Liebe Leserinnen und Leser,

Investitionsrechnung ist ein Feld, das jeder BWL-Student standardmäßig lernt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf methodischen Fragen. Wie bestimmt man den Kalkulationszinsfuß? Wie rechnet man Realoptionen? Warum sind dynamische Verfahren statischen überlegen? Es überrascht nicht, dass methodisch in der Praxis zumeist keine großen Schwächen zu beobachten sind. Zwar findet man immer noch die gute alte Pay-off-Methode, aber sie wird zumeist nur als ergänzende Betrachtung einer Kapitalwertrechnung durchgeführt, quasi als ein hemdsärmeliges Risikomaß.

Größere Defizite sind zunächst bei der Einordnung einer Investition in die Gesamtplanung zu beobachten: Zu welcher Strategie soll die Investition beitragen? Wie viele Mittel sollen über den Sockel von reinen Erhaltungsinvestitionen hinaus investiert werden? Gibt es Chancen- und Risikoverbünde über mehrere Investitionen hinweg? Was lässt sich also überhaupt getrennt rechnen? Gerade auf diesem Feld sind in der jüngeren Vergangenheit insbesondere in Großunternehmen große Fortschritte erzielt worden — auch infolge einer angestrebten stärkeren Vernetzung der unterschiedlichen Planungsebenen im Unternehmen.

Ein zweites Problembündel liegt heute in der Phase der Investitionskontrolle. Noch relativ gut beherrscht wird das Feld der Implementierungskontrolle. Lässt sich die Investition wie geplant umsetzen? Kommt es zu Zeit-, Qualitäts- oder Kostenüberschreitungen? Was ist zu tun, sie unter Kontrolle zu bekommen? Eindrucksvolle Beispiele dafür, dass dies nicht immer gelingt, lieferte jüngst ein großes deutsches Stahlunternehmen. Schwieriger noch ist aber die Kontrolle der Investition selbst, letztlich also der gesamten Maßnahme, von der ersten bis zur letzten Ein- und Auszahlung. Nur selten sind Investitionen so klar im laufenden Geschäft zu lokalisieren, wie dies die Kontrollrechnung verlangte. Eine Investition in einen neuen Markt kann weitere, darauf aufbauende Investitionen nach sich ziehen, Teilgeschäfte werden verkauft, andere ergänzt und so weiter. Im Regelgeschäft einer Linie angekommen, kann man zumindest einen Teil der Investitionen kaum noch nachverfolgen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass der Nutzen der Kontrolle bei Investitionen häufig geringer ist, weil derjenige, der eine Investition anstößt und durchsetzt, nicht mit dem übereinstimmen muss, der sie realisiert; zu häufig sind die Positionswechsel im Management. Trotzdem wäre eine Kontrolle aus einem anderen Grund sehr wichtig: Es gibt in den Unternehmen eine Vielzahl von Beispielen dafür, dass an Investitionen zu lange festgehalten wurde. Das, was man aus dem F&E-Bereich kennt, nämlich die Diskussion des optimalen Abbruchzeitpunkts, müsste auch auf normale Investitionen übertragen werden. Hiermit hätten schon viele Unternehmen sehr viel Geld gespart!

Viel Spaß bei der Lektüre wünschen Ihnen

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