In einem kollaborativen und partizipativen Prozess untersuchten Jugendliche und Präventionsfachpersonen der Abteilung Kinder- und Jugendgesundheit des Kantons Zug zusammen mit Wissenschaftler*innen die psychische Gesundheit Jugendlicher im Kanton Zug. Die Kampagne „10 Schritte für psychische Gesundheit“ wurde anschließend jugendgerecht angepasst. Neue Angebote zur Stärkung der psychischen Gesundheit Jugendlicher wurden entwickelt. Der Beitrag zeigt auf, dass und wie partizipative Angebotsentwicklung in Gesundheitsämtern gelingen kann. Methodische Zugänge, Förderfaktoren und Stolpersteine werden benannt.

Psychische Gesundheit, definiert als subjektives Wohlbefinden einer Person und ihrer Fähigkeit zur Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen und Belastungen [22], ist ein lebenslanger Prozess, der von biologischen, individuellen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Die Jugendphase scheint dabei besonders kritisch und relevant für den Aufbau und den Erhalt psychischer Gesundheit zu sein. Es sind verschiedene Entwicklungsaufgaben zu bewältigen (u. a. Identitätsentwicklung, Ablösung von zuhause). Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen entstehen und verfestigen sich. Die Jugend wird zunehmend als Wendepunkt im Gesundheits- und Krankheitsverhalten verstanden, auch weil während dieser Zeit viele physische und psychische Beschwerden zum ersten Mal auftreten [17]. Diese Altersphase ist deshalb ein wichtiges Zeitfenster für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung [15].

Der Kanton Zug war einer der ersten Kantone in der Schweiz, der eine Strategie zur psychischen Gesundheit erarbeitete und implementierte. Die Abteilung Kinder- und Jugendgesundheit (KJG) verfolgt schon länger das Ziel, das soziale, psychische und physische Wohlbefinden von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhalten und zu fördern. Im Frühjahr 2018 stand ein weiteres Vorhaben an: Die „10 Schritte für psychische Gesundheit“ – nachfolgend „10 Schritte“ genannt – sollten jugendgerecht angepasst werden. Die 10 Schritte sind Denkanstöße, die Personen dazu befähigen sollen, ihre psychische Gesundheit zu erhalten bzw. zu verbessern. Sie repräsentieren den von der Weltgesundheitsorganisation geforderten ganzheitlichen und positiven Ansatz, da sie Individuen dazu ermutigen, selbst aktiv zu werden, sich in der Gemeinschaft zu beteiligen und proaktiv mit Lebensbelastungen umzugehen [19, S. 40–44]. Es ist ein verhaltensorientierter Zugang, der in unterschiedlichen Settings eingesetzt werden kann. Die 10 Schritte sind folgende [7, 13]:

  • „Sich beteiligen“, Teil einer Gemeinschaft werden und sich einbringen,

  • „sich selbst annehmen“, sich akzeptieren und Sorge zu sich tragen,

  • „darüber reden“, Sorgen mit Freunden und anderen Vertrauenspersonen teilen,

  • „aktiv bleiben“, sich regelmäßig körperlich bewegen,

  • „Neues lernen“, Neugierde pflegen,

  • „etwas Kreatives tun“, Dinge selbst gestalten,

  • „mit Freunden in Kontakt bleiben“, soziale Beziehungen pflegen,

  • „um Hilfe fragen“, bei Problemen Hilfe in Anspruch nehmen,

  • „sich entspannen“, Phasen der Ruhe und Entspannung einbauen,

  • „sich nicht aufgeben“, Krisen und Schwierigkeiten überwinden.

Der Kanton Zug richtete sich bis anhin mit den 10 Schritten an die erwachsene Bevölkerung [8, 9]. Trotz der von Ruch et al. [19] aufgezeigten wissenschaftlichen Fundierung der 10 Schritte und positiver Erfahrungen im Kanton Zug, war offen, inwieweit der Zugang sich für die Arbeit mit Jugendlichen eignen würde. Dies wurde in einem partizipativen und kollaborativen Vorgehen abgeklärt und die 10 Schritte jugendgerecht adaptiert. Dabei wurden Methoden der partizipativen Qualitätsentwicklung [23] und der partizipativen Forschung (etwa [20]) eingesetzt.

