Patienten, deren Status epilepticus (SE) durch die First-line-Therapie mit Benzodiazepinen nicht zu durchbrechen ist, befinden sich per definitionem im Benzodiazepin-refraktären oder etablierten Status epilepticus („established status epilepticus“ [ESE]). Der kritische Zeitpunkt wird mit 5 min andauernder tonisch klonischer Anfallsaktivität definiert [28]. Rund 30 % aller Patienten im generalisiert tonisch klonischen Status epilepticus (TCSE) sind davon betroffen [1, 33]. In diesem Fall ist eine Eskalation zu einer Second-line-Therapie indiziert. Klassischerweise werden dazu Phenytoin (früher auch Phenobarbital) und in jüngster Zeit Fosphenytoin als Zweitlinientherapie eingesetzt. Mit der Verfügbarkeit von neueren antiepileptischen Medikamenten (Valproat [VPA], Levetiracetam [LEV] und Lacosamid [LCM]) in intravenöser Formulierung [31] stellt sich die Frage, ob diese Wahl noch dem Goldstandard entspricht. Die Datenlage, die der klinischen Praxis zugrunde liegt, beruht für alle, auch die klassischen Substanzen, großteils nicht auf randomisiert kontrollierten Studien, sondern auf retrospektiven Beobachtungen und Fallberichten. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die aktuelle Datenlage (Übersicht siehe Tab. 1).

Phenytoin

Phenytoin (PHT) wird seit Jahrzehnten in der Behandlung des SE verwendet. Es ist im Stadium des ESE indiziert [11, 16, 17].

Es ist wasserunlöslich und muss daher für die intravenöse Verabreichung in einem alkalischen Polypropylen-Lösungsmittel gelöst werden. Dieses Lösungsmittel hat einen pH-Wert von etwa 12 und die PHT-Infusion kann daher lokale Reizung oder eine Thrombophlebitis an der Infusionsstelle verursachen [2]. Die empfohlene Dosis ist 18–20 mg/kg für Erwachsene <65 Jahren und 15 mg/kg bei Älteren (>65 Jahre) mit einer maximalen Infusionsgeschwindigkeit von 50 mg pro Minute [30, 31]. Bei älteren Patienten wird eine langsamere Geschwindigkeit der Verabreichung mit niedrigeren Dosen empfohlen, um eine arterielle Hypotonie und Herzrhythmusstörungen zu verhindern [30, 31]. Schwere Nebenwirkungen von PHT sind Arrhythmien (2 %), arterielle Hypotonie (28–50 %), Thrombophlebitis und Kompartmentsyndrome mit Gewebenekrose nach Extravasat [2, 12, 20, 30, 31].

In einem systematischen Review wurde die Rolle von PHT zur Behandlung des konvulsiven ESE bei Erwachsenen analysiert [8]. Acht randomisiert kontrollierte Studien wurden eingeschlossen. Bei 6 dieser Studien (472 von 544 Patienten, die mit PHE behandelt wurden) wurde dieses Medikament entweder gleichzeitig mit oder sofort nach Benzodiazepinen (Diazepam oder Lorazepam) verabreicht. Bei nur 2 Studien (72 Patienten) wurde PHT als echte Zweitlinientherapie für den konvulsiven ESE verwendet [8]. Daher spricht die Mehrheit der Daten aus randomisierten kontrollierten Studien für die Verabreichung von PHT unmittelbar nach Benzodiazepin-Gabe, auch wenn die Anfallsaktivität durch die Benzodiazepin-Gabe durchbrochen wurde und unmittelbar danach (noch) kein Anfallsrezidiv auftrat.

Die Verwendung von intravenösem PHT als Zweitlinientherapie scheint deshalb eher auf der klinischen Erfahrung zu beruhen, die über Jahre gesammelt wurde, als auf den Ergebnissen von randomisiert kontrollierten Studien [8].

Die intravenöse Gabe von PHT gleichzeitig oder unmittelbar nach Benzodiazepinen hat das primäre Ziel, die kurze antiepileptische Wirkung von Benzodiazepinen zu verlängern [7, 8] und dem Wiederauftreten eines Anfalls vorzubeugen. Um das Risiko von Herzrhythmusstörungen und arterieller Hypotonie zu minimieren, sollte PHT langsam verabreicht werden [30, 31]. Klinisch ist eine raschere Infusion („loading“ über 15–20 min) jedoch erforderlich, um eine Durchbrechung des konvulsiven SE innerhalb von 30 min zu erreichen. Dieser Zeitpunkt (t2) wird als kritisch für ein negatives Outcome gesehen [28]. Daher ist es kritisch zu hinterfragen, eine Benzodiazepin-Refraktärität abzuwarten, bevor man PHT verabreicht [9]. Wird allerdings PHT verabreicht, ohne dass der SE Benzodiazepin-refraktär ist, besteht die Möglichkeit, dass Patienten, deren SE bereits mit Benzodiazepinen durchbrochen werden konnte, unnötigerweise mit einem zweiten Antiepileptikum behandelt werden und damit möglicherweise zusätzlich den unerwünschten Wirkungen dieses Medikaments ausgesetzt werden [9]. In der größten randomisierten Studie, die u. a. Lorazepam mit Diazepam, gefolgt von PHT intravenös vergleicht, wurden jedoch keine Unterschiede bezüglich der unerwünschten Wirkungen gezeigt [25].

