Er wollte Flugzeuge konstruieren und wurde zu einem Begründer, Kritiker sowie Aufklärer in den Wissenschaften. Am 4. September 2016 verstarb in Rauschenberg Peter Janich, einer der originellsten und produktivsten Philosophen der deutschen Gegenwartsphilosophie.

Am 4. Januar 1942 in München geboren studierte er ab Wintersemester 1961/62 Physik, Philosophie und Psychologie an den Universitäten Erlangen und Hamburg, an letzterer im Wintersemester 1964/65 bei Carl Friedrich von Weizsäcker. Für den Diplomstudenten mit technischen Ambitionen war die Philosophie ursprünglich nur ein Nebenfach. Es war der 1963 hergestellte Kontakt zu dem erst im Vorjahr nach Erlangen berufenen Paul Lorenzen, der seine Begeisterung für die Philosophie stiftete. Fasziniert vom Stil des namhaften Mathematikers tauchte Janich tiefer in das Studium der Philosophie ein und betrieb es bald vollumfänglich parallel zu seinem eigentlichen Hauptfach Physik. Schon nach kurzer Zeit zählte er zum Schülerkreis und gehörte dem von Lorenzen und Wilhelm Kamlah gemeinsam veranstalteten Oberseminar an, jenem Kreis, der später als intellektueller Nukleus der (zuerst von außen so genannten) „Erlanger Schule“ bekannt werden sollte. Ab Frühjahr 1967 arbeitete er als Hilfskraft für Lorenzen. Da war die Entscheidung zugunsten der Philosophie bereits gefallen.

Die methodisch-konstruktive Wissenschaftstheorie hatte zu diesem Zeitpunkt ihre begründungstheoretische Aufmerksamkeit der Physik zugewandt, der Begründung von erfahrungsermöglichenden Theorien der Längen-, Zeit- und Massenmessung, die zusammen das messtheoretische Apriori der Physik darstellen sollten. Da sich Lorenzen selbst seit einiger Zeit an einer zirkelfreien und lückenlosen Begründung der Geometrie versuchte und eine Protophysik der Masse bereits eine methodisch begründete Chronometrie voraussetzt, kam Janich die verantwortungsvolle Aufgabe zu, die Protophysik der Zeit zu entwickeln. Im Mittelpunkt dieses anspruchsvollen Projektes, mit dem er 1969 in Erlangen zum Dr. phil. promoviert wurde, stand die Entwicklung einer zirkelfreien und operativen Definition für ungestörte Uhren, was im Besonderen den naheliegenden, aber definitorisch zirkulären Rückgriff auf die Trägheitsbewegung oder auf (methodisch ebenfalls noch nicht verfügbare) periodische Bewegungen ausschloss. Mit vergleichsweise wenig Voraussetzungen galt es eine normative Theorie der Zeitmessung zu begründen. In Anbetracht des hoch erfolgreich etablierten Uhrengebrauchs musste es eine Lösung für dieses Problem geben und sie gelang auch. Die Protophysik der Zeit (1969) war Janichs erstes Meisterstück. Das Begründungsproblem der Physik sollte ihn zeitlebens nicht mehr loslassen.

Bevor Janich als Assistent Lorenzens 1971 auf die Stelle eines Wissenschaftlichen Rates an die noch junge Universität Konstanz wechselte, nahm er im akademischen Jahr 1969/70 eine Gastdozentur an der Universität von Austin/Texas wahr. Seine Forschung in dieser Zeit sowie den nachfolgenden 20 Jahren sollte entscheidend durch die Protophysik geprägt bleiben, denn die ursprünglich mit Lorenzen und anderen vorgesehene Arbeitsteilung erwies sich als unzureichend, obgleich Janich noch als Student Lorenzen für das Erfordernis von Eindeutigkeitsbeweisen gewinnen konnte, mit deren Hilfe die prototypenfreie technische Reproduzierbarkeit der geometrischen Grundformen gewährleistet werden sollte. Bereits in der Mitte der 1970er Jahre kam Janich, der inzwischen Professor für Wissenschaftstheorie der exakten Wissenschaften an der Universität Konstanz war, zu der Überzeugung, dass Lorenzen die eigenen Begründungsansprüche nur bedingt erfüllte – ein Dissens zwischen beiden, der nicht nur bis zu Lorenzens Tod 1994 bestehen bleiben sollte, sondern den selbst Janich bis in seine erst posthum erschienene Schrift „Paul Lorenzen – und was nun?“ hinein bewegte. Einig war man sich im Erfordernis einer formentheoretischen Begründung der Geometrie, doch in der operativen Umsetzung schieden sich die Wege.

