Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist weltweit eine der bedeutendsten Komplikationen und häufigste Ursache für die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung bei Patienten mit einem Diabetes mellitus. Seine Ätiologie ist multifaktoriell und komplex. Die Pathophysiologie der diabetischen Fußläsion mit Polyneuropathie und Angiopathie sowie Wundheilungsstörungen aufgrund des Diabetes stehen hier im Vordergrund.

Durch geeignete Behandlungsstrategien sowie interdisziplinäre und sektorenübergreifende Strukturen ist es möglich, die im europäischen Vergleich deutlich erhöhten Amputationsraten zu senken.

Bis zu 25 % aller Diabetespatienten leiden während ihres Lebens an einem diabetischen Fußulkus, und mehr als 50 % der 300.000 Patienten, die in Deutschland an einem diabetischen Fußsyndrom erkranken, müssen mit einer Amputation innerhalb von 4 Jahren nach der Diagnosestellung rechnen [1, 2]. So wird die Mehrzahl der nichttraumatisch bedingten Amputationen in Deutschland bei Patienten mit einem Diabetes mellitus durchgeführt, und die Inzidenz von diabetesbedingten Amputationen liegt in Deutschland (nicht zuletzt durch Fehlanreize im DRG-System [DRG: „diagnosis related groups“]) höher als im europäischen Vergleich [2].

Das Vorliegen einer diabetischen sensomotorischen Neuropathie, das Patientenalter und ein bereits vorausgegangenes Ulkus sind Hauptrisikofaktoren des DFS. Weitere wesentliche Parameter sind eine gleichzeitig vorliegende periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und Strukturdeformitäten (z. B. Krallenzehen). Ebenfalls risikoerhöhend wirken Diabetesdauer, männliches Geschlecht und das Vorliegen weiterer diabetischer Spätkomplikationen (z. B. Retinopathie oder Nephropathie).

In fast allen Querschnittsuntersuchungen ging der chronischen Fußläsion ein (häufig Bagatell‑)Trauma voraus. Die diabetische Neuropathie in Kombination mit erhöhten plantaren Fußdrücken stellt eine der Hauptursachen bei der Entwicklung des diabetischen Fußes dar. Laut epidemiologische Daten ist sie in gut 50 % der Fälle allein für ein diabetisches Fußsyndrom verantwortlich. Nur in bis zu 15 % liegt ausschließlich eine PAVK vor, in 35 % der Fälle ist eine Kombination von Neuro- und Angiopathie als auslösendes Moment der diabetischen Plantarulzeration nachweisbar. Damit erhöhte sich in den vergangenen Jahren insbesondere der Anteil der angiopathisch-neuropathischen Mischform; unabhängig davon ist die multifaktorielle Genese des diabetischen Fußsyndroms unbestritten.

Frühzeitig abgestimmte interdisziplinäre Diagnostik und Therapie helfen, Amputationen zu vermeiden

Hinsichtlich der strukturierten Therapie des diabetischen Fußsyndroms sind v. a, die Begleitkomplikationen der Atherosklerose und des fortgeschrittenen Infektgeschehens zentral. Diese beiden Aspekte sind häufig die direkt zur Amputation hinführenden Begleitumstände.

Die frühzeitig abgestimmte Diagnostik und Therapieplanung zwischen Angiologen/Radiologen, Gefäßchirurgen/Orthopäden und Diabetologen/Internisten sind daher essenziell, um eine erfolgreiche Abheilung zu gewährleisten und (unnötige) Amputationen zu vermeiden. Die Diagnostik- und Therapiekaskade beginnt bereits auf der Ebene des betreuenden Hausarztes, der verantwortet, dass eine unzureichend heilende Wunde beim Menschen mit Diabetes zeitgerecht in einer dafür ausgewiesenen spezialisierten Einrichtung (z. B. zertifizierte Ambulanz der DDG [Deutsche Diabetes Gesellschaft]: Infobox 1) vorgestellt wird. Auch müssen stationäre Einrichtungen, die sich im Schwerpunkt mit diesen Patienten beschäftigen, die oben angeführten Professionen vor Ort vorhalten, um durch effektive Strukturen – wie über 15 Jahre im Zertifizierungsverfahren der DDG demonstriert – die Behandlungsqualität bei niedrigen Amputationsraten sicherzustellen [4]. Gerade das Recht – ja sogar die Verpflichtung – zur Zweitmeinung vor geplanter Majoramputation ist dabei ein wesentliches Moment, um vermeidbare Amputationen zu erfassen und zu reduzieren. Der aktuelle G‑BA-Beschluss (G-BA: Gemeinsamer Bundesausschuss) ist dabei ein erster – aber auch nur erster – Schritt in die richtige Richtung [4].

Unter Berücksichtigung dieser genannten Voraussetzungen widmet sich dieses Themenheft neben der konservativen Wundtherapie insbesondere den Begleitkomplikationen der Gefäßbeteiligung und des Infektes. Damit soll in keiner Weise der hohe Stellenwert der diabetischen Polyneuropathie in der Pathogenese des DFS geschmälert werden; dazu soll aber auf die vorausgegangenen Beiträge in dieser Zeitschrift hingewiesen werden [5,6,7,8,9,10,11,12,13].

Abgerundet wird der Schwerpunkt durch die Sekundärprävention des DFS – da ein Mensch mit Diabetes und stattgehabtem DFS immer als Risikopatient einzustufen ist.

Neben der optimierten Diagnostik und Therapie, bei der wir aktuell hinsichtlich der Gefäßrekonstruktion immer noch große Lücken sehen, und gerade weil der unzureichend beherrschte Infekt auch zukünftig eine hohe Relevanz für das Therapieergebnis (welches primär keine [Major-]Amputation sein sollte) haben wird, sind die Primärprävention und die Vermeidung des Erstulkus eine der großen weiteren Herausforderungen.

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Prof. Dr. med. Ralf Lobmann

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