Das partizipative Forschungs- und Entwicklungsprojekt wurde 2018 bis 2019 unter Beteiligung von Präventionsfachpersonen, Jugendlichen, Textern, Grafikern und Wissenschaftler*innen einer Fachhochschule durchgeführt. Clar und Wright stellen in ihrer Bestandsaufnahme zu partizipativer Forschung fest, dass im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl partizipativer Projekte zu finden sind. Die Ergebnisse und Erfahrungen vieler Projekte wurden jedoch nicht in Fachzeitschriften veröffentlicht [3]. Unser Artikel soll einen Beitrag zur Schließung dieser Publikationslücke leisten. Im Folgenden wird anhand des Zuger Projekts dargelegt und reflektiert, dass und wie partizipative Angebotsentwicklung in einem Gesundheitsamt gelingen kann. Im Zentrum des Beitrags stehen der gesamte Prozess, methodische Zugänge sowie Förderfaktoren und Stolpersteine in der Umsetzung. Die daraus entstandenen Erkenntnisse sollen für andere Gesundheitsämter und Fachpersonen nutzbar gemacht werden.

Methodisches Vorgehen

Die partizipative Qualitätsentwicklung wurde am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB im Kontext der Verbesserung der Prävention und Gesundheitsförderung für sozial benachteiligte Gruppen begründet [24]. Verbunden wurden Ansätze der Aktionsforschung und Qualitätsentwicklung. Adressat*innen von Prävention und Gesundheitsförderung sollen von Beginn an in die Entwicklungsprozesse einbezogen werden – unter Berücksichtigung klassischer Zyklen und Prämissen der Qualitätsentwicklung (Bedarfsbestimmung, Evaluation etc.). Idealerweise definieren sie mit, was das eigentliche (Gesundheits)problem ist und wie es gelöst oder zumindest verbessert werden kann. Ganz im Sinne der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung [21] sollen die beteiligten Gruppen im Prozess auch selbst gestärkt werden. Sie sollen mehr Kontrolle über ihre Gesundheit erlangen und ihre Gesundheit verbessern können. Empowerment (Befähigung), „capacity building“ (Kompetenzentwicklung) und wirkliche Partizipation (nicht bloßes Anhören oder Teilnehmen) sind zentrale Prinzipien, die umzusetzen sind [24, S. 14 f.]. Abgestützt auf das im Prozess erarbeitete „lokale Wissen“, womit das Wissen der Zielgruppe selbst und dasjenige naher Akteur*innen in ihrer Lebenswelt gemeint ist, wird eine „lokale Theorie“ erarbeitet. Die „lokale Theorie“ beschreibt das Gesundheitsproblem vor Ort, liefert Erklärungen für lokale Ursachen und zieht Schlussfolgerungen für die Entwicklung von Maßnahmen [24, S. 17]. Kennzeichnend ist die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure und (idealerweise) die Initiierung und Kontrolle der partizipativen Angebotsentwicklung durch Praktiker*innen und/oder Adressat*innen selbst. Beteiligte Wissenschaftler*innen oder/und Methodenexpert*innen wirken begleitend mit. Auch im vorliegenden Projekt initiierten und moderierten der Abteilungsleiter und eine Mitarbeiterin der KJG den gesamten partizipativen Forschungs- und Entwicklungsprozess. Dieser kann vereinfacht in vier Phasen aufgeteilt werden.

Phase 1 – Forschung

Die Phase Forschung dauerte von Mai 2018 bis Februar 2019 und war zweistufig gegliedert.

Verortung der 10 Schritte für psychische Gesundheit im wissenschaftlichen Diskurs

Vor Beginn des partizipativen Prozesses untersuchten die begleitenden Wissenschaftler*innen anhand deutschsprachiger und internationaler Literatur, inwieweit sich die 10 Schritte auf wissenschaftliche Grundlagen abstützen, wie wirksam sie sind und welche Maßnahmenbereiche im Kontext psychischer Gesundheit Jugendlicher sie abdecken können. So sollte gesichert werden, dass die partizipative Weiterentwicklung und jugendgerechte Anpassung der 10 Schritte in Kenntnis bestehender wissenschaftlicher Evidenzen erfolgte.

