Bertelsmann-unterstützte „Teleguidance“ von Fachverbänden wenig, besonders wenn Verweise auf die EU-DSGVO fehlen.

Mit der Umsetzung der EU-DSGVO sollten Sie mittlerweile schon begonnen haben! Es wird Zeit, einen geeigneten Datenschützer zu finden. Eine Kooperation mit anderen Praxen der Region ist sicher sinnvoll. Nicht vergessen, die EU-DSGVO gilt zumindest theoretisch in der ganzen EU, sie betrifft Kassen- wie Privatpatienten, auch Einzelpraxen und auch Erbringer von Wahlleistungen. Nicht zuletzt zwingt sie via Auftragsdatenverarbeitung die eigenen Dienstleister in die Pflicht zu nehmen und Prozesse wie Histologie, Labor und die Weitergabe von Daten an die PVS neu zu überdenken bzw. die Einwilligungen neu zu formulieren. Die Ärztekammern bereiten entsprechende Schriftsätze und Normen vor. Im Deutschen Ärzteblatt 9/2018 wurde auf die Besonderheiten eingegangen. All das kostet, wie auch die TI, massiv Geld. Die Gebührenordnungen gehören entsprechend angepasst oder zumindest eine Service- bzw. Organisationspauschale entsprechend ausgewiesen. Deshalb sammeln Sie unbedingt alle Kosten, die mit der Einführung von EU-DSGVO und gegebenenfalls TI verbunden sind. Des Weiteren vergessen Sie auch nicht die Kosten von VoIP-Umstellung und Telemedizin.

Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass Sie Ihre Versicherungsverträge auf die Abdeckung der neuen Risiken prüfen sollten wie z.B. die Rechtsschutzversicherung. Auch bietet z.B. die Allianz jetzt eine neue Cyberversicherung an. Nicht billig, wie sich versteht.

Für uns Ärzte stellt die EU-DSGVO durch Umsetzung und Schulung des Personals einen großen Aufwand dar.

Unsere Justitiarin Frau Dr. Gemke und ihr Mitarbeiter Rechtsanwalt Felix Schiffner aus München werden ab dieser Ausgabe einzelne Aspekte des Datenschutzes mit speziellem Bezug zu unserem Fachgebiet aufgreifen und Ihnen Tipps für die Umsetzung in der Praxis geben.

Ich wünsche Ihnen spannende Lektüre und einen stets kritischen Blick für die Zukunft!

Mit freundlichem Gruß

Ihr

Dr. Matthias Herbst

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Die hier geäußerten Gedanken stellen die persönliche Meinung des Autors dar.