Im Unterschied zu Lorenzen achtete Janich strikt darauf, dass bei der Angabe poietischer Schrittfolgen stets nur auf Erzeugnisse zurückgegriffen wurde, die zum jeweiligen methodischen Stand auch nachweislich verfügbar waren. Dieser Forderung genügte er bei der Konstruktion von Zeitmessern ebenso wie bei der Herstellung von Längenmessern. Dem methodisch strengen Anspruch einer prototypenfreien Reproduzierbarkeit der geometrischen Grundformen der Ebenheit, der Orthogonalität sowie der Parallelität konnte tatsächlich erst Janich gerecht werden, erstmals 1976 in dem programmatischen und in Teilen bereits beeindruckend detaillierten Aufsatz „Zur Protophysik des Raumes“. Hierbei geht er auf das lebensweltliche Fundament der handwerklich-technischen herstellenden Praxis zurück und expliziert neben methodisch einwandfreien Herstellungsverfahren für die geometrischen Grundformen die hierfür erforderlichen Homogenitätsprinzipien sowie ein Ideationsverfahren, welches den Übergang von der vorgeometrischen Sprache hin zur geometrischen Terminologie semantisch regelt. Um sicherzustellen, dass ungestört vollzogene Aktualisierungen der Herstellungsverfahren in relevanter Hinsicht ununterscheidbare Resultate hervorbringen, führte Janich zudem entsprechende Eindeutigkeitsbeweise, deren Qualität er wiederholt – vor allem in „Die technische Erzwingbarkeit der Euklidizität“ (1992) und methodologisch nochmals in Die Begründung der Geometrie aus der Poiesis (2001) – verbesserte. Dieser durch Hugo Dingler inspirierte, jedoch technisch ungleich differenzierter entworfene Zugang sollte prägend werden für Janichs Wissenschaftstheorie der Physik, die 1989 mit der Veröffentlichung von Euklids Erbe und der Frage nach der Dreidimensionalität unseres Erfahrungsraumes einen weiteren Höhepunkt erfuhr.

Das Konstanzer Jahrzehnt war wesentlich geprägt durch die Diversifizierung des bereits in Erlangen verfochtenen normativen Verständnisses von Wissenschaftstheorie, wie es sich unter anderem in der zusammen mit Friedrich Kambartel und Jürgen Mittelstraß 1974 veröffentlichten Studie Wissenschaftstheorie als Wissenschaftskritik manifestiert, sowie in der Weiterentwicklung des protophysikalischen Programms, das neben der bereits erwähnten Geometriebegründung zudem eine Überarbeitung sowie Erweiterung der Protophysik der Zeit vorsah. Inspiriert durch die Diskussionen und publizistischen Beiträge der 1970er Jahre nahm Janich eine grundständige Überarbeitung seiner Promotionsschrift vor, die neben einer umfangreichen problemgeschichtlichen Einbettung in den wissenschaftstheoretischen Kontext der Zeit unter anderem eine aktualisierte Auseinandersetzung mit Lorenzens Arbeiten vorsah. Dieses deutlich erweiterte Werk erschien schließlich 1980 unter dem Titel Die Protophysik der Zeit. Konstruktive Begründung und Geschichte der Zeitmessung.

Noch gut zehn weitere Jahre sollte Janich vor allem als Wissenschaftstheoretiker, im Besonderen als Protophysiker in Erscheinung treten. Anspruch und Umfang des begründungstheoretischen Ansatzes machten es geradezu erforderlich, gut zwei Jahrzehnte des intellektuellen Schaffens – von der Promotion bis zu Euklids Erbe – in den Dienst dieser anspruchsvollen Aufgabe zu stellen. Der systematische Erfolg gab ihm Recht, wenngleich die akademische Anerkennung zuweilen etwas sparsam ausfiel oder aufgrund kursierender Missverständnisse ganz ausblieb. Seine Lösungsangebote erfolgten weder dogmatisch noch zirkulär noch führten sie in einen infiniten Regress und sie zählen bis heute zu den besonders überzeugenden Antworten auf das herausfordernde Begründungsproblem in der Physik. Vor allem den Euklid vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben, das theoretische Gebäude der Geometrie auf das poietische Fundament ihrer handwerklich-technischen Praxen, zählt zu den bleibenden intellektuellen Errungenschaften Janichs in der Wissenschaftstheorie der Mathematik und Physik. Doch das Philosophieverständnis des 1980 nach Marburg auf den Lehrstuhl für Systematische Philosophie mit dem Schwerpunkt Theoretische Philosophie Berufenen befand sich bereits in einer ehrgeizigen Entwicklung.