Partizipative Forschung mit Zuger Jugendlichen

Ziel dieses Schritts war, mit einer Gruppe von Zuger Jugendlichen – im Folgenden „Jugendforschende“ genannt – und ihren Peers lokales Wissen zusammenzutragen. Untersucht wurde, in welchen Situationen es Jugendlichen im Kanton Zug gut bzw. schlecht geht und was für Strategien sie anwenden, damit es ihnen gut bzw. wieder besser geht. Angelehnt an das Stufenmodell der Partizipation von Wright et al. wurde die Stufe der „teilweisen Entscheidungskompetenz“ (Stufe 7 von 9 Stufen) für die Mitwirkung der Jugendforschenden angestrebt [25, S. 44] und umgesetzt.

Die begleitenden Wissenschaftler*innen erstellten vor dem Start einen methodischen Vorschlag, wie unter Nutzung von Methoden der partizipativen Qualitätsentwicklung und partizipativer Forschung das Vorhaben durchgeführt werden könnte. Im Vorgehensvorschlag enthalten waren Ablaufschritte, Ziele, methodische Vorgehensweisen und konkrete Hilfsmittel für die UmsetzungFootnote 1. Die Vorstellung war nicht, dass dieser Plan genauso umgesetzt würde. Die Verantwortlichen der KJG, die das Projekt moderierten und zum ersten Mal ein solches durchführten, sollten flexibel darauf zurückgreifen und den Jugendforschenden methodische Vorschläge zu Umsetzungsformen machen können.

Die Rekrutierung der Jugendforschenden erwies sich als sehr anspruchsvoll. Der Hauptgrund dafür war die kurze Gesamtprojektlaufzeit. Sie bedingte, dass unmittelbar vor und nach den Sommerferien 2018 Jugendforschende gewonnen werden konnten. Trotz hohem Einsatz meldeten sich nur wenige Jugendliche. Die Rekrutierungsphase musste daher bis in den November 2018 verlängert werden. Angesprochen wurden Jugendliche in allen Schultypen, die vor dem Abschluss der obligatorischen Schulzeit (9. Schuljahr) standen, sich in einem Brückenangebot oder im ersten Berufslehrjahr befanden. Die Ansprache erfolgte über die Schule, die Berufsbildung, die Jugendarbeit, Jugendverbände (z. B. Pfadfinder) und Organisationen der Gesundheitsförderung und des Sozialwesens im Kanton Zug. Professionell gestaltete Flyer, Plakate, digitale und gedruckte Anzeigen im Amtsblatt und auf Webseiten wurden eingesetzt. Lehrpersonen und weitere wichtige Bezugspersonen von Jugendlichen (Schulsozialarbeitende, Jugendarbeitende etc.) wurden direkt angeschrieben. Es fanden Workshops in Schulen statt, um für das Projekt zu werben. An diesen wurde u. a. Einblick in partizipative Methoden gegeben (Verortung jugendlicher Lebenswelten mittels Community Mapping). Aufgrund der Rekrutierungsmaßnahmen und drei öffentlicher Informationsveranstaltungen für Jugendliche meldeten sich 6 Mädchen und 4 Jungen im Alter von 14 bis 18 Jahren, welche für das Projekt angenommen wurden. Die 10 Jugendlichen stammten sowohl aus ländlich als auch (eher) städtisch geprägten Gemeinden des Kantons Zug. Das ganze Kontinuum schulisch schwacher bis sehr starker Jugendlicher (Gymnasium), inklusive Personen in Brückenangeboten, war vertreten; zudem Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Diese Auswahl ist repräsentativ für die Bevölkerungsstruktur in der Gruppe der Jugendlichen im Kanton Zug.

Die Jugendforschenden erhielten von November 2018 bis Februar 2019 einen befristeten Arbeitsvertrag beim Kanton Zug mit einem angemessenen Stundenlohn. Sitzungstermine strukturierten den Forschungsprozess (Tab. 1). Diese wurden vorab mittels einer Terminumfrage festgelegt, was sich angesichts der zahlreichen anderen Verpflichtungen der Jugendlichen als nicht einfach erwies. 9 von 10 Jugendforschenden nahmen bis Ende Februar 2019 regelmäßig an den Sitzungen teil. Durchschnittlich waren 7 Jugendliche an einer Sitzung anwesend.

