Am 28. März 2018 ist Stephan Leibfried überraschend und ohne Vorwarnung aus dem Leben gerissen worden. Ein Schock für alle, die ihm nahestanden, für diejenigen, die mit ihm zusammenarbeiteten, und für den großen Kreis jener, die ihn und seine Arbeiten kannten. Noch an den Tagen davor war er dabei, eine neue Buchserie anzuschieben, schrieb E‑Mails, redigierte den Forschungsantrag einer jungen Kollegin, kümmerte sich um wissenschaftspolitische Belange. Wie während seines gesamten intensiven Lebens als Wissenschaftler, jonglierte er mit mehreren Bällen gleichzeitig und trieb die Dinge, die im wichtig erschienen, voran.

Er war in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmepersönlichkeit – als Mensch, als Netzwerker, als Institutionenbauer, als Bremer Bürger, als Person des öffentlichen Lebens und als akademischer Lehrer und Wegbereiter. Sein großes wissenschaftliches Thema war der Sozialstaat: seine Funktionen, seine Antriebskräfte, seine Legitimationsbedingungen, seine gesellschaftlichen Folgen. Der „Sozialstaatsingenieur“, so der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube in seinem Nachruf auf Stephan Leibfried, kannte alle Stellschrauben des Sozialstaatsschiffes, auch wenn er sich mitunter unwissend und bescheiden geben konnte. Er war ein Experte alten Schlags, keiner, der nur auf einer Datenwelle über ein Thema hinwegreitet, sondern ein historisch und komparativ Beschlagener, der die Tiefenstruktur seines Gegenstands sehr gut kannte. Dies ließ ihn Sichtachsen finden, die andere nicht wahrnahmen, und scheinbar nebensächliche Aspekte in einen größeren Zusammenhang bringen. Wo sich andere am Kleinteiligen festhielten, konnte er leichthändig den argumentativen Hebel verlängern. Immer war er bereit, Gewissheiten infrage zu stellen und Altes neu zu sehen.

Nach dem Studium an der Freien Universität Berlin, die damals der Schmelztiegel des 1968er-Generationenaufbruchs war, promovierte er an der frisch gegründeten Universität in Bremen, die ihn nur wenig später zum Professor, zunächst mit der Denomination „Sozialpädagogik und Sozialverwaltung“, machen sollte. Wie etliche andere seiner Generation, war er ein Schnellstarter: Gerade mal 28 Jahre alt, hatte er schon zwei Studienabschlüsse in der Tasche, einen in der Politikwissenschaft, einen in der Rechtswissenschaft mit erstem und zweiten Staatsexamen, sowie eine Promotion, und er arbeitete als Assistent an der Universität Frankfurt. Mit 30 kam dann der Ruf nach Bremen, der Stadt, der der geborene Göttinger immer treu bleiben sollte. In Berlin hatte ihn der revolutionäre Geist angeweht: Das von ihm herausgegebene Buch Wider die Untertanenfabrik. Handbuch zur Demokratisierung der Hochschule (1967) und der Suhrkamp-Band Die angepaßte Universität – Zur Situation der Hochschulen in der Bundesrepublik und den USA (1968) waren intellektuelle Stichwortgeber und machten ihn zum Fürsprecher einer weitreichenden Demokratisierung der Hochschulen. Der Vergleich mit den USA lag ihm nahe und sollte sein ganzes akademisches Leben eine wichtige Bezugsgröße bleiben. Leibfried hatte schon als Schüler und Student mit seiner Familie mehrere Jahre in den USA verbracht und sollte diesem Land durch zahlreiche Forschungsaufenthalte und Fellowships an den renommiertesten Institutionen verbunden bleiben. Seine wissenschaftspolitischen Vorstöße zehrten von dieser Erfahrung: der Departmentstruktur, der interdisziplinären Vernetzung oder auch der Schaffung von Forschungszentren mit eigener Strahlkraft. In der traditionellen Fachbereichs- und Fakultätsstruktur, so sein Credo, sei eine wirklich innovative Forschung kaum zu organisieren.

