Zusammenfassung
Bis zu 80 % aller Patienten auf der Intensivstation entwickeln eine gastrointestinale Funktionsstörung, wobei die gastrointestinale Motilitätsstörung die häufigste Dysfunktion darstellt. Intensivpatienten mit einer gastrointestinalen Dysfunktion oder einem gastrointestinalen Versagen weisen eine deutlich erhöhte Morbidität und Mortalität auf. Eine korrekte differenzierte Diagnose und frühzeitige Therapie der Motilitätsstörung ist prognostisch relevant. Therapeutische Ziele sind eine Normalisierung des Kalium- und Magnesiumspiegels im Serum, eine restriktive Flüssigkeitstherapie zur Vermeidung eines Darmwandödems, eine Verbesserung der gastrointestinalen Mikrozirkulation, individuelle Sedoanalgesiekonzepte und eine frühzeitige enterale Ernährung. Abhängig von der gastrointestinalen Motilitätsstörung stehen zahlreiche spezifische zielgerichtete medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung.
Abstract
Up to 80% of all critically ill patients develop gastrointestinal dysfunction, predominantly gastrointestinal motility disorder. In critically ill patients, gastrointestinal dysfunction or gastrointestinal failure is associated with increased morbidity and mortality. Correct diagnosis and early start of treatment are essential and can influence the outcome. Therapeutic options are normal potassium and magnesium levels, restrictive fluid balance, improved gastrointestinal microcirculation, individual sedoanalgetic concepts and early enteral nutrition. In addition, numerous target-oriented medical therapeutic options are available.
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Interessenkonflikt
C. Madl und U. Madl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Redaktion
G. Gerken, Essen
M. Müller-Schilling, Regensburg
R. M. Schmid, München
H.-J. Schulz, Berlin
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CME-Fragebogen
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Die innere Oberfläche des Gastrointestinaltrakts beträgt zirka:
2–3 m2
30–40 m2
100 m2
200–300 m2
1500 m2
Bei einer 79-jährigen Patientin mit Pneumonie und respiratorischer Insuffizienz wird 24 h nach respiratorischer und hämodynamischer Stabilisierung mit einer kontinuierlichen enteralen Ernährung begonnen. Am 2. Tag beträgt das gastrale Residualvolumen 800 ml. Welche Maßnahme setzen Sie ein?
Therapie mit Tegaserod
Therapie mit Metoclopramid und Erythromycin
Beginn mit einer parenteralen Ernährung
Therapie mit Neostigmin
Keine Therapieänderung notwendig
Welche medikamentöse Therapie hat keinen negativen Einfluss auf die gastrointestinale Motilität?
Dexmedetomidin
Fentanyl
Propofol
Paracetamol
Metamizol
Eine 81-jährige Patientin mit Pneumonie und respiratorischer Insuffizienz entwickelt eine kolonische Pseudoobstruktion. Welche Methode leiten Sie primär ein?
Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr
Umstellung der Katecholamintherapie auf Adrenalin
Therapie mit Dexmedetomidin
Therapie mit Neostigmin
Therapie mit Erythromycin
Welche Reihenfolge verschiedener Aktivitäten beschreibt das als MMC bezeichnete enterale Motilitätsmuster?
Hyperkontraktile Phase des Magens → Dilatation des Magens bei Kontraktionen des Dünndarms → Kontraktion des Kolons
Ruhephase → sporadische Kontraktionen → periodische maximale Kontraktionen
Periodische Kontraktionen → maximale Kontraktion → Ruhephase
Dilatation des Magens → Hyperkontraktile Phase des Magens → Kontraktion des Dünndarms
Propulsive Kontraktionen → Ruhephase → maximale Kontraktion
Welche Substanz wird zur Steigerung der Kontraktion der glatten Muskelzellen der Darmwand sezerniert?
Serotonin
Sekretin
Somatostatin
ACTH
NO
Welche Aussage zur pathophysiologischen Genese von Motilitätsstörungen des oberen GI-Trakts stimmt nicht?
Die Abnahme des Ghrelinspiegels führt zu einer Magenentleerungsstörung.
Die Erhöhung des Cholezystokininspiegels führt zu einer Magenentleerungsverzögerung.
Die Steigerung des Sympathikustonus beschleunigt die Magenentleerung.
Die postoperative Reduktion des Motilinspiegels verzögert die Magenentleerung.
Magenentleerungsstörungen sind in 80 % mit gleichzeitig auftretenden Dünndarmmotilitätsstörungen assoziiert.
Welche Aussage zu unspezifischen Allgemeinmaßnahmen zur Verbesserung der gastrointestinalen Motilität ist richtig?
Eine hoch dosierte Volumentherapie im Rahmen einer Sepsis schützt den Darm vor einer Motilitätsstörung.
Kalium- und Magnesiumspiegel sollten etwas oberhalb des Normbereichs gehalten werden.
Eine Katecholamintherapie fördert über eine verbesserte Darmwandperfusion die Darmmotilität.
Eine enterale Ernährung sollte bei Anzeichen eines Refluxes beendet werden.
Die Applikation kurz wirksamer Sedoanalgetika mit täglichem Pausieren trägt zur Prophylaxe intestinaler Motilitätsstörungen bei.
Welche Aussage zur medikamentösen Therapie einer Darmmotilitätsstörung trifft zu?
Die Gabe von MCP wirkt anhaltend prokinetisch und sollte als Standardtherapie bei Intensivpatienten über die gesamte Beatmungszeit gegeben werden.
Das Antibiotikum Erythromycin führt zu einer Motilitätssteigerung des Magen-Darm-Trakts bei Intensivpatienten.
Laxanzien können zu Flüssigkeitsverlusten und Elektrolytentgleisungen führen und sind daher keine Standardtherapie bei Intensivpatienten.
Bei der opioidinduzierten Obstipation ist subkutanes Methylnaltrexon die Therapie der Wahl und zeigte in vielen Studien eine überlegene Potenz.
Cholinesterasehemmer sind aufgrund ihrer schmalen therapeutischen Breite nicht mehr zur Therapie intestinaler Motilitätsstörungen zugelassen.
Eine beatmeter Patient mit einer schweren Pneumonie wird auf Ihrer Intensivstation behandelt. Am 5. Tag diagnostizieren sie ein Ogilvie-Syndrom. Welche Therapie ist indiziert?
Sie verordnen Laxanzien.
Sie verordnen Neostigmin.
Sie rufen den Viszeralchirurgen zur Indikationsstellung einer Laparoskopie.
Sie versuchen, den Blutdruck mittels Katecholaminen anzuheben.
Sie erhöhen die MCP-Dosis auf 3‑mal täglich.
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Madl, C., Madl, U. Darmmotilitätsstörungen beim Intensivpatienten. Gastroenterologe 14, 43–53 (2019). https://doi.org/10.1007/s11377-019-0319-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11377-019-0319-4
Schlüsselwörter
- Intensivmedizin
- Oberer Gastrointestinaltrakt
- Unterer Gastrointestinaltrakt
- Gastrointestinale Passage
- Funktionale gastrointestinale Erkrankungen