Tab. 1 Sitzungen des Jugendforschungsteams im Rahmen der Datenerhebung und -auswertung (Quelle: [4, S. 11])

Wie in Tab. 1 ersichtlich, wechselten sich Phasen der Datenerhebung und -auswertung ab. Nach einem Kick-off-Treffen, in dem das gegenseitige Kennenlernen und die Einigung in Bezug auf das (methodische)Vorgehen im Zentrum standen, wurden die Methoden Photovoice [20, S. 69–78], Blitzbefragungen [25, S. 47], diskursive und thematische Erhebungs- und Auswertungsmethoden eingesetzt. Zuerst fotografierten die Jugendlichen Dinge und Situationen in ihrem Alltag, die ihnen gut tun. Diese Bilder wurden gemeinsam diskutiert; dabei konnten relevante Situationen und Themen herausgearbeitet werden (thematische Verortung/Auswertung). Die Photovoice-Methode eignet sich insbesondere für die Arbeit mit Jugendlichen. Sie ermöglicht den nicht-sprachlichen Ausdruck und damit eine sinnliche Dimension, die der heutigen jugendlichen Lebenswelt sehr entspricht. Die Bilder fungieren „… zum einen als Datum (als visuelle Dokumentation der Wirklichkeit) und zum anderen als Erzähl- und Diskussionsanreiz“ [20, S. 71]. Nach den positiven Situationen und Umständen wurde der Fokus auf Umstände gelegt, die aus Sicht der Jugendforschenden dazu führen, dass sich Jugendliche schlecht fühlen. Um zentrale Problemfelder zu identifizieren, wurde mit der Methode des Brainstormings gearbeitet. Problemfelder wie etwa Schulstress, Zukunftsangst, „fake friends“ oder wenig Zeit für die eigene Freizeit wurden von den Jugendlichen benannt und zusammengetragen. Ergänzt wurden diese durch die Nennung positiver Momente der Jugendforschenden und Gründen/Erklärungen für solche positiven Momente. Mittels Blitzumfragen befragten die Jugendforschenden auch Jugendliche in ihrem Freundeskreis, ihrer Schulklasse oder ihrem Verein. Auf diese Weise wurden die eigenen Erfahrungen mit Erfahrungen anderer Jugendlicher abgeglichen und ergänzt. Gegen Schluss wurden alle Daten und Auswertungen – moderiert durch das Projektteam der KJG – zu sechs Themenfeldern zusammengefasst. Diese wurden weiter diskutiert, inhaltlich beschrieben und betitelt. Zu jedem Themenfeld trugen die Jugendforschenden mit Hilfe der Fotos aus der Photovoice-Sequenz stärkende, gesundheitsförderliche Strategien zusammen, die sie dann im Abschlussbericht in eigens verfassten Texten direkt an jugendliche Peers adressierten. Die Ergebnisse, insbesondere auch die zusammengetragenen Strategien, wurden vor der Verschriftlichung in einer Sitzung mit am Projekt nicht beteiligten Jugendlichen kommunikativ validiert.

Phase 2–4 – Analyse und Synthese, Gestaltung und Workshop-Entwicklung

In der Analyse- und Synthesephase wurden die Ergebnisse der ersten Projektphase miteinander in Bezug gesetzt (März 2019). In einem Workshop wurden die 10 Schritte den Jugendlichen erstmals vorgestellt. Anschließend bearbeiteten sie folgende Fragen: Was verstehst du unter den einzelnen Schritten? Machen die 10 Schritte für dich überhaupt Sinn? Welche Schritte sind für dich besonders wichtig? Gibt es Doppelungen? Können einzelne Schritte zusammengefasst werden? Gibt es noch Hilfestellungen, die fehlen? Ergänze. Anschließend nahmen die Jugendlichen die Empfehlungen zur jugendgerechten Anpassung der 10 Schritte aus dem Bericht [14] der begleitenden Wissenschaftler*innen zur Kenntnis und setzten sie zu den partizipativ generierten Forschungsergebnissen der ersten Projektphase in Bezug. Abgestützt darauf und aufgrund persönlicher Erfahrungen der Jugendlichen in ihrer Lebenswelt einigten sich die Jugendlichen und das Projektteam schließlich auf eine Integration von 10 auf 4 Schritte.

In der Gestaltungsphase (April bis Juni 2019) kreierten die Jugendforschenden jugendgerechte Bild- und Textbotschaften für die in der vorherigen Phase erarbeiteten 4 Schritte. Dies erfolgte wiederum mittels Workshops und unterstützt durch professionelle Fachpersonen, den Grafiker Elia Salvisberg und den Texter Tommy Durrer. Dabei wurde entschieden, künftig nicht mehr von 4 Schritten, sondern von 4 Tipps zu sprechen, um eine klare Abgrenzung zum Ansatz der „10 Schritte für psychische Gesundheit“ zu gewährleisten.

