Waren alte und sehr alte Typ-1-Diabetespatienten vor 20 oder 30 Jahren noch eine Rarität, hat sich die Lebenserwartung dank moderner Therapieprinzipien inzwischen deutlich verbessert. Es ist für Diabetologen und Geriater nicht mehr ungewöhnlich, Menschen zu behandeln, die seit 50, 60 oder mehr Jahren mit ihrem Typ-1-Diabetes leben. „Die verbleibende Lebenserwartung eines 20-jährigen Mannes mit Typ-1-Diabetes beträgt weitere 46 Jahre“, erklärte Privatdozent Daniel Kopf aus Hamburg beim Internistenkongress in Wiesbaden. 20-jährige Frauen mit Typ-1-Diabetes leben im Durchschnitt noch zwei Jahre länger. Normal ist die Lebenserwartung freilich noch lange nicht.

Auch bei älteren Patienten an Typ-1-Diabetes denken!

Bis zum 60. Lebensjahr können noch Neumanifestationen eines Typ-1-Diabetes auftreten. „Die kumulative Inzidenz des Typ-1-Diabetes nimmt bis zu diesem Alter fast kontinuierlich zu“, sagte Kopf. Es gilt daher, Spätmanifestationen des Typ-1-Diabetes ebenso zu erkennen wie Manifestationen in Kindheit und Jugend sowie diese von einem Typ-2-Diabetes zu differenzieren. Denn das hat erhebliche Konsequenzen für die Therapie. „Bestimmen Sie bei Patienten, die nicht die klassischen Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes aufweisen, die Autoantikörper und das C-Peptid“, lautet ein Tipp des Geriaters.

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Patienten mit Typ-1-Diabetes können heute sehr alt werden..

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Fokus auf koronare Herzkrankheit

Die häufigste Ursache für die vergleichsweise verkürzte Lebensdauer bei Typ-1-Diabetikern liegt bei unter 50-jährigen Patienten in diabetischen Ketoazidosen, bei Patienten über 50 Jahre dagegen in der ischämischen Herzerkrankung. Insofern sind die Therapieziele bei alten Typ-1-Diabetikern andere als in jungen Jahren. Der Fokus müsse bei alten Typ-1-Diabetespatienten verstärkt auf die koronare Herzkrankheit und auf makrovaskuläre Komplikationen gelegt werden, sagte Kopf, denn das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen hätten diese Menschen weitgehend hinter sich gelassen.

Zugleich ist eines der wichtigsten Therapieziele die Vermeidung von Hypoglykämien. Bei 75- bis über 80-jährigen Typ-1-Diabetikern verlieren hyperglykämische Entgleisungen und Ketoazidosen gegenüber der deutlich zunehmenden Rate hypoglykämischer Notfälle an Bedeutung, so Daten aus den USA. Risikofaktoren sind Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen, eine ausgeprägte Blutzuckervariabilität, eventuell auch eine Betablocker-Therapie, weil dies die Hypoglykämie-Wahrnehmung verschleiern kann. Kopf wies außerdem darauf hin, dass Hypoglykämien mit der kardialen autonomen Neuropathie assoziiert sind. Die therapeutische Konsequenz ist, dass zumindest passager höhere HbA1c-Ziele in Kauf genommen werden müssen. Damit lasse sich unter Umständen eine verminderte Wahrnehmung von Hypoglykämien wieder korrigieren, so die Erfahrung des Hamburger Geriaters.

Sehr hilfreich beim Management alter Typ-1-Diabetiker ist die kontinuierliche Glukosemessung (CGM). „Oft sind hypoglykämische Phasen bei stark schwankender Stoffwechsellage so kurz, dass man diese auch durch sehr engmaschige Blutzuckerkontrollen nicht erfassen kann.“ Hohe Blutzuckerwerte am Morgen seien dann nicht Ausdruck eines Insulinmangels, sondern nächtlicher Hypoglykämien. Mit Hilfe der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) lässt sich der Glukosestoffwechsel so einstellen, dass die Blutzuckervariabilität deutlich vermindert wird und deutlich weniger Hypoglykämien als bei konventionellem Blutzuckermanagement auftreten.

Therapie mit oralen Antidiabetika?

Zur Frage, ob neuere orale Antidiabetika auch für Typ-1-Diabetiker nutzbringend sein könnten, äußerte sich der Geriater zurückhaltend. SGLT2-Inhibitoren, die Insulin-unabhängig den Glukosespiegel senken können, seien mit einem Risiko nicht hyperglykämischer Ketoazidosen behaftet. GLP1-Analoga könnten zwar zu einer Reduktion des Insulinbedarfs beitragen, ohne das Hypoglykämierisiko zu erhöhen. Allerdings ist ein Gewichtsverlust, wie er in Studien mit Liraglutid beobachtet worden ist, im Alter eher nicht wünschenswert. Womöglich wird die bei alten Typ-1-Diabetikern häufige Gastroparese mit GLP1-Analoga eher verschlechtert. Zudem waren erhöhte Herzfrequenzen und leicht erhöhte Blutdrücke beobachtet worden.