Zusammenfassung
Schulwahl ist individuell. Warum Eltern eine bestimmte Grundschule für ihr Kind wählen, kann zahlreiche Ursachen und verschiedene Gründe haben. So ergeben sich individuelle Wege und Schulwahlprozesse, die sowohl den Besuch einer bestimmten Einzelschule zur Folge haben als auch zu unterschiedlichen Entscheidungen bezüglicher der Trägerschaft führen können. Im Folgenden wird die Wahl einer privaten Grundschule anhand von zehn Interviews, die mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden, näher beleuchtet. Ziel ist es zum einen mögliche Auslöser für eine Abkehr vom staatlichen Schulsystem darzustellen, zum anderen eine Typisierung entlang der Begründungsmechanismen und Schulwahlkriterien für die Wahl einer bestimmten Privatschule zu erarbeiten, um die individuellen Schulwahlprozesse von Eltern in Berlin aufzuzeigen.
Abstract
Choosing a school is an individual process. The reasons parents choose a particular primary school for their child can have many different causes and motives. Different parent-specific paths and school choice processes result in attendance at particular schools and divergent decisions concerning sponsorship. In the following, the choice of a private primary school will be examined in more detail based on ten interviews, which were analyzed with qualitative content analysis. The aim is, on the one hand, to represent a possible reason for departure from the state school system, and on the other hand, to develop a typology of the justification mechanisms and school choice criteria for the choice of a particular private school by parents in Berlin.
Notes
Vor allem bei der Grundschulwahl, die in diesem Artikel im Mittelpunkt steht, wird die Entscheidung für eine bestimmte Einzelschule von den Eltern und nicht von den Kindern getroffen. Auch für die Wahl der weiterführenden Schule haben Eltern, neben einer zunehmenden Einbeziehung der Kinder, immer noch großen Einfluss (vgl. Clausen 2006, S. 79).
Im Folgenden werden die Begriffe „Privatschule“, „private Schule“ und „Schule in freier bzw. privater Trägerschaft“ synonym verwendet. Dies beinhaltet nur genehmigte Ersatzschulen im allgemeinbildenden Schulsystem, an denen die Schulpflicht erfüllt werden kann (siehe auch Klemm et al. 2018, S. 15–16). Berufsbildende Schulen und Förderschulen werden in diesem Beitrag nicht berücksichtigt.
Angestrebt wurden zwölf Interviews mit Eltern, deren Kind eine Privatschule besucht. Jedoch konnte in einem Fall keine passende Familie für ein Interview gefunden werden. Im anderen Fall stellte sich erst im Interview heraus, dass das Kind nicht die erste, sondern bereits die fünfte Klasse besucht, weshalb dieses Interview aufgrund von Erinnerungsproblemen und einer schlechten Vergleichbarkeit für die Analysen ausgeschlossen wurde.
Auch in Bezug auf den höchsten Berufsbildungsabschluss kann diese Verzerrung im Sample konstatiert werden. So ist der höchste Berufsbildungsabschluss in acht Familien der (Fach‑)Hochschulabschluss und in je einer Familie eine höhere Beamtenausbildung bzw. ein Fachschulabschluss.
Dabei erhält der erste Erwachsene jeweils den Wert 1, jede weitere im Haushalt lebende Person ab 14 Jahren den Wert 0,5. Kinder unter 14 Jahren werden mit dem Wert 0,3 gewichtet. Eine Familie mit Mutter, Vater und zwei Kindern im Alter von 7 und 3 Jahren und einem monatlichen Haushaltseinkommen von 2940 € hat demnach ein Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen von: 2940 €/(1 + 0,5 + 0,3 + 0,3) = 2940 €/2,1 = 1400 €.
Zudem ergab eine zeichengenaue Überprüfung der codierten Textsegmente eine Übereinstimmung von 79,92 %, was ebenfalls als sehr hoch zu werten ist.
Herzlichen Dank an Verena Vogt und Katharina Kruse für ihre Mitarbeit bei der Typisierung sowie hilfreiche Hinweise und Anregungen.
Hier wird auf das entsprechende Interview und den Interviewabschnitt des Zitats verwiesen.
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Mayer, T. „Und dann geht natürlich nur der Weg zur Privatschule“ – Individuelle Schulwahlprozesse und Einzelschulwahl an privaten Grundschulen. Z Erziehungswiss 22, 389–410 (2019). https://doi.org/10.1007/s11618-018-0860-9
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