Valproat

Valproinsäure (oder sein Natriumsalz Valproat [VPA]) wird seit den 1960er-Jahren in der Notfallbehandlung des SE verwendet [10, 32]. Es hat ein breites Wirkungsspektrum gegen alle Anfallstypen und wird auch von kritisch kranken Patienten, in hohen Dosen und schnellen Infusionsraten gut vertragen [10, 32]. Der Wirkungsbeginn tritt schnell ein, da der maximale Serumspiegel innerhalb weniger Minuten nach Beginn der Infusion erreicht wird. Es finden sich Daten von 860 Patienten, die mit VPA bei verschiedenen Formen des SE behandelt wurden. Darunter befinden sich 6 randomisiert kontrollierte Studien, 4 nicht randomisiert kontrollierte Studien und 20 unkontrollierte Studien (8 prospektiv, 12 retrospektiv) mit einer Gesamtansprechrate von 70,9 % (601/848; 95 % CI 67,8–73,9) [32]. Die am häufigsten verwendete wirksame Dosis war 15–45 mg/kg Bolus (6–10 mg/kg/min), gefolgt von 1–3 mg/kg/h Infusion [32]. Valproinsäure ist nicht sedierend und hat insgesamt eine geringe Inzidenz von unerwünschten Wirkungen (<10 %), am häufigsten Schwindel und Thrombozytopenie sowie leichte Hypotonie, die unabhängig von den Infusionsraten auftreten [26, 27, 32]. Die akute „Valproat-Enzephalopathie“, eine akute Enzephalopathie, die manchmal mit Leberversagen und Pankreatitis in Zusammenhang steht, wird nur selten berichtet [32], kann jedoch z. B. bei Patienten mit mitochondrialen Erkrankungen (wie Polymerase-Gamma-Mutationen [POLG-Mutation]) fatal sein.

Levetiracetam

Levetiracetam (LEV) ist ein Breitspektrumantiepileptikum. Aufgrund seines minimalen Leberstoffwechsels und seiner niedrigen Plasmaproteinbindung (<10 %) hat es ein geringes Wechselwirkungspotenzial [22]. Daten von über mehr als 1000 Patienten (retrospektive Fallserien und prospektive Sicherheitsstudien) ergaben eine sehr geringe Rate von unerwünschten Wirkungen (meistens Somnolenz, Sedierung, selten Agitiertheit und Thrombozytopenie) [29]. In einer Metaanalyse über 10 Studien (7 retrospektive Beobachtungen, 2 prospektive Beobachtungsstudien, 1 prospektive randomisiert kontrollierte Studie; insgesamt 234 Patienten) lag die Wirksamkeit zwischen 44 und 94 % [35]. Eine weitere Metaanalyse hat 5 verschiedene Medikamenten beim ESE in 27 Studien (798 Patienten mit konvulsivem Status epilepticus) verglichen [34]. Die relative Wirksamkeit von Levetiracetam betrug 68,5 % (95 % CI: 56,2–78,7 %), verglichen mit Phenobarbital 73,6 % (95 % CI: 58,3–84,8 %), PHE 50,2 % (95 % CI: 34,2–66,1 %) und VPA 75,7 % (95 % CI: 63,7–84,8 %) [34]. Diese Ergebnisse weisen nicht auf eine höhere Wirksamkeit von LEV im Vergleich zu anderen Arzneimitteln hin. Im Gegenteil, sie reflektieren eine Ungenauigkeit in den Schätzungen aufgrund der geringen Anzahl der Patienten, die mit diesen 5 Medikamenten behandelt wurden.

Obwohl LEV oft zur Behandlung des SE verwendet wird, sind die Daten über seine Wirkung und Verträglichkeit aus randomisierten Studien gering [6]. Es ist allerdings nicht überraschend, dass diese Studien negative Ergebnisse hatten, weil nur sehr geringe Fallzahlen von Patienten untersucht wurden.

Lacosamid

Lacosamid (LCM) entfaltet seine antiepileptische Wirkung durch die Aktivierung von langsamen Natriumkanälen, ohne eine schnelle Inaktivierung zu bewirken [4]. Als intravenöse Formulierung ist LCM seit 2008 erhältlich [5]. Dennoch ist die Datenlage zur Verwendung von LCM im Status epilepticus dünn. Bisher gibt es Berichte von >500 Patienten zu seiner Verwendung im Status epilepticus, meist Fallberichte und Fallserien [24].

