Zusammenfassung
Während das Beziehungsstärkekonzept eine theoretisch plausible Verfeinerung der Meinungsführerkonzeption ist, haben bisherige Studien eine nachrangige Bedeutung der Beziehungsstärke für die Meinungsführung nahe gelegt. Der Beitrag vertritt die Leitthese, dass starke und schwache Beziehungen bei der Meinungsführung wichtige Rollen spielen, die bisher methodisch unzureichend differenziert wurden. Vor diesem Hintergrund wird der Zusammenhang zwischen der Beziehungsstärke und der Meinungsführung einer eingehenderen Reanalyse unterzogen. Im Zentrum steht die Erweiterung ego-zentrierter Netzwerkanalysen um statistische Mehrebenenverfahren. Diese werden auf die Originaldaten einer Studie von Schenk (2006) zur Finanzmeinungsführung in Deutschland (n = 10.100 Befragte) angewandt, die bisher als wichtiger Beleg für die nachrangige Rolle der Beziehungsstärke galt. Die Befunde zeigen, dass starke und schwache Beziehungen für die Meinungsführung wichtiger sind als bisher bekannt. Starke Beziehungen liefern eine besonders fruchtbare Grundlage für die Beeinflussung der Netzpersonen, mit denen sie die Meinungsführer verbinden. Schwache Bindungen begünstigen die Meinungsführung dagegen in struktureller Hinsicht, indem sie den Einfluss katalysieren, den Meinungsführer auf ihre starken Kontakte haben.
Abstract
Although the concept of tie strength plausibly extends opinion leadership theory, prior studies have indicated that tie strength is of minor importance for opinion leadership. The paper argues that strong ties and weak ties play major roles in the process of opinion leadership that prior studies have insufficiently differentiated due to methodological limitations. Against this background, a methodologically more rigorous reassessment of the association between tie strength and opinion leadership is conducted. The reassessment centers on the combination of ego-centered network analyses with statistical methods of multilevel analysis. These are applied to original data of a study by Schenk (2006) on financial opinion leadership in Germany (n = 10,100 survey respondents) which has previously been considered as an important indication for tie strength’s minor importance. Empirical results show that strong ties and weak ties are remarkably more important in the process of opinion leadership than previously known. Opinion leaders benefit from strong ties, because personal influence can be carried through them comparatively easily. By contrast, weak ties foster opinion leadership in a structural manner by catalyzing the influence that opinion leaders can exert through strong ties.
Notes
Meinungsführung ist eine eher unauffällige, beiläufige und bisweilen sogar unwissentlich erfolgende Art der sozialen Beeinflussung (Dressler und Telle 2009). Meinungsführer üben Einfluss aus, indem sie die Urteilsfindung ihrer Gefolgsleute bei bestimmten Themen und Entscheidungen durch Ratschläge unterstützen. Im Vergleich dazu gibt es Konzepte, mit denen versucht wird, generelle Bezugspersonen zu bestimmen, die in mehreren Themenbereichen Einfluss auf andere ausüben. So ist zum Beispiel der Einfluss von Bezugspersonen, die Noelle-Neumann (2000) als Persönlichkeitsstarke bezeichnet, thematisch breiter und eher normativer Art, d. h. er vollzieht sich stärker über die Ausübung sozialen Drucks und ihre Anziehungskraft auf andere Personen (Mangold 2017; Schenk 2007). Ein weiteres Konzept haben Feick und Price (1987) mit dem Market Maven entwickelt. Sie kennzeichnen als Market Mavens sprachlich Bezugspersonen, die vor allem beim Kauf kurzlebiger Konsumgüter Einfluss ausüben. Ihr Einfluss ist weniger produktspezifisch als der – stärker auf langlebige Güter bezogene – Einfluss der Meinungsführer (Zhang und Lee 2015). Im Gegensatz zu Frühadoptoren sind Meinungsführer weder notwendigerweise Produktkäufer/-verwender noch ausnehmend innovativ, sondern sie gehören bei Diffusionsprozessen oft auch der frühen Mehrheit an (Walsh 1999).
Demgemäß legen die vorliegenden Befunde den Schluss nahe, dass es Meinungsführern nur in den wenigsten Fällen gelingt, einen besonders weitreichenden gruppenüberspannenden Einfluss über schwache Beziehungen zu entfalten (vgl. zusammenfassend Dressler und Telle 2009; Moldovan et al. 2016; Schenk 2007; Weimann 1994).
Für eine umfassende Dokumentation zur Verteilung der Netzpersonen und eine Beschreibung der Befragtennetzwerke anhand der gängigen Strukturmaße sei auf die Originalpublikation von Schenk (2006) verwiesen.
Konkret werden diejenigen Dyaden als Meinungsführungsrelationen klassifiziert, bei denen die Netzperson auf den Generator G4, nicht aber auf Generator G3 nominiert wurde. Diese Operationalisierung entspricht der klassischen Konzeptualisierung von Meinungsführung als einseitigem Einflussprozess. Diese scheint uns, im vorliegenden Fall, zweckmäßiger als eine breitere Konzeptualisierung, die auch wechselseitige Meinungsteilungsprozesse einschließt, bei der sich die Kommunikationsteilnehmer gegenseitig beeinflussen. Sie drückt nämlich die exponierte Stellung des Meinungsführers in seinem Netzwerk prägnanter aus (Noelle-Neumann 2000). Wechselseitige Meinungsteilungsprozesse spiegeln sich in einer gleichzeitigen Nominierung der Netzperson auf die Generatoren G3 und G4 wider.
Im Einklang mit der Originalpublikation von Schenk (2006) stellte sich das Gesamtbild ergänzender deskriptiver Re-Analysen wie folgt dar: Bei den starken Bindungen handelte es sich vornehmlich um emotional fundierte Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen, die durch Homophilie geprägt waren. Schwache Bindungen waren demgegenüber oft reine Informationsrelationen und speziell Ratgeberrelationen zu tendenziell höher gebildeten Bekannten mit einem professionellen Finanzhintergrund, durch die sich die Befragten Expertise in Finanzfragen einholten.
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Mangold, F., Schenk, M. Die Bedeutung der Beziehungsstärke für die Meinungsführung: zentrales Konstrukt oder doch vernachlässigbare Randerscheinung?. Köln Z Soziol 70, 1–24 (2018). https://doi.org/10.1007/s11577-018-0512-3
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