Mit seinem Gang nach Bremen begab er sich auf unsicheres Terrain, und mancher mag ihm damals davon abgeraten haben. Die Universität war – nach langen Querelen – frisch gegründet worden und noch weit davon entfernt, im Wissenschaftssystem Anerkennung zu finden. Die DFG mochte sie lange Zeit nicht als Mitgliedshochschule aufnehmen. Aber Leibfried, ganz im Angang seiner frühen Arbeiten zum Hochschulwesen, erkannte den Charme des Neuanfangs ohne den Ordinarienstaat der Traditionsuniversitäten des Landes. Hier eröffneten sich Spielräume, hier galt es zu erproben, hier wurde improvisiert, hier fehlte es an starren Strukturen und unbeweglichen Gemütern, was ihm, seinem Naturell und seinen Kooperationsinteressen, sehr zupass kam. Nicht Bewegung in, sondern Bewegung von Strukturen war sein Erfolgsrezept.

Ein erster Coup gelang ihm und seinen Bremer Mitstreitern mit der Einrichtung eines Forschungsschwerpunkts zum Thema „Reproduktionsrisiken, soziale Bewegungen und Sozialpolitik“, welcher zum Nukleus weiterer Großinitiativen werden sollte. Ende der 1980er-Jahre kamen dann gleich zwei Paukenschläge dazu: Mit einer Anschubfinanzierung der VolkswagenStiftung gelang die Gründung des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS), einem einzigartigen Forschungszentrum mit interdisziplinärem Charakter, in welchem Ökonomen, Gesundheitswissenschaftler, Politikwissenschaftler und Soziologen den – wie Leibfried ihn gerne nannte – „Elefanten“ Sozialstaat erforschten. Größen wie Claus Offe, Ilona Ostner, Rainer Müller, Manfred G. Schmidt und andere konnten gewonnen werden, auch weil Leibfried von den Bremer Vorzügen so ungebremst schwärmen konnte. Fast zeitgleich wurde der Universität Bremen ihr erster Sonderforschungsbereich mit dem Obertitel „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“ (SFB 186) bewilligt – ein „Eisbrecher der Anerkennung“ für die gesamte Universität, wie Leibfried später rückblickend sagen sollte. An diesem SFB, der die longitudinale sozialwissenschaftliche Forschungsperspektive im Zusammenspiel von Institutionen und Individuen in Deutschland fest verankern sollte, waren so wichtige Forscherpersönlichkeiten wie Walter Heinz, Ansgar Weymann und Helga Krüger beteiligt. Leibfrieds eigenes Projekt, das er aufbauend auf eigenen Arbeiten zur Armutspolitik mit Lutz Leisering, Petra Buhr und anderen zusammen realisierte, wurde unter dem Titel Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat (1995) geradezu zum Klassiker der dynamischen Armutsforschung. Zum ersten Mal konnte auf der Grundlage von Sozialhilfedaten gezeigt werden, dass damals ein Großteil der Armut nicht dauerhafter, sondern temporärer Natur war. Was einigen als Verharmlosung der Erfahrung von Armut vorkam, weil sie eben nicht immer verfestigt, sondern oft vorübergehender Natur ist, sah Leibfried ganz anders: Die Armutserfahrung reiche bis in die Mittelschichten hinein und war eben kein Problem einer „Randgruppe“, wie man damals sagte.