Auch an der Philipps-Universität wurde das Schrifttum der methodisch-konstruktiven Tradition eingehend studiert, wobei vor allem die Desiderate immer deutlicher zum Vorschein kamen. In den gemeinsamen Diskussionen mit Doktoranden sowie fortgeschrittenen Studierenden kam Janich zu der Einsicht, dass die Fokussierung auf Logik und Wissenschaftstheorie eine unzulässige Verkürzung der Philosophie darstellt, weil bereits die allgemeine Wissenschaftstheorie einer erkenntnistheoretischen Einbettung bedarf, um ihrerseits mit dem Anspruch einer methodischen Fundierung auftreten zu können. Unterstrichen wurde die Kritik am Erlanger Philosophieverständnis durch die Beschränkung in den speziellen Wissenschaftstheorien. Um auch Einzelwissenschaften wie die Chemie, die Biologie, die Psychologie sowie die Kulturwissenschaften methodisch begründen zu können, bedurfte es einer Abkehr vom ehemals zu eng gefassten Begriff einer Protodisziplin. Philosophie wurde nicht länger bloß als Wissenschaftskritik verstanden, sondern erfuhr eine geradezu klassische Erweiterung mit modernen Mitteln. Wissenschaft als rationale Kulturleistung wurde nunmehr in den ungleich größeren Kontext von Kultur- und Technikgeschichte, von Anthropologie und Handlungstheorie, Technikphilosophie und Ethik gestellt. Philosophie wurde zur methodischen Kulturkritik. Die kulturalistische Wende im Denken Janichs war vollzogen, jene in der institutionalisierten Philosophie sollte folgen.

Die damit angestoßene fundamentale Entwicklung in seinem philosophischen Selbstverständnis traf auf überaus günstige Rahmenbedingungen. Anfang der 1990er Jahre gab es in den Türmen der „PhilFak“ im Lahntal ein Platzproblem und der Lehrstuhl I erklärte sich bereit, andere Räumlichkeiten zu beziehen. In der Abgeschiedenheit des Blitzweg 16, einer idyllischen Liegenschaft abseits des alltäglichen akademischen Trubels, fand in den nachfolgenden Jahren um Peter Janich eine philosophische Gemeinschaft zusammen, die eine große einzelwissenschaftliche Vielfalt repräsentierte und philosophisch doch ganz nah beieinander war. Zusammen mit jungen Wissenschaftlern aus der Physik, der Chemie, der Biologie, der Psychologie, der Mathematik sowie einzelnen Kulturwissenschaften, die allesamt den Kontakt zu ihm aufgrund seiner inspirierenden Lehrveranstaltungen suchten, entwickelte Janich den methodischen Kulturalismus, der nicht nur als kritische Weiterentwicklung der methodisch-konstruktiven Tradition verstanden werden sollte, sondern vor allem als philosophische Antwort auf drängende zeitgenössische Herausforderungen, wie etwa die Neigung zur unkritischen Wissenschaftsgläubigkeit oder die naturalistischen Selbstverständnisse in der populären Darstellung der modernsten wissenschaftlichen Errungenschaften.

Über ein gutes Jahrzehnt hinweg bildete das am Mittwochnachmittag durchgeführte Oberseminar die gemeinsame akademische Plattform, auf der sich jeder Beitrag aus der philosophischen Gemeinschaft zu bewähren hatte. Mit den Arbeiten des „Chefs“ wurde dabei genauso hart ins Gericht gegangen, wie mit allen anderen auch. Es wurde eine unbedingte Haltung gepflegt. Die hier über die Jahre hinweg kultivierte Diskussionspraxis dürfte sich nah am Diskursideal bewegt haben. Zum beeindruckenden publizistischen Ausdruck dieser philosophischen Bewegung sollten zwei Suhrkamp-Bände werden, deren Beiträge ausnahmslos während dieser Zeit entstanden und welche die gemeinsame Diskussion durchlaufen hatten. 1996 erschien Methodischer Kulturalismus. Zwischen Naturalismus und Postmoderne und 1998 schließlich Die Kulturalistische Wende. Zur Orientierung des philosophischen Selbstverständnisses, beide von Janich und seinem damaligen Assistenten Dirk Hartmann zusammen herausgegeben. Die Bände vereinen Programm und Programmatik der gemeinsam verfochtenen kulturalistischen Philosophie, deren detaillierte Umsetzung durch eine Vielzahl von Einzeluntersuchungen angegangen wurde. Vor allem die unter Janichs Betreuung angefertigten Promotionen und Habilitationen sowie einzelne Magisterarbeiten lieferten für verschiedene Einzelwissenschaften bzw. für philosophische Teildisziplinen eine kulturalistische Fundierung. Der Fokus lag allerdings auch hier auf den Naturwissenschaften.