In der Phase der Workshop-Entwicklung (April bis Juni 2019) wurden zielgruppengerechte Workshops für Jugendliche im 9. und 10. Schuljahr und 1. Berufslehrjahr entwickelt. Die Workshops entstanden zusammen mit den Jugendlichen. In drei Sitzungen wurden auf der Basis der Positiven Psychologie Übungen konzipiert, die sich für die kompetenzorientierte Vermittlung der 4 Tipps eigneten (s. detailliert dazu [6]). In einer Pilotphase wurden die entwickelten Workshops dann mit 10 Schulklassen getestet, evaluiert und fortwährend angepasst. Dies erfolgte mittels der agilen Methode des „design thinking“.

In den Phasen 2–4 beteiligten sich 6 Jugendforschende (1 Junge, 5 Mädchen), die bereits in der ersten Projektphase mitwirkten.

Ergebnisse

Anhand der folgenden Darlegungen soll die Leser*innenschaft die Ergebnisqualität und den Gewinn der geschilderten methodisch-partizipativen Zugänge einschätzen können. Die detaillierten Ergebnisse können den einzelnen Projektberichten [4,5,6, 14] entnommen werdenFootnote 2.

Phase 1

Die wissenschaftliche Verortung der 10 Schritte [14] zeigte, dass die darin enthaltenen gesundheitsförderlichen Botschaften (z. B. „sich selbst annehmen“) wissenschaftlich abgestützt sind und von einer positiven Wirkung auf die psychische Gesundheit ausgegangen werden kann. Die 10 Schritte können etwa in massenmedialen Kampagnen auf universeller Ebene gewinnbringend eingesetzt werden. Gewisse Schritte können zu einem einzelnen zusammengefasst oder anders benannt werden. Die 10 Schritte adressieren die individuelle Ebene und im Besonderen das Verhalten (z. B. „aktiv bleiben“). Sie vermögen das soziale und gesellschaftliche Umfeld der Jugendlichen nicht maßgeblich zu verändern. Die beste gesundheitsförderliche Wirkung kann deshalb eingebettet in größere multimodale Zugänge entfaltet werden, die auch an Verhältnisse und Strukturen gerichtet sind (Stichworte: Settingorientierung, Verhältnisprävention). Weiter sollte beachtet werden, dass die Botschaften der 10 Schritte die Lebenswelt und Bedürfnisse Jugendlicher mit psychischen Problemen nicht umfassend abdecken. Hier sind zusätzlich indizierte und spezifische Zugänge gefragt.

Die partizipative Studie gelangte zu ähnlichen Ergebnissen wie andere Jugendstudien ([1, 2, 10,11,12, 16, 18]; s. auch [4, S. 30–33]). Sie gibt Einblick in örtliche Rahmenbedingungen und generierte so „lokales Wissen“ [24, S. 17] zu psychischer Gesundheit Jugendlicher im Kanton Zug. Es wurden sechs Themenfelder identifiziert, die Ausgangspunkt von Wohlbefinden und Unwohlsein für die Jugendlichen im Kanton Zug sind: Schulstress, Social Media, Beziehungen, Freizeit und Aktivitäten, Körper und Psyche und die Rolle in der Gesellschaft. In diesen Feldern sind auch die Bewältigungsstrategien und gesundheitsförderlichen Strategien enthalten, die Jugendliche zur (Wieder)herstellung von psychischer Gesundheit nutzen.

Phase 2–4

Die von den Jugendlichen von 10 auf 4 reduzierten und integrierten Schritte für psychische Gesundheit sind in Abb. 1 aufgeführt. Diese 4 Tipps wurden in der massenmedialen Kampagne „Kennsch es?Footnote 3“ (www.kennsch-es.ch) im Kanton Zug ins Zentrum gestellt, an Jugendliche kommuniziert und in einem Schulworkshop integriert. Der Schulworkshop besteht aus 4 Schullektionen. Je eine Vor- und Nachbereitungslektion werden von der Klassenlehrperson angeleitet. Der eigentliche schulische Workshop wird von Fachpersonen der KJG und einem/einer Jugendlichen der Fachmittelschule Zug (Peer-to-peer-Ansatz) durchgeführt.