Es folgten maßstabsetzende Arbeiten zum Zusammenhang von Globalisierung und Sozialpolitik (mit Elmar Rieger), die manche heutige Diskussion zur sozialen Frage unter den Bedingungen von Freihandel und Weltmarktöffnung vorwegnahm. Sozialpolitik wurde in Grundlagen der Globalisierung. Perspektiven des Wohlfahrtsstaates (2001) nicht als Antipode der Globalisierung verstanden, sondern geradezu als deren Voraussetzung, denn nur die abpuffernde Wirkung sozialstaatlicher Kompensation mache die Volatilität der globalen Marktkräfte erträglich. Zusammen mit dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Paul Pierson veröffentlichte Leibfried 1995 den Band European Social Policy: Between Fragmentation and Integration (Deutsch unter dem Titel Standort Europa), der die zunehmenden Verflechtungsprozesse zwischen den Mitgliedsländern der EU als Herausbildung „semi-souveräner Wohlfahrtsstaaten“ beschrieb. Eine eher historische Blickrichtung hatten die Forschungen zum Föderalismus, so im Buch Federalism and the Welfare State. New World and European Experiences (2005), die er gemeinschaftlich mit Herbert Obinger und Francis G. Castles anstieß. Mit Jutta Allmendinger entwickelte er das Konzept der „Bildungsarmut“, das die sozialpolitische Diskussion für Fragen der Bildungsungleichheit öffnete. Auch das Oxford Handbook of the Welfare State (2010), alsbald ein Standardwerk des Fachs, wäre ohne sein Zutun nicht zustande gekommen.

Ab der Jahrtausendwende richtete sich Leibfrieds Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den Staat als Akteur, der angesichts von Privatisierung und Globalisierung in Bedrängnis zu geraten schien. Unmittelbar nach dem Auslaufen des alten SFBs initiierte er gemeinsam mit Michael Zürn und Bernhard Peters den Sonderforschungsbereich „Transformation der Staatlichkeit“ (SFB 597), der wiederum für die Bremer Sozialwissenschaften zum Powerhouse wurde. Nicht das Ende des Staates wurde hier diagnostiziert, sondern eine Veränderung von Staatlichkeit, die auch mit einer Verlagerung von Kompetenz und Ausfransungseffekten einhergeht. Der Staat verliert seine Omnipotenz der Entscheidung, Durchsetzung und Organisation im Hinblick auf Fragen von Recht, Sicherheit und Wohlfahrt und tritt zunehmend in die Rolle eines Managers. 2005 gab er gemeinsam mit Zürn das Buch Transformations of the State? heraus, welches diese Forschungsperspektive entfaltete. Die auch auf sein wissenschaftliches Voranschreiten zurückgehende Summe des Wissens über die Veränderungen des Staates hat Leibfried mit Mitstreitern im Oxford Handbook of Transformations of the State (2010) auf beeindruckende Weise dokumentiert.

Leibfried war ein disziplinäres Chamäleon, das sich um die umgrenzten Vorgärten disziplinärer Einheitlichkeit nicht scherte. Im Laufe seiner akademischen Laufbahn wanderte er durch verschiedene Disziplinen, fing als Politikwissenschaftler und Jurist an, besetzte dann zunächst eine sozialpädagogische Professur, arbeitete danach als Armutsforscher mit soziologischer Brille und Methoden und kehrte dann wieder in die Politikwissenschaften ein, obwohl allein die zeitliche Abfolge eigentlich ein Missverständnis ist, denn Leibfried konnte sich einer Disziplin anverwandeln und sich urplötzlich wieder von ihr distanzieren, wenn ein anderer Aussichtspunkt bessere Einsichten versprach. Sein lang gehegter Traum war die Wiedergeburt einer Staatswissenschaft, die die Rechtswissenschaft, die politische Ökonomie, die Soziologie und die Politikwissenschaft zusammenführt. Die facettenreichen Beziehungen von Staat und Gesellschaft, von Institutionen, Interessen und Ideen, waren das, was ihn interessierte.