LCM wird bei unterschiedlichsten Arten eines SE angewendet. In der größten spanischen Fallserie von Erwachsenen mit 165 Patienten wird ausschließlich über Fälle von nichtkonvulsivem Status epilepticus (NCSE) berichtet [23]. Ursprünglich mit einer Infusion über 40–60 min verwendet [5], wird LCM im SE bei Erwachsenen heutzutage deutlich zügiger im Bolus administriert. 2011 wurde erstmals über die sichere Verwendung von unverdünntem LCM mit einer maximalen Infusionsrate von 80 mg/kg zur Therapie bei erwachsenen Patienten im SE berichtet [15]. Als „loading dose“ werden meist 200–400 mg über 5–10 min administriert. Bei ungefähr 56 % der Patienten kann der SE damit durchbrochen werden [14]. Wichtige unerwünschte Wirkungen in absteigender Häufigkeit sind milde Sedierung, Hypotonie, allergische Hautreaktionen, Angioödem, AV-Block II und Asystolie. Außerdem wird ein Trend zu einem besseren Therapieansprechen verzeichnet, wenn kein anderer Natriumkanalblocker unter den verabreichten antiepileptischen Medikamenten war [31] oder wenn Patienten nach Benzodiazepin-Gabe eine Lacosamid-loading-Dose >5,3 mg/kg (entspricht 400 mg bei 75 kgKG) erhielten [23]. Die einzige randomisierte Studie zu diesem Thema vergleicht LCM mit Valproat im ESE ohne Hinweise auf einen signifikanten Unterschied in Wirksamkeit und Verträglichkeit [18].

Ein kürzlich veröffentlichter Review fasst Literatur über die Verwendung von LCM bei Kindern mit Status epilepticus und therapierefraktärer fokaler Epilepsie zusammen. Es werden 797 Fälle berichtet. Zusätzliche Nebenwirkungen sind gastrointestinale Symptome sowie Auffälligkeiten im Verhalten oder der Stimmungslage [21]. Auch Kinder unter 12 Monaten werden im mit LCM i. v. behandelt. Arkilo et al. berichten über Patienten jünger 12 Monate bis 16 Jahre, die im Median 7,2 mg/kg („range“ 4–11) LCM erhielten. Die einzige Nebenwirkung war Sedierung [3]. Kürzlich veröffentliche Daten an Kindern bestätigen die Daten aus der Erwachsenenneurologie mit gleichen Nebenwirkungen bei unverdünnter Gabe, verglichen zur Verdünnung dieser Infusionslösung und langsameren Infusion über 30–60 min [13]. Die jüngste thailändische Studie an 11 Kinder und Jugendlichen <18 Jahren im nonkonvulsiven Status epilepticus (NCSE) wurden mit einer „loading dose“ von 8,3 mg/kg im Median behandelt. Bei 72 % der Patienten konnte eine Anfallsreduktion von >50 % nach 24 h erreicht werden. Ein Patient wurde anfallsfrei. Ätiologisch lag bei diesem Patienten eine neuronale Zeroidlipofuszinose vor [19].

Tab. 1 Intravenös verabreichbare Antiepileptika in der Übersicht

Fazit für die Praxis

Phenytoin ist wirksam beim ESE. Nur die Formulierung als Fosphenytoin kann über einen großlumigen peripheren Venenzugang verabreicht werden. Dennoch ist ein zentraler Venenzugang zur Vermeidung von Extravasaten mit einem Risiko für ein Kompartmentsyndrom und/oder Nekrosen zu bevorzugen. Auch aufgrund der unerwünschten Wirkung einer arteriellen Hypotonie sind ein zentraler Venenzugang zur Katecholamingabe und ein intensivmedizinisches Setting zu bevorzugen.

Valproat wird in der Regel ohne unerwünschte relevante kardiorespiratorische Wirkungen auch von alten Patienten in hohen Dosen gut vertragen. Eine seltene gefährliche unerwünschte Wirkung ist die Valproat-Enzephalopathie mit potenziellem Leberversagen und letalem Ausgang. Gefährdet sind dafür besonders Menschen mit mitochondrialen Erkrankungen, bei denen Valproat kontraindiziert ist.

Levetiracetam wird in der Regel ohne unerwünschte relevante kardiorespiratorische Wirkungen gut vertragen. Wenn Patienten unter einer Dauermedikation mit LEV einen SE erleiden, ist immer auch an einen provozierten Anfall aufgrund eines Einnahmefehlers zu denken. Daher wird LEV in diesem klinischen Setting oft anstelle von PHE als Zweitlinientherapie eingesetzt. Auch die fehlende Hepato- oder renale Toxizität machen Levetiracetam bei Patienten mit Leber- und Nierenerkrankungen als Alternative zu Phenytoin attraktiv.

Lacosamid zeigt bei Patienten ohne Natriumkanalblocker in der Komedikation einen Trend zu gutem Therapieansprechen. Relevanteste unerwünschte Wirkung in der Akutsituation ist ein AV-Block. Die Datenlage für dieses Medikament ist derzeit noch die geringste.