Die Produktivität der Schüler wurde übertroffen durch die Schaffenskraft des Lehrers. Für Janich sollten die gemeinsamen Jahre im Blitzweg zu den produktivsten und wahrscheinlich zu den kreativsten seiner gesamten Laufbahn werden. In den 1990er und frühen 2000er Jahren entwickelte er nicht nur vollumfänglich sein gereiftes Verständnis von Philosophie, sondern er entfaltete mit einer geradezu atemberaubenden literarischen Betriebsamkeit seine Erkenntnis- und Wahrheitstheorie, die vor allem als Theorie der Lebenswelt zu einem Herzstück seines philosophischen Systems werden sollte, seine Sprachphilosophie, die sich mit einer Vielzahl pragmatischer Neuerungen gekonnt von der Logischen Propädeutik zu unterscheiden wusste, sowie seine Handlungstheorie, die bis in die letzten Schriften hinein in ihrem Charakter als grundlegendes philosophisches Werkzeug verfeinert wurde. Innerhalb von weniger als zehn Jahren erschienen die hierfür besonders wichtigen Arbeiten Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung (1996), „Kulturalistische Erkenntnistheorie statt Informationismus“ (1996), „Die Struktur technischer Innovationen“ (1998), Was ist Erkenntnis? (2000), Logisch-pragmatische Propädeutik. Ein Grundkurs im philosophischen Reflektieren (2001) und „Apriorisches Wissen“ (2005).

Erstmals plädierte Janich in der Programmschrift „Methodischer Kulturalismus“ (1996) zusammen mit Hartmann für eine Wiederaufnahme traditioneller erkenntnistheoretischer Bemühungen. Schließlich sollte die Befassung mit vor- und außerwissenschaftlichen Erkenntnissen im Rahmen einer Theorie der Lebenswelt zu einem bestimmenden Merkmal der damals neuen Position werden. Es war vor allem Janich, der in den oben genannten Schriften eine kulturalistische Erkenntnistheorie entwickelte, die im Kerne eine Handlungstheorie der Lebenswelt ist. Im Mittelpunkt seines Ansatzes stand die Rekonstruktion der zentralen und bereits lebensweltlich verfügbaren Ausdrücke „Erkenntnis“, „Wissen“ und „Wahrheit“ sowie die Beantwortung der Frage, wie zwischen Personen diskursiv eine Konsensbildung über Geltungsansprüche zustande kommt. Die Wissenschaftstheorie ist aufgrund der Beschränkung ihres Gegenstandsbereichs auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Übernahme dieser Aufgabe nicht befähigt und empirische Untersuchungen der Einzelwissenschaften kommen zur Klärung geltungstheoretischer Anliegen sowieso nicht in Frage. Da die Praxen des Erkennens, des Fürwahrhaltens, des Begründens und begründeten Wissens lebensweltlich immer schon verfügbar sein müssen, um im Besonderen wissenschaftliche Erkenntnis zu ermöglichen, bedarf es zur Klärung der damit verbundenen philosophischen Fragen einer neuen Theorie des lebensweltlichen Erkennens und Wissens – einer Erkenntnistheorie. In Einsichten wie diesen manifestierte sich nicht nur die Anerkennung der Lebenswelt als dem Sinnesfundament der Wissenschaften, sondern auch die umfassende Verpflichtung auf die Unterscheidung zwischen Geltung und Genese. Gemäß dieser fundamentalen Sinnbedingung ist die Frage nach der Begründung und Rechtfertigung von Erkenntnissen strikt zu trennen von der Frage nach der Entstehung und Entwicklung von Erkenntnissen, weil Erklärungen darüber, wie Meinungen zustande kommen, nicht begründen können, warum diese Meinungen gegebenenfalls wahr sind.