Parallel zu seinem Schaffen als Forscher gingen die von Leibfried initiierten und unterstützen Institutionenbauten weiter. Die Graduate School of Social Science (GSSS) – 2002 durch eine Finanzierung der VolkswagenStiftung angeschoben – orientierte sich am angelsächsischen Modell der Graduate Schools und sollte in Deutschland im weiteren Verlauf eine Vorreiterrolle bei der strukturierten Promotion in den Sozialwissenschaften einnehmen. Es war Leibfrieds Idee, eine Junior Faculty direkt in der Graduate School zu verankern, sie mit einem eindeutigen (natürlich bremischen) inhaltlichen Profil auszustatten und auf die Anwerbung internationaler Talente zu setzen. 2007 gelang dieser Graduate School – dann in Zusammenarbeit mit der Jacobs University – der Sprung in die Exzellenzförderung des Bundes und der Länder, was die Sichtbarkeit der Bremer Sozialwissenschaften noch einmal erhöhte. Eine weitere Initiative, die Leibfried vor und hinter den Kulissen nach Kräften anschob, war die Gründung des Hanse-Wissenschaftskollegs (HWK) in Delmenhorst, in welchem die Sozialwissenschaften fest verankert wurden. Nach ihrer Einrichtung wurde er auch aktiver Unterstützer der International University Bremen (jetzt Jacobs University), die ihn dann später zum „Wisdom Professor“ machen sollte. Mit Leibfrieds flankierender Unterstützung entwickelte sich das Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) zum SOCIUM, dem Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, und bündelte dadurch die vor Ort vorhandene Expertise. Kurz vor Leibfrieds Tod schaffte es Bremen, den dritten sozialwissenschaftlichen SFB in Folge zu ergattern – den SFB 1342 mit dem Oberthema „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“. Leibfried drängte und drückte bis zuletzt, damit auch diese Initiative Erfolg hatte. Es war außergewöhnlich, mit welcher Passion und welcher Selbstaufgabe er sich für den Erfolg einer gemeinsamen Sache verwenden konnte. Es besaß einen Überschuss an Gemeinwohlorientierung, von dem viele profitierten. In den großen sozialwissenschaftlichen Instituten war auch deshalb sein Rat gefragt, ob im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, beim Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln oder beim Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES).

Leibfrieds Küche in der Bremer Händelstraße war der Ausgangsort vieler dieser Forschungsinitiativen. Gern lud er Freunde, Kollegen, Nachbarn, Politikgestalter und -umsetzer aller Art für Gespräche zu sich ein, schaffte eine private Atmosphäre, brachte unterschiedliche Persönlichkeiten zusammen, beraumte Dringlichkeitssitzungen ein, reichte neue Lektürefunde herum. Dies geschah häufig ohne formalen Rahmen, ganz alltäglich und nebenbei. Jeder konnte ihn auch zu Hause beobachten – beim Lesen, Schreiben, Papiereordnen oder Telefonieren. Mehr als nur nebenbei versorgte und erzog er seinen bei ihm wohnenden Sohn Philipp. Später war es die US-Amerikanerin Susan Gaines, die dort gemeinsam mit ihm arbeitete. In ihr, die als Fellow an das Hanse-Wissenschaftskolleg kam und sich für die Grenzflächen zwischen Literatur und Wissenschaft interessierte, fand er eine kongeniale Partnerin, mit der er auch seine künstlerisch-musischen Neigungen teilen konnte.

Ein Leuchtturm im Norden zu sein – das wünschte er seinem Bremer Standort. Rufe aus dem In- und Ausland, ob aus Bath, von der Central European University in Budapest oder von der Humboldt-Universität zu Berlin, schlug er aus. Er war gekommen, um zu bleiben. So sehr er Lokalpatriot war, so antiprovinziell war er aber zugleich. Seine Netzwerke halfen, so manchen international renommierten Forscher nach Bremen zu bringen. Selbst die wissenschaftlichen Stars der Harvard University siedelten als Fellows an das Hanse-Wissenschaftskolleg ins nun weltbekannte Delmenhorst um, wenn er sie einlud. Sobald sie vor Ort waren, steckte er sie mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs zusammen und machte die nachfolgenden Bremer Generationen fit für das internationale Wissenschaftsparkett. Sein früher Kontakt mit den amerikanischen Forschungsuniversitäten – im Jahr 1971/72 war er als Fellow am Center for European Studies an der Harvard University – ließ ihn immer wieder für universitäre Organisationsformen und Formate streiten, die nicht die disziplinäre Versäulung, sondern den interdisziplinären Austausch stärken. Er war in seiner Generation auf auffällige Weise international orientiert, was sein Denken, die Netzwerke und die Publikationsstrategien anging.

