Im Jahr 2015 wurden von der Internationalen Liga gegen Epilepsie eine neue Definition und Klassifikation des Status epilepticus (SE) vorgeschlagen. Diese sieht ein klares Zeitkonzept bezüglich Diagnosestellung und Therapieeinleitung (Zeit T1), aber auch eine Frist für die erfolgreiche Behandlung (Zeit T2) zur Vermeidung von anhaltenden Schädigungen differenziert nach Statustypen vor. Die Semiologie wird gegliedert in SE mit prominenten motorischen Phänomenen (einschließlich bilateral tonisch klonischem SE), und SE ohne oder mit allenfalls subtilen motorischen Phänomenen (nichtkonvulsiver SE, NCSE).

Der Status epilepticus (SE) stellt biologisch, pathophysiologisch eine anhaltende epileptische Aktivität dar, die auf dem Versagen von anfallsterminierenden Mechanismen oder der Initiierung von anfallsverlängernden Mechanismen beruht [1]. Da diese Aktivität zu Schäden an Neuronen und neuronalen Netzwerken führen kann, sind die raschestmögliche Erkennung und Therapie notwendig [1]. Für den Kliniker sind operationalisierte Parameter von hoher praktischer Bedeutung, um standardisierte Abläufe effektiv und effizient durchführen zu können. Vor dem Vorschlag zu Definition und Klassifikation des SE der Internationalen Liga Gegen Epilepsie (ILAE) 2015 wurde der SE nur ungenügend in den Anfallsklassifikationen abgebildet [2,3,4,5]. Insbesondere herrschte Uneinigkeit darüber, ab welcher Dauer ein SE vorliegt. Dies führte bei zunächst 60 min [2], 30 min [6], 20 min [7], und 10 min [8] zu teils systematisch verzögerter Behandlung von Patienten im Vergleich zu aktuell 5 min [9]. Mit dem ILAE 2015-Vorschlag existiert nun ein praxisnahes Konzept, das sowohl das optimale klinische Management von Patienten mit SE als auch die weitere klinisch-wissenschaftliche Erforschung dieses potenziell lebensbedrohlichen Zustandsbildes ermöglicht.

Diagnosekriterien

Die Qualifikation der klinischen Symptomatik für die Diagnose eines Status epilepticus besteht in der Überschreitung der üblichen Dauer eines epileptischen Anfalles, weshalb die Diagnosezeit T1 für bilateral tonisch klonische Aktivität mit 5 min und für fokale Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung bzw. Absencen mit 10 min festgelegt wurde [1]. Hierdurch wird die ehestmögliche Therapieeinleitung sichergestellt. Idealerweise ist die Therapie binnen 30 min nach Beginn des konvulsiven SE erfolgreich (Zeit T2), für den fokalen Status (ca. 60 min) bzw. Absencenstatus liegt weniger Evidenz vor [1, 10]. Wie in biologischen Systemen üblich ist von einer interindividuellen Variabilität, beispielsweise bedingt durch Komorbiditäten, auszugehen. Die Zahlenwerte für T2 stellen vielmehr einen Orientierungspunkt dar, der dem Kliniker hilft, die Therapie zu eskalieren oder andere Entscheidungen zu treffen.

Klassifikation

Die Klassifikation des SE erfolgt in 4 Achsen: Semiologie, Ätiologie, EEG-Korrelate, und Alter. Diese Einteilung erlaubt es, Outcome-relevante Eigenschaften oder Muster zu identifizieren.

Achse 1: Semiologie

Die Hauptkriterien der Unterteilung dieser Achse sind das Vorhandensein prominenter motorischer Phänomene und die Bewusstseinslage (Tab. 1; [1]). Insgesamt ist eine Klassifikation wünschenswert, bei der beide Parameter berichtet werden. Mit dem Begriff „fokal komplexer Status“ wurde nur eine beeinträchtigte Bewusstseinslage kommuniziert ohne Aussage über allfällig gleichzeitig vorliegende motorische Phänomene. Beim „fokal motorischen Status“ war es genau umgekehrt. Dieses Konstrukt war somit nicht eindeutig und verhinderte die systematische Aufarbeitung. Mit dem ILAE 2015-Schema wird zunächst die Motorik beurteilt und in einem gedanklich zweiten Schritt (klinisch: gleichzeitig) die Bewusstseinslage. Prominente motorische Phänomene können bilateral tonisch klonisch (konvulsiv), myoklonisch, fokal-motorisch, tonisch, oder hypermotorisch sein. Subtile motorische Phänomene des nichtkonvulsiven SE bestehen beispielsweise aus subtilen Zuckungen ab einem Finger, perioral oder periorbital, in einer konjugierten forcierten Blickwendung oder einem Hippus pupillae.

Tab. 1 Semiologische Einteilung (Achse 1) des Status epilepticus gemäß ILAE 2015. (Übersetzt und mod. nach [1])

Als wichtige Konsequenz kann die Inzidenz des nichtkonvulsiven SE (NCSE) bestimmt werden, was zuvor erst in einer einzigen populationsbasierten Studie (in Form von „motorisch“ vs. „nichtmotorisch“ vs. „myoklonisch“) durchgeführt worden war [11]. In einer ersten Praktikabilitätsstudie wurden 488 Patienten von 2 Autoren der ILAE-Task-Force retrospektiv untersucht, wobei sich eine gute Anwendbarkeit zeigte mit Wissensgewinn v. a. im sehr heterogenen Bereich des „fokalen SE“ [12]. Die Verfeinerung der Klassifikation soll eine Stratifizierung nach Outcome ermöglichen.