Für Janich war es vor allem die Auseinandersetzung mit dem sogenannten Informationismus (als einer Spielweise des Naturalismus), die ein Hauptmotiv für die Entwicklung seines Ansatzes abgab. Der Naturalismus mit seiner Kernthese, dass jedes Phänomen – zumindest prinzipiell – vollständig mit rein naturwissenschaftlichen Mitteln beschrieben und erklärt werden kann, markiert hierbei eines der beiden Extreme, zwischen denen sich der Kulturalismus zu positionieren hat. Entsprechend war es nur konsequent, dass sich Janich von naturalistischen Ansätzen ebenso kritisch abzugrenzen wusste wie gegenüber kulturrelativistischen Positionen, die als epistemische Relativismen das andere Extrem markieren mit der These, dass jeder lokal gerechtfertigte Beurteilungsstandard zur Auszeichnung von Wahrheit genauso zulässig ist wie jeder andere. Die Abgrenzung zu diesen polarkonträren Positionen gelang Janich überzeugend, nicht zuletzt mit der ab 1998 in „Die Struktur technischer Innovationen“ verfochtenen antirelativistischen Argumentationsstrategie, dass wir in der Technikgeschichte eine beeindruckende Vielfalt von Beispielen für gelingende transkulturelle Geltung antreffen, die auch für die philosophische Begründungsführung zu einem Paradigma an Zweckrationalität werden sollte. Technikentwicklung als Modell für Kulturentwicklung. Neben dieser Ortsbestimmung erfolgte in der Detailausrichtung eine Rekonstruktion des lebensweltlichen Erkennen- und Wissen-Könnens. Unter der handlungstheoretischen und sprachphilosophischen Explikation des Handlungsvermögens von Personen (im Besonderen deren Zwecksetzungsautonomie und Mittelwahlrationalität) sowie der Sprache als dem kommunikativen Organisationsmittel für erfolgreiche gemeinschaftliche Lebensbewältigung wurde von Janich rekonstruiert, wie Erkenntnisse von Irrtümern nach wahr und falsch unterschieden werden können, in welchem Verhältnis Erkennen, Wissen und Erfahrung zueinander stehen, wie weit Erkennen Handlungs- oder Widerfahrnischarakter besitzt, welche Rolle die Sprache für Erkenntnisse spielt und vieles mehr. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr hierbei von Anfang an die Entwicklung einer aussagekräftigen Wahrheitstheorie, die Wahrheit nicht als entrücktes Gut philosophischer Reflexionen oder als Isomorphie zwischen der logischen Struktur von Sätzen und der ontischen Struktur von Weltausschnitten kennzeichnet, sondern als unverzichtbares Beurteilungsprädikat für gelingende Kooperation und Kommunikation, dessen operationale Semantik folglich in der Praxis, beim Handeln anzusetzen hat.

Da das lebensweltliche Fundament selbst nicht wiederum in eine Superlebenswelt eingebettet ist, von der ausgehend die Möglichkeit lebensweltlichen Erkennens und Wissens rekonstruktiv zu erklären wäre, ist die Lebenswelt philosophisch schlicht als gegeben hinzunehmen. Gut zehn Jahre lang vertrat Janich diese Auffassung, doch um 2005 wurde durch ihn die Möglichkeit apriorischen Wissens in der Lebenswelt explizit angefragt. Diese fundamentale Erweiterung des erkenntnistheoretischen Interesses geschah nicht unvermittelt, denn die Bearbeitung des erkenntnistheoretischen Aufgabenkatalogs führte ihn immer wieder an die Möglichkeit lebensweltlicher Wissensbestände mit einer apriorischen Geltung heran. Schließlich konnte in der handlungstheoretischen und sprachphilosophischen Analyse grundlegender Unterscheidungs- und Beurteilungskompetenzen danach gefragt werden, was für ein Wissen wir relativ zum Gelingen und zum Erfolg, aber eben auch relativ zu den widerfahrenden Grenzen unserer Handlungsvollzüge legitim begründen können. Neben den empirischen Wissensbeständen, die wir als Erfahrungen durch die Aktualisierung bestimmter Handlungsschemata erwerben, weil sie als Mittel nur mit Regelmäßigkeit und unter bestimmten Umständen zur Realisierung des Zwecks führen, wurde ein Wissen über unser eigenes Handeln erwogen, das in seiner Geltung nicht von situativen Umständen abhängt. In der lebensweltlichen Selbstbetrachtung ist die Verfügbarkeit eines solchen Wissens unstrittig, denn manche Zusammenhänge erscheinen uns von geradezu unerschütterlicher Sicherheit, sodass wir im alltäglichen Lebensvollzug schlicht und ergreifend davon ausgehen, dass es gar nicht anders sein könnte. Das lebensweltliche Phänomen unerschütterlicher Wahrheiten wurde entsprechend zum nächsten (und leider auch letzten) Gegenstand seiner Erkenntnistheorie, deren entsprechende systematische Erweiterung in der Begründung einer Theorie des Apriori auf der Grundlage einer Handlungstheorie der Lebenswelt bestand. Damit war Janich ganz nah an das Erfordernis einer Transzendentalphilosophie herangerückt, ohne aber den entscheidenden Schritt zu Kant hin zu wagen.

