Fallbericht

Anamnese

An einem Sommerabend werden ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) und Rettungswagen (RTW) zu einem Einsatz beordert [1]. Das Einsatzstichwort lautet „Akutes Koronarsyndrom“. Die Anfahrt zum Notfallort dauert nur 3 min (19.32 Uhr, Tab. 1). Das Notarzteinsatzfahrzeug (Notarzt und Notfallsanitäter) und der Rettungswagen (zwei Rettungssanitäter) treffen gleichzeitig am Notfallort ein.

Tab. 1 Timeline

Befund

Der 61-jährige männliche Patient präsentiert sich mit massiven Thoraxschmerzen und schmerzverzerrtem Gesicht. Die Schmerzen bestehen seit ca. 15 min, der Patient klagt ferner über Übelkeit. Die Haut des Patienten ist kalt, blass und schweißig.

Die Erstuntersuchung durch den Notarzt ergibt eine pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung von 91 % und eine Tachykardie von 110/min. Der Blutdruck beträgt palpatorisch 210 mm Hg systolisch. Im 12-Kanal-EKG zeigen sich ST-Streckenhebungen von 0,2 mV in den Brustwandableitungen V2 bis V4; Stauungszeichen (sichtbare Vv. jugulares externae, Beinödeme) sind keine zu erkennen.

Die Qualität der Schmerzen wird als vernichtend und stechend im Oberkörper beschrieben sowie ausstrahlend in den linken Oberarm. Die letzte Nahrungsaufnahme erfolgte am Nachmittag.

Diagnose

Der Notarzt stellt die Arbeitsdiagnose akuter STEMI (ST-Streckenhebungsinfarkt).

Therapie und Verlauf

Der Patient wird während der Therapie auf dem Sofa belassen und mit erhöhtem Oberkörper gelagert. Die initiale Therapie wird mit 250 mg Acetylsalicylsäure und 5 mg Morphinhydrochlorid sowie isotoner Elektrolytlösung langsam tropfend intravenös als Trägersubstanz eingeleitet.

Als Zielkrankenhaus wählt der Notarzt das nächstgelegene, etwa 45 km entfernte, Krankenhaus (KH) mit Möglichkeit zur PCI („percutaneous coronary intervention“). Er nimmt telefonisch Kontakt mit dem diensthabenden Kardiologen des KH mit PCI-Möglichkeit auf.

Der Kardiologe bestätigt, dass die Übernahme des Patienten und somit der Transport in das 45 km entfernte Zielkrankenhaus möglich ist und empfiehlt die weiteren therapeutischen Maßnahmen. Daraufhin verabreicht der Notarzt 5000 Einheiten Heparin i.v. und 60 mg Prasugrel p.o. Während des Telefonats mit dem Kardiologen wird der Patient auf die Rettungstrage umgelagert und für den Transport vorbereitet. Der Blutdruck sinkt nach der initialen Messung von 210 mm Hg systolisch innerhalb der nächsten 3 min auf 180 mm Hg systolisch.

Der Patient klagt unverändert über starke Schmerzen und erhält daraufhin erneut 5 mg Morphinhydrochlorid und zusätzlich 1 mg Midazolam i.v. zur Analgosedierung. Um einer zunehmenden Übelkeit aufgrund der verabreichten Opiate entgegen zu wirken, werden dem Patienten 8 mg Ondansetron verabreicht.

Der Transfer vom Wohnzimmer des Patienten über das Stiegenhaus bis hin zum RTW verläuft problemlos. Bereits im RTW liegend, beginnt der Patient zu zucken, verliert das Bewusstsein, und Kammerflimmern kann um 19:49 im Monitoring-EKG erkannt werden.

CPR

Das Notarztteam startet ohne Zeitverzögerung die Herzdruckmassage. Der erste Schock (150 J) wird mittels Klebeelektroden eines manuellen Defibrillators 1 min nach Eintritt des Kammerflimmerns um 19.50 Uhr abgegeben. Noch vor dem Ende der ersten 2 min CPR gelingt beim ersten Versuch die endotracheale Intubation. Die Kapnographie bestätigt die korrekte Tubuslage. Die CPR wird laut den aktuellen Leitlinien des ERC fortgeführt.

Der Notarzt entschließt sich nach 10 min CPR zur präklinischen Thrombolyse mit Tenecteplase (Metalyse® 8000 Einheiten/40 mg i.v. bei angenommenen 80 kg Körpergewicht).

Im weiteren Verlauf wird zur besseren Diagnostik und Steuerbarkeit ein arterieller Zugang zur invasiven Blutdruckmessung erfolgreich etabliert. Eine präklinische Ultraschalldiagnostik stand nicht zur Verfügung.

Behandlung nach ROSC

Nach insgesamt 33 min Reanimation (insgesamt 7 mg Adrenalin i.v. und 450 mg Amiodaron i.v. sowie 16 abgegebenen Schocks) wird bei der Rhythmusanalyse erstmals ein Sinusrhythmus mit einer Frequenz von 100/min erkannt, an der A. radialis und der A. femoralis ist ein suffizienter Auswurf tastbar, der arterielle Druck liegt bei 80 mm Hg systolisch.

Die Herzdruckmassage wird beendet und aufgrund der unmittelbaren Nähe eines KH ohne PCI-Möglichkeit (mit Intensivstation) entscheidet sich der Notarzt, nicht wie geplant primär 45 km das KH mit PCI-Möglichkeit, sondern zur Stabilisierung zunächst das Krankenhaus ohne PCI-Möglichkeit in 1 km Entfernung anzufahren (20.24 Uhr). Ein Transport mit dem Notarzthubschrauber (NAH) ist aufgrund der bereits eingetretenen Dunkelheit nicht möglich. Fünf min später trifft das Notarztteam nach Voralarmierung mit dem Patienten im Schockraum ein (20.29 Uhr).

Übergabe im Schockraum

Der Patient wird mit Sinusrhythmus, gehäuften polytopen Extrasystolen, Herzfrequenz von 120/min, SpO2 von 97 %, arteriellem Blutdruck von 70/45 mm Hg, GCS (Glasgow Coma Score) von 3 und engen Pupillen übergeben.

Therapie im peripheren Krankenhaus

Der Patient wird an die Intensivstation verlegt und ein zentraler Venenkatheter durch die rechte V. subclavia angelegt. In der Echokardiographie zeigen sich große Anteile des linksventrikulären Myokards hypo- bis akinetisch.

Die Vitalparameter des Patienten verschlechtern sich zunehmend, der arterielle Blutdruck ist über mehrere Minuten nicht messbar.

Eine kaliumreiche Infusionslösung und Noradrenalin werden mit einer Spritzenpumpe in einer