Ergänzend ist festzuhalten, dass „konvulsiv“ und „nichtkonvulsiv“ keine komplementären Begriffe darstellen. „Konvulsiv“ ist gleichzusetzen mit bilateral tonisch klonisch, welches erst gemeinsam mit myoklonisch, fokal motorisch, tonisch, und hypermotorisch in der Gruppe der „SE mit prominenten motorischen Phänomenen“ zusammengefasst komplementär zum NCSE ist [1].

Achse 2: Ätiologie

Die Ätiologie ist einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste, Parameter bezüglich Outcome des Patienten. Dies nicht zuletzt deshalb, da die Ursache des SE selbst lebenslimitierend wirken kann, z. B. ein ausgedehnter ischämischer Mediainfarkt oder ein ausgedehntes intrazerebrales Tumorleiden. Es ist ein nach wie vor ungelöstes Problem, bei SE mit akuter Ätiologie die Folgen der Ursache von jenen des SE selbst valide abgrenzen zu können.

Der pragmatische Zugang der ILAE 2015‐Klassifikation sieht die Unterteilung der Ätiologie in bekannt (i. e. symptomatisch) bzw. unbekannt (i. e. kryptogen) vor. Innerhalb der symptomatischen Ätiologien wird zwischen akut, zurückliegend („remote“), progressiv oder in definierten elektroklinischen Syndromen unterschieden [1].

Achse 3: EEG-Korrelate

Hier darf auf den Beitrag „Nichtkonvulsiver Status epilepticus – Diagnosekriterien“ von Leitinger und Trinka in diesem Themenheft verwiesen werden.

Achse 4: Alter

Das Alter wird in die Neonatalperiode (bis 30. Lebenstag), Kleinkindalter (1 Monat bis 2 Jahre), Kindheit (über 2 Jahre bis 12 Jahre), Adoleszenz (über 12 bis 59 Jahre) und Ältere (60 Jahre oder mehr) unterteilt [1]. Hier soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass beispielsweise ein neonataler SE in Bezug auf die Myelinisierung und die neuronale Migration (Reife) in einem völlig anderen Gehirngewebe stattfindet als beispielsweise bei einem älteren Kind oder beim Adoleszenten.

Ergänzungen

Obwohl in der ILAE 2015-Definition nicht explizit erwähnt, sollten wiederholte bilateral tonisch klonische Aktivitäten ohne zwischenzeitliche Restitution weiterhin als SE diagnostiziert werden [3].

Limitationen

Das Konzept der Zeit T1 wurde von therapierefraktären Patienten im Video-EEG-Monitoring abgeleitet (teilweise unter Medikamentenentzug oder fortbestehender antiepileptischer Medikation), während Untersuchungen an medikamentennaiven Patienten rar sind [1]. Das Konzept der Gewebestörung nach der Zeit T2 unterliegt methodischen Limitationen, da die Schädigungen bei allen Überlebenden nur indirekt und makroskopisch, z. B. mittels MRI, zu erfassen versucht werden können. Unklarheiten bestehen weiterhin bei Phänomenen im Grenzbereich des elektroklinischen Kontinuums, beispielsweise bei epileptischen Enzephalopathien, Verhaltensstörungen bei Epilepsiepatienten, oder akuten Verwirrtheitszuständen [1].

Zusammenfassung

Die ILAE 2015-Definition und Klassifikation des Status epilepticus erwies sich als klinisch gut praktikables Schema, das erstmals der Notwendigkeit der Definition einer Zeit der Diagnose und des Therapiebeginns (T1) sowie einer Zeit der Gewebsschädigung (T2) Rechnung trug. Semiologisch werden sowohl motorische Phänomene als auch die Bewusstseinslage erfasst, was der Eindeutigkeit der Klassifikation im klinischen Alltag sowie der systematischen Erforschung deutlichen Auftrieb geben wird.

Fazit für die Praxis

  • Die Diagnose des SE wird nach 5 (bilateral tonisch klonischer SE) bzw. 10 min (fokaler SE bzw. bei Absencenstatus) gestellt (Zeit T1), um so rasch wie möglich eine Therapie einleiten zu können.

  • Idealerweise ist die Therapie binnen 30 min nach Beginn des konvulsiven SE erfolgreich (Zeit T2), für den fokalen Status (ca. 60 min) bzw. Absencenstatus liegt weniger Evidenz vor.

  • Prominente motorische Phänomene können bilateral tonisch klonisch (konvulsiv), myoklonisch, fokal-motorisch, tonisch oder hypermotorisch sein.

  • Subtile motorische Phänomene des nichtkonvulsiven SE bestehen beispielsweise aus subtilen Zuckungen perioral oder periorbital, in einer konjugierten forcierten Blickwendung oder einem Hippus pupillae.

  • Die Bewusstseinslage ist ein weiteres prognostisch relevantes Einteilungskriterium.

  • Die Ätiologie wird unterteilt in unbekannt/kryptogen vs. bekannt/symptomatisch (akut, zurückliegend/remote, progressiv oder im Rahmen definierter elektroklinischer Syndrome).