Abb. 1
figure 1

Vier Tipps für psychische Gesundheit mit Textbotschaften von Jugendlichen für Jugendliche (Quelle: [6, S. 13])

Erstaunlich war, dass die Jugendforschenden bei der Anpassung und Umformulierung der 10 Schritte zu 4 Tipps zu einigen ähnlichen Schlüssen wie Ruch et al. gelangten [19, S. 40–44]. Ein Schritt wurde beispielsweise positiv umformuliert („sich nicht aufgeben“ wurde zu „an sich glauben“) und andere nicht trennscharfe Schritte wurden zu einem einzelnen Tipp zusammengefasst.

Schlussfolgerungen

Nicht nur die 4 Tipps, die Kampagne „Kennsch es?“ und die Schulworkshops zur Förderung psychischer Gesundheit Jugendlicher überzeugten. Vielmehr wurden durch den Prozess selbst Jugendforschende wie Mitarbeitende der KJG gestärkt und ermächtigt, wie dies von Ansätzen partizipativer Qualitätsentwicklung gefordert wird. Die Jugendforschenden wurden über längere Zeit hinsichtlich psychischer Gesundheit sensibilisiert, konnten ihre Stärken in die Gruppe einbringen, Wirksamkeit erfahren und von anderen Jugendlichen lernen. Das Team der KJG erlangte einen unmittelbaren und persönlichen Einblick in die Lebenswelt Zuger Jugendlicher, erlernte und erprobte theoretisch wie praktisch Partizipation und lernte dabei sich und die Hauptadressat*innengruppe der KJG neu kennen. Die entwickelte Jugendkampagne „Kennsch es?“ wurde im September 2020 bereits zum zweiten Mal durchgeführt. Daneben werden im Kanton Zug weiterhin die „10 Schritte für psychische Gesundheit“ für die präventive und gesundheitsförderliche Arbeit mit Erwachsenen eingesetzt. Das Potenzial partizipativer Entwicklungsansätze wurde als sehr groß eingeschätzt. Die erlernten Ansätze werden deshalb weitergeführt und fließen in verschiedene Bereiche der KJG ein. Abschließend werden die wichtigsten Förderfaktoren und Stolpersteine aufgeführt, die aus unserer Sicht bei der Durchführung von partizipativen Forschungs- und Entwicklungsprozessen in Ämtern zu beachten sind.

Förderfaktoren

  • Genügend finanzielle sowie personelle Ressourcen einplanen, um partizipative Forschungs- und Entwicklungsprozesse im Amt tragen und qualifiziert durchführen zu können (idealerweise unterstützt durch Gelder einer Stiftung),

  • Kooperation mit und Unterstützung durch externe, spezialisierte Fachpersonen (partizipative Methoden, wissenschaftliche Begleitung, Grafik, Text),

  • gute Verankerung und Vernetzung im entsprechenden Praxisfeld der Prävention oder Gesundheitsförderung zwecks Sicherstellung des Feldzugangs.

Stolpersteine

  • Der Einbezug von Adressat*innen von Prävention und Gesundheitsförderung braucht Zeit und Durchhaltevermögen. Es lohnt sich, genügend Zeitpuffer für mögliche Verzögerungen vorzusehen und sich gegenseitig zu motivieren, gerade wenn auf den ersten Blick unüberwindbare Barrieren bestehen.

  • Partizipative Prozesse unterscheiden sich von der Verwaltungslogik in Ämtern. Die neue Art der Prozesssteuerung erfordert eine Offenheit und eine Kompetenzerweiterung der Leitungspersonen und Amtsmitarbeitenden.

Fazit für die Praxis

  • Maßnahmen zur Förderung psychischer Gesundheit im Jugendalter können mit Partizipativer Qualitätsentwicklung und Partizipativer Forschung in einem Amt für Gesundheit zielgruppengerecht konzipiert und weiterentwickelt werden.

  • Praktiker*innen eines Gesundheitsamts können diese anspruchsvollen partizipativen Prozesse initiieren, steuern und nachhaltig in einem Amt verankern.

  • Förderlich sind genügend finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, der Einbezug externer Fachspezialist*innen und eine gute Verankerung und Vernetzung im entsprechenden Praxisfeld.

  • Hinderlich sind zu eng gesetzte Zeit- und Ablaufpläne und ein Festhalten an gängigen, althergebrachten Steuerungs- und Prozesslogiken von Ämtern.