Zusammenfassung
Wir erleben gegenwärtig eine erneute Hinwendung zur industriellen Arbeit, bei der unter dem Einfluss der Digitalisierung Chancen und Risiken für die berufliche Bildung ausgemacht werden. Chancen entstehen durch die Anreicherung qualifizierter Arbeit und die Profilierung einiger Berufe, die zu einer Stabilisierung und Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems beitragen können. Risiken entstehen durch eine Entwertung bestimmter beruflicher Tätigkeiten durch Automatisierung, die einzelne Berufe überflüssig machen können. Fragen zu beruflichen Kompetenzen und notwendigen Berufsprofilen für die digitalisierte Arbeit sind dabei von besonderem Interesse und werden im Beitrag ausgehend von empirischen Befunden der bayme vbm Studie analysiert und diskutiert.
Abstract
We are currently witnessing a renewed orientation towards industrial work which is revealing both opportunities and risks for vocational education under the influence of digitalization. Opportunities are created by enriching qualified work and by profiling some occupations which could help to stabilize and to further develop the vocational educational systems. Risks arise by a devaluation of certain occupational tasks through automation, which could render individual occupations obsolete. Questions of occupational competencies and profiles required for digitalized work are the focus of interest and will be analysed and discussed in the article by referring to empirical findings of the bayme vbm study.
Notes
Hinsichtlich einer Definition dieser Begrifflichkeiten ist Fehlanzeige festzustellen. Im besten Falle sind auf spezifische Situationen bezogene Erläuterungen identifizierbar.
Eine bemerkenswerte Karriere legte der Begriff „Industrie 4.0“ seit seiner ersten Nennung auf der Hannover Messe 2011 zurück. Institutionell befördert wurde diese zunächst durch die gleichnamige Plattform, zahlreiche Studien, betriebliche Modellfabriken und unzählige Tagungen. Letztere reißen bis heute nicht ab (vgl. Pfeiffer und Huchler 2018, S. 167). In Anlehnung daran tauchten sehr schnell Begriffe wie Bildung 4.0, Arbeit 4.0, Berufe 4.0 und andere auf, ohne dass es bisher eine gründlichere Diskussion zur Klärung und zur Definition dieser Benennungen gibt. Bei Ahrens und Spöttl (2018, S. 177 ff.) wurde der Versuch unternommen, die in der Berufsbildung seit 1950 feststellbaren vier Entwicklungsparadigmen zu definieren, die es erlauben würden, von einer Berufsbildung 4.0 zu sprechen. Der begriffliche Transfer hin zu einem Suffix wurde jedoch nicht vollzogen, weil zu keiner Zeit das jeweilige Entwicklungsstadium der Berufsbildung mit einem Suffix umschrieben wurde, das auf ein industrielles Entwicklungsstadium hinweist. Genauso verhält es sich mit anderen Begriffen wie Arbeit 4.0, Bildung 4.0 und Berufe 4.0.
Hingewiesen werden soll auf die Arbeit von Röben (2017, S. 23 ff.), der eine historisch ausgerichtete Aufarbeitung des Verständnisses des Begriffs „Industrie 4.0“ mit Bezug zur Entwicklung der Industrie seit deren Mechanisierung bewerkstelligte.
Hierdurch entstanden ab den 1970er Jahren die vielfältigen C‑Technologien wie Computer Numerical Control (CNC) für die Fertigung, Computer Aided Design (CAD) für die Konstruktion bis hin zu Computer Aided Manufacturing (CAM) für die Kopplung verschiedener „C“-Technologien und die automatisierte Produktion durch Roboter.
RFID: Radio Frequency IDentification.
Das heißt, dass im Jahr 2013 15 % der Beschäftigten in einem Beruf tätig waren, bei dem mehr als 70 % der Tätigkeiten durch Computer ersetzt werden könnten.
Eine zentrale Zielsetzung der automatisierten Produktion im Zuge der Digitalisierung ist die Anwendung automatisierter Produktionsabläufe nicht nur für Massenprodukte, sondern ebenso für hoch individuelle Objekte bis hin zur Einzelfertigung. Dies wird auch als individualisierte Produktion bezeichnet.
In der Studie wurde der Begriff „Industrie 4.0“ verwendet, weil dieser der befragten Zielgruppe bekannt war. Befragt wurden insbesondere die Fachkräfte selbst, welche die konkreten Kompetenzanforderungen ihrer Arbeit am spezifischsten und genauesten angeben und einschätzen können (zu diesem berufswissenschaftlichen Forschungsansatz siehe Becker und Spöttl 2015).
Das deckt sich mit dem berufswissenschaftlichen Forschungsansatz der sich darauf konzentriert, herauszufinden, wie sich praktische Berufsarbeit unter anderem unter den Bedingungen der zunehmenden Digitalisierung und veränderter Arbeitsorganisationsformen verändert, wie sich das in die Berufsarbeit inkorporierte objektive und subjektive Wissen (zum subjektiven Wissen vergleiche Böhle 2017) verändert und was daraus für die Gestaltung von Berufsbildern resultiert (vgl. Becker und Spöttl 2015).
Mit der Bezeichnung „Shop Floor“ Ebene wird ausgedrückt, dass nicht die Planungsebene für die konkrete Facharbeit in der Produktion Ausgangspunkt und Gegenstand von Untersuchungen ist, sondern die Ebene der Arbeitsprozesse und der Facharbeit in der Produktion selbst. In den meisten Studien werden Planer und Entscheider, ggf. nur die Managementebene, zur Situation in der Produktion befragt.
Es wurden Auszüge aus Tab. 5 der genannten Quelle übernommen.
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Becker, M., Spöttl, G. Auswirkungen der Digitalisierung auf die berufliche Bildung am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie. Z Erziehungswiss 22, 567–592 (2019). https://doi.org/10.1007/s11618-019-00869-1
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Schlüsselwörter
- Digitalisierung
- Industrie 4.0
- Facharbeit
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- Berufe
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