Die damit gleichermaßen angesprochenen ideengeschichtlichen Bezüge zu Husserls Phänomenologie erfuhren indes ihre umfassende Aufarbeitung. Bereits seit den späten 1980er Jahren wurde das Verhältnis zu anderen Ansätzen, die in systematisch zentraler Hinsicht affine Charakterzüge aufwiesen oder argumentatives Potenzial zur kritischen Adaption bargen, genauer untersucht. Vor allem Arbeiten des Konstruktiven Realismus, der Neuen Phänomenologie, des Radikalen Konstruktivismus oder auch der Evolutionären Erkenntnistheorie erfuhren eine eingehende Berücksichtigung. Eine besondere Erwähnung verdient hierbei die im November 1997 von Janich in Marburg veranstaltete Tagung „Wahrnehmung, Erfahrung, Begriffsbildung. Zum Verhältnis von Methodischem Kulturalismus und Phänomenologie“, auf der man nicht nur mit der klassischen sowie neuen Phänomenologie, sondern auch mit Spielweisen des soziokulturellen Konstruktivismus in den Dialog trat. Von den Erträgen – in diesem Fall nachzulesen in dem von ihm herausgegebenen Band Wechselwirkungen. Zum Verhältnis von Kulturalismus, Phänomenologie und Methode (1999) – zehrte Janich selbst am meisten, denn die gewonnenen Einsichten ließ er wiederum kritisch in sein eigenes Werk einfließen.

Für manch anderen wäre bereits eine solch eigenständige Begründung philosophischer Kerndisziplinen eine nicht zu bewältigende Lebensaufgabe gewesen, doch Janich gelang in dieser Phase seines Lebens weitaus mehr, obwohl bei ihm 1999 eine schwere Erkrankung diagnostiziert wurde, die sich als unheilbar erwies. Er besaß einen unbändigen philosophischen Tatendrang. So wurde die Entfaltung der Kernphilosophie flankiert durch eine Vielzahl weiterer wissenschaftstheoretischer Untersuchungen, erwähnt seien exemplarisch Kleine Philosophie der Naturwissenschaften (1997), die mit Michael Weingarten zusammen verfasste Wissenschaftstheorie der Biologie. Methodische Wissenschaftstheorie und die Begründung der Wissenschaften (1999) sowie die Anthologien Konstruktivismus und Naturerkenntnis. Auf dem Weg zum Kulturalismus (1996), Das Maß der Dinge. Protophysik von Raum, Zeit und Materie (1997) und Kultur und Methode. Philosophie in einer wissenschaftlich geprägten Welt (2006).

Die zu dieser Zeit zudem erfolgten interdisziplinären Kooperationen suchen ihresgleichen. Von herausragender Bedeutsamkeit war die in den 1990er Jahren veranstalte Reihe der Erlenmeyer-Kolloquien, mit welcher der Philosophie der Chemie die ihr gebührende Aufmerksamkeit verschafft wurde, aber auch die Zusammenarbeit mit Informatikern und Vertretern der Biowissenschaften zählen zu den wissenschaftstheoretischen Höhepunkten. Zu den von Janich im Kontext dieser Aktivitäten (mit)herausgegeben Schriften zählen im Besonderen Philosophische Perspektiven der Chemie. 1. Erlenmeyer-Kolloquium zur Philosophie der Chemie (1994), Die Sprache der Chemie. 2. Erlenmeyer-Kolloquium zur Philosophie der Chemie (1996), Natürlich, technisch, chemisch. Verhältnisse zur Natur am Beispiel der Chemie (1996), The Autonomy of Chemistry. 3. Erlenmeyer-Kolloquium für Philosophie der Chemie (1998), Chemische Grenzwerte. Eine Standortbestimmung von Chemikern, Juristen, Soziologen und Philosophen (1998) und Biodiversität. Wissenschaftliche Grundlagen und gesellschaftliche Relevanz (2002).

2002 feierte Peter Janich seinen 60. Geburtstag. Weggefährten, Kollegen und Schüler ehrten ihn mit einem Kolloquium, in dem auf sein umfangreiches Werk zurückgeblickt und Bezüge für die Gegenwart wie die Zukunft hergestellt wurden. Die Vielfalt der Vortragsthemen sowie die Variation ihrer philosophischen Perspektivenbildung ließen keinen Zweifel daran, dass Janichs Philosophie vielfältige Anschlussmöglichkeiten birgt und darüber hinaus für viele andere eigenständige Denker zu einem systematischen Prüfstein der eigenen Argumente geworden war. Kultur. Handlung. Wissenschaft. Für Peter Janich (2002) vereint 17 Einzelbeiträge, die aus diesem Anlass verfasst wurden.

Das letzte Lebensjahrzehnt stand ganz im Zeichen der Aufklärung, mit der gegen die populären Mythen- und Legendenbildungen im zeitgenössischen wissenschaftlichen Weltbild vorgegangen wurde. Vor allem den öffentlichkeitswirksamen Bekenntnissen von KI-Wissenschaftlern, Evolutionsbiologen, Genetikern oder auch Neurowissenschaftlern über die ausschließliche Natürlichkeit ihrer wissenschaftlichen Gegenstände setzte Janich ein differenziertes Plädoyer entgegen, stets auf die Kultürlichkeit der Mittel, Zwecke und Praxen der Wissenschaftler Bezug nehmend. Nichts ist so kultürlich wie die Naturwissenschaft, die auch in der heutigen Zeit einer besonderen wissenschafts- und kulturphilosophische Reflexion bedarf. Die in dieser Zeit entstandenen Aufklärungsschriften Was ist Information? Kritik einer Legende (2006), Kultur und Methode. Philosophie in einer wissenschaftlich geprägten Welt (2006) sowie Der Mensch und andere Tiere. Das zweideutige Erbe Darwins (2010) richten sich dabei nicht nur an einen akademischen Leserkreis, sondern dezidiert an eine weitere Öffentlichkeit zum Zweck einer kritischen Meinungsbildung.

