Unter „Dentalphobie“ versteht man die krankhaft übersteigerte Angst vor einer zahnärztlichen Behandlung. In Deutschland leiden darunter nach Schätzungen bis zu 3,7%. Allerdings gibt nach Dr. Hannelore Held, Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt/Main, jeder dritte bis vierte Deutsche an, sich vor dem Zahnarztbesuch zu fürchten. Gerade die Extraktion von Zähnen kann bekanntermaßen sehr unangenehm sein, weshalb sich nicht wenige Patienten in dieser Situation für eine Vollnarkose entscheiden.

Indikation sorgfältig abwägen

Die Indikation hierfür gilt es jedoch sorgfältig abzuwägen. Wie Held betonte, ist eine Allgemeinanästhesie gerade bei älteren Patienten mit Vorerkrankungen nicht ohne Risiko. Die Rechtsmedizinerin stellte Fälle älterer bzw. betagter Patienten vor, die kurz nach dem zahnärztlichen Eingriff verstorben und anschließend im Institut für Rechtsmedizin der Uni Frankfurt/Main obduziert worden waren:

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Fast 4% der Deutschen leiden an einer sogenannten „Dentalphobie“.

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Fall 1: 93 Jahre, weiblich, dement, pflegebedürftig. Gleich 15 „nicht erhaltungswürdige Zähne“ auf einmal wurden dieser Patientin unter Vollnarkose extrahiert. Eine Stunde nach Rückkehr ins Pflegeheim war die Frau tot, verstorben an den Folgen einer „relativen Koronarinsuffizienz infolge Herzhypertrophie und schwerer KHK in Kombination mit mäßiggradiger Blutaspiration“. Zu Lebzeiten waren Bluthochdruck, eine Niereninsuffizienz und eine PAVK bekannt gewesen. Die Frau hatte ASS 100 mg als Vormedikation erhalten.

Fall 2: 82 Jahre, männlich, dement, pflegebedürftig. Nach Extraktion von 14 Zähnen, wobei sich die Narkoseform nicht mehr eruieren ließ, entwickelte der Patient eine anhaltende Nachblutung. Die anschließende Überwachung im Pflegeheim war dadurch erschwert, dass der Patient sich weigerte, den Mund zu öffnen. Er verstarb noch am selben Tag. Todesursache: „akutes Herzversagen bei Herz- und Lungenvorerkrankung in Kombination mit mäßiggradigem Blutverlust“. An Vorerkrankungen bestanden eine KHK, ein Lungenemphysem, Diabetes mellitus, Epilepsie sowie Dysphagie.

Fall 3: 68 Jahre, weiblich, dement. Diese Patientin verstarb nach Extraktion von elf Zähnen in Vollnarkose. Vorerkrankungen: chronische Rechtsherzinsuffizienz, KHK, Mitralklappeninsuffizienz, COPD. Als Todesursache wurde ein akutes Herzversagen in Kombination mit mäßiggradiger Blutaspiration angegeben.

Fall 4: 63 Jahre, männlich. Vom Zahnarzt wurden in diesem Fall fünf Zähne gezogen (Narkoseform unbekannt). Vor dem Eingriff hatte man die Clopidogrel-Einnahme pausiert und auf Enoxaparin umgestellt. Postoperativ entwickelte der Patient ausgeprägte Nachblutungen und wurde in die Klinik eingewiesen, wo eine massive Gerinnungsstörung mit Faktor-VIII-Mangel festgestellt wurde. Vor der Zahnbehandlung hatte er bereits drei Schlaganfälle erlitten, weiter waren eine KHK und Herzhypertrophie bekannt.

Postoperative Nachblutungen ernst nehmen!

Gerade bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz werde oft die Vollnarkose für zahnärztliche Eingriffe gewählt, um Compliance-Probleme zu vermeiden, so Held. Allerdings müsse man selbstverständlich auch in diesen Fällen und insbesondere vor umfangreichen Zahnbehandlungen „mögliche Risikoerhöhungen durch Vorerkrankungen“ berücksichtigen, die Indikation für den Eingriff kritisch hinterfragen und eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen, mahnte die Rechtsmedizinerin. Postoperative Nachblutungen oder Herz-Kreislauf-Beschwerden seien grundsätzlich als ernstzunehmendes Problem zu betrachten; hier sei die Indikation für eine Klinikeinweisung niedrigschwellig zu stellen.

Die Expertin verwies in diesem Zusammenhang auf die Leitlinie „Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation“ sowie allgemein auf Leitlinienempfehlungen für Zahnärzte für die Behandlung schwer organisch vorerkrankter Patienten.