Als unermüdlicher Strippenzieher saß Leibfried immer an der nächsten großen Sache, die angestoßen werden musste. Mit absichtsvoller Übertreibung könnte man sagen: Wer „unter“ ihm der Rektor der Uni Bremen war, störte ihn eigentlich wenig, denn er hatte seine Netzwerke in die Politik und die Wissenschaftsverwaltung, mit denen er über die Jahre verlässliche Beziehungen aufgebaut hatte. Dort wusste man ihn als Partner und Ideengeber zu schätzen. Sein großes Steckenpferd in den letzten Jahren waren wissenschaftspolitische Fragen, die er mit einer Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), deren Mitglied er war, beackerte. Als jüngste Frucht seines unermüdlichen Einsatzes für die Sache kann das Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung angesehen werden, das durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) getragen wird. Er machte sich um die langfristige Aufstellung der Sozialpolitikforschung an den Universitäten Sorgen. Ein Land, das fast ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts für Sozialausgaben aufwende, so sagte er immer wieder, müsse dies auch beforschen lassen. Ohne Evidenzbasierung, ohne Forschungsanstrengungen, ohne den internationalen Vergleich und ohne theoretische Reflexion gebe es auch keine gute Politikberatung und kein institutionelles Lernen.

Stephan Leibfried hatte einen feinen, hintersinnigen Humor und war zugleich ein nachdenklicher Mensch. Er schrieb meist mit angespitzter Feder und äußerst anspielungsreich. Mit ein paar knappen Bemerkungen, mit einer überraschenden Volte oder mit einer privaten Anekdote schaffte er es, Personen und ihren Forschungsstil zu charakterisieren und unverwechselbar zu machen. Bei Leibfried verband sich das Interesse an einer Sache immer mit dem Interesse am Menschen. Er konnte sich kümmern und sorgen, wenn es gebraucht wurde, konnte den Menschen nahe sein. Im Umgang war er denkbar unkonventionell: Er konnte einen am Sonntagvormittag anrufen und sich selbst zum Essen einladen. Oder aber auch ohne Vorwarnung einfach auf dem Rückweg vom Tennisplatz bei Kollegen klingeln, um bei Kaffee und Keksen die nächsten Schritte in einer Sache zu besprechen. Immer gab es etwas zu bereden, zu organisieren, weiter voranzutreiben – hier konnte er ein unermüdlicher Anstoßer sein, der es darauf abgesehen hatte, festgezurrte Strukturen aufzuweichen oder das Unmögliche möglich zu machen. Sein Erfolg lag im notorischen Nicht-Akzeptieren, dass bestimmte Dinge nicht funktionieren sollten, im Wagemutigen. Nicht immer erreichte er damit sein Ziel, aber er machte so manches dicke Brett löchrig, bis es schließlich brach. Mir selbst war Leibfried über viele Jahre lang ein Mentor und freundschaftlich verbundener Kollege, einer, der selbst bei komplizierten Fragen Rat wusste. Das „Lesen von Institutionen“ konnte man bei ihm lernen und den Mut, Dinge auch gegen Widerstand voranzutreiben.

Lichtspuren heißt ein dicker Wälzer, in dem er vor ein paar Jahren die Entwicklung der Sozialwissenschaften in Bremen von Anbeginn an dokumentierte. Er enthält Hunderte Fotos, die die lange Wegstrecke, die vielen Stationen und die vielen Mitstreiter sichtbar machen.

Auch Stephan Leibfried leuchtete, und so leuchten auch die Spuren, die er hinterlässt!