Vor allem die prominente, fast allgegenwärtige Debatte in der Hirnforschung entlarvte Janich als ein ideologisches Überbauphänomen, bei der sich ein grundständiges Missverstehen der eigenen wissenschaftlichen Praxis zu erkennen gibt. Nach ihm präsentiert sich die Debatte durch ein undifferenziertes Sprachgemisch, bei dem die verschiedensten Fachsprachen mit einander vermengt werden, durchdrungen von informellen Wissenschafts- und Erkenntnistheorien, die ihrerseits keine Reflexion erfahren. Kritisiert wird also weder die Bereitstellung neuer empirischer Erkenntnisse durch die aktuelle Hirnforschung noch die Entwicklung innovativer technischer Methoden durch sie. Aber er zieht begründet in Zweifel, dass durch die Hirnforschungsdebatte ein neues Menschenbild begründet werden würde oder gar begründet werden könnte. Philosophisch ist die Hirnforschung vielmehr im Jahre 1748 bei La Mettrie stehengeblieben. Aus der beeindruckende Vielfalt seiner hier zu verortenden Beiträge seien erwähnt „Der Streit der Welt- und Menschenbilder in der Hirnforschung“ (2006), Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung (2009) und „Die Sprache der Hirnzauberlehrlinge - Über den Sitz der Verantwortung“ (2012). Diese Schriften dienen vorranging dem Ziel, Ordnung in die Debatte zu bringen. So sind sie auch und vor allem für diejenigen bestimmt, die sich der Interpretation neurowissenschaftlicher Resultate zuwenden wollen, denn sie bergen ein sprachkritisches Orientierungs- und Disziplinierungswissen.

Das letzte große Projekt sollte aber zum Vermächtnis werden. 2015 erschien mit Handwerk und Mundwerk. Über das Herstellen von Wissen ein fulminantes kulturphilosophisches Argumentationspanorama für die Poiesis. Hier kommt reflexionslogisch zum Abschluss, was für Janich bereits ein halbes Jahrhundert gelebtes philosophisches Handwerk war. In diesem großartigen Buch erzählt er facettenreich und über die Zeitalter hinweg eine bis dato nicht geschriebene und häufig missverstandene Wissenschaftsgeschichte von Praxis und Theorie – ein Begriffspaar, das für weitaus mehr steht als für eine vermeinte Asymmetrie. Die Wiederaufwertung von Poiesis und Praxis gegenüber der Theorie war seit Jahrzehnten ein Anliegen in seinen Schriften, auf das er unermüdlich aufmerksam machte. So resultiert die tradierte Geringschätzung unter anderem aus einem stets ästhetisierenden, durchweg visuell geprägten Verständnis des vorherrschenden Naturverständnisses, welches die fundamentale Rolle der taktilen Wahrnehmung und mit ihr den technischen Umgang mit haptischen Phänomenen hat in Vergessenheit geraten lassen. Dabei erweist sich die taktile Wahrnehmung gegenüber der visuellen in der Naturerkenntnis als ungleich zuverlässiger und besser zu kontrollieren. Diese Einsicht brachte Janich bereits 1993 in der gelungenen kleinen Untersuchung „Visuelle und taktile Wahrnehmung in der Naturerkenntnis“ auf den Punkt. Doch in diesem letzten Werk wird das handwerkliche Herstellen mit der Vielfalt seiner haptisch gezeugten Phänomene zum großen Protagonisten und seine kulturkritische Rehabilitierung zum erklärten Ziel, für dessen Realisierung noch einmal der gesamte Mittelbestand aus Erkenntnistheorie, Wissenschaftsphilosophie, Technik und Kulturgeschichte, Anthropologie und Handlungstheorie aufgeboten wird.

