Zusammenfassung
Die Rechtsextremismusforschung hat bislang weitreichende Erkenntnisse über Parteien und rechte Bewegungen und deren ideengeschichtliche Einbettung geliefert. Der Referenzrahmen der Forschung ist die Demokratie. Jedoch findet keine ideologiekritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit von Demokratien statt, sodass es bislang nicht möglich ist, Gefährdungspotenziale von radikal und extrem rechten Phänomenen für etablierte und junge Demokratien genauer zu identifizieren oder Auskunft darüber zu erhalten, was solche Phänomene über den Zustand von Demokratien zum Ausdruck bringen. Das Plädoyer ist, Rechtextremismus- und Demokratieforschung bzw. Ideologiekritik in Einklang zu bringen. Das Ziel ist eine „reflexive“ Rechtsextremismusforschung.
Abstract
So far, research on right-wing extremism has been able to provide wide-ranging insights into political parties and right-wing movements as well as their embedding in terms of the history of ideas. The reference framework of that research is democracy. However, there is no analysis of ideological criticism of the reality of democracies. Therefore, it has been impossible to identify the potential risks of radical and extreme right phenomena for established and young democracies yet. Additionally, researchers have not been able so far to obtain information on what these phenomena say about the state of democracies. The plea is to align studies on right-wing extremism with research on democracies and ideology critique. The aim is a “reflexive” research on right-wing extremism.
Notes
Zu den Entwicklungspfaden von Transformationsgesellschaften der späten Phase der dritten Demokratisierungswelle siehe ausführlicher Birsl (2016b).
Die Rede von Trump ist in The Guardian veröffentlicht und von Alan Yuhas (2016) kommentiert.
In der Online-Ausgabe des Tagesspiegels wurde am 19. Januar 2017 die Rede von Höcke vollständig veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Transkription durch den Journalisten Konstantin Nowotny.
Grundlage dieser Einschätzung ist die eigene Auswertung der Daten zu den USA für den Zeitraum von 1990 bis 2012 aus dem Demokratiebarometer der Universität Zürich und des Wissenschaftszentrums Berlin (zur konzeptionellen Anlage Bühlmann et al. 2012), die noch nicht veröffentlicht ist.
Soweit der eigene Forschungsüberblick reicht, liegen hierzu noch keine Untersuchungen vor, die diese Entwicklung in Polen und deren Folgen für die politischen Herrschaftsverhältnisse einordnen. Diese Erkenntnisse basieren auf der Medienberichterstattung, etwa in der Süddeutschen Zeitung, Der Spiegel oder Die Zeit.
Diesen Zusammenhang hat Renate Kreile (2012) für die Politik der AKP in der Türkei herausgearbeitet.
Anders Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, sieht sich aus christlichen Motiven heraus legitimiert, zwei Bedrohungen von Europa abzuwenden: die vermeintliche Kolonialisierung durch den Islam und den Feminismus (Birsl 2017). In Norwegen ist mittlerweile eine Debatte darüber entstanden, ob nicht der Antifeminismus die entscheidende Triebfeder für die Attentate gewesen ist.
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Birsl, U. Die Demokratie und ihre Gegenbewegungen: eine kritische (Selbst‑)Reflexion zu Begriffen und Referenzrahmen in der Rechtsextremismusforschung. Polit Vierteljahresschr 59, 371–384 (2018). https://doi.org/10.1007/s11615-018-0081-0
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