Janich suchte stets nach Möglichkeiten, die Philosophie und ihr Aufklärungsanliegen im öffentlichen Raum präsent zu halten, sie auch jenseits des universitären Curriculums als eine lebendige und wichtige Wissenschaft zu bewerben. Neben seinen eigenen Schriften gelang ihm dies mit keiner Form so gut und medial wirksam wie mit der von ihm 1999 begründeten Christian-Wolff-Vorlesung, einer bis auf den heutigen Tag erfolgreichen Veranstaltungsreihe, die von Janich bis 2007, bis zur Ehrenpromotion von Altbundeskanzler Helmut Schmidt organisiert wurde. Mit der Christian-Wolff-Vorlesung wurde jährlich ein international renommierter Philosoph nach Marburg eingeladen, der für die große Öffentlichkeit von Universität und Stadt einen fulminanten philosophischen Vortrag hielt, der durch Ausrichtung und Inhalt inspirieren sollte. Freilich wurde mit diesem nach Christian Wolff benannten akademischen Ereignis auch der eigenen Aufklärungstradition gedacht, schließlich lehrte Wolff von 1723 bis 1740 in Marburg Philosophie. So war denn auch die Aufklärung das übergeordnete Motto, das der Veranstaltung nach wie vor ihren allgemeinen Rahmen gibt.

Als kritischer Aufklärer verstand er sich auch in jenen akademischen Institutionen, denen er als Mitglied angehörte. Erwähnung finden soll an dieser Stelle aber einzig die Wissenschaftliche Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, der er ab 1995 als korrespondierendes und ab 2001 schließlich als ordentliches Mitglied angehörte. Janichs Beziehung zu dieser Gesellschaft war durch eine äußerste Lebendigkeit geprägt. In den zwei Jahrzehnten seiner Zugehörigkeit, die ihm persönlich sehr am Herzen lag und die ihren symbolischen Höhepunkt in seiner von 2010 bis 2012 wahrgenommenen Präsidentschaft fand, brachte er seine wissenschaftliche Expertise umfassend in das akademische Leben der Gesellschaft ein. In einer Reihe von Vorträgen, die in Teilen als umfassendere Untersuchungen ebenfalls Eingang in die Sitzungsberichte fanden, vermochte er sich bestens auf die anderen Mitglieder einzustellen, wobei ihm in toto die Darstellung eines repräsentativen Querschnitts seiner Philosophie gelang. Dies belegen die Veröffentlichungen Was heisst und woher wissen wir, dass unser Erfahrungsraum dreidimensional ist? (1996), Die Naturalisierung der Information (1999), Die Begründung der Geometrie aus der Poiesis (2001), Mensch und Natur. Zur Revision eines Verhältnisses im Blick auf die Wissenschaften (2002), EmergenzLückenbüssergottheit für Natur- und Geisteswissenschaften. Ergänzt um eine Korrespondenz mit Hans-Rainer Duncker (2011) und Mundwerk ohne Handwerk? Ein vergessenes Rationalitätsprinzip und die geistesgeschichtlichen Folgen (2016).

Obwohl Janich im Laufe seiner akademischen Karriere immer auch wieder Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte in den Vereinigten Staaten von Amerika, Norwegen, Österreich und auch Italien wahrgenommen hat, so blieb er seiner Alma Mater Philippina treu bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2007. Für seine Verdienste um die Technikphilosophie und Technikfolgenabschätzung verlieh ihm die geistes- und sozialwissenschaftliche Fakultät des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Januar 2016 die Ehrendoktorwürde.

Im öffentlichen akademischen Leben war Peter Janich weit über die Grenzen seines Faches hinaus bekannt. Mehrere hundert Vorträge führten ihn über Jahrzehnte hinweg an fast jede deutsche Universität. Die Meisten kannten ihn als erfolgreichen Buchautor, dessen Werke zum Teil ins Englische, Italienische, Koreanische sowie Japanische übersetz wurden, und als diskussionsfreudigen Referenten auf Tagungen. Nicht unerwähnt bleiben darf der für Außenstehende unbekannte fürsorgliche Hochschullehrer, der sich im universitären Alltag für die Interessen der Studierenden einsetzte, ihre Wünsche für die Lehre in den Veranstaltungsplanungen des Instituts berücksichtigte und stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen hatte – diesseits und jenseits des Studiums. Durch Stil und Inhalt prägte er ganze Generationen von Marburger Philosophiestudenten. Seine Aufforderung zum selbständigen Denken war allgegenwärtig. In seinem Hörsaal herrschte eine klare Sprache, kein Herrschaftsdiskurs. Seine besonnenen Argumentationen zielten auf begründete Verbindlichkeit, nicht auf dogmatische Unbelehrbarkeit. Die Philosophie in seinen Seminaren war leidenschaftlich, nicht zügellos. Verloren haben wir nicht nur einen großartigen Philosophen, einen inspirierenden Denker, sondern auch einen begnadeten Universitätsprofessor, einen mitreißenden Lehrer. Und ich einen väterlichen Freund, der mir in Philosophie und Leben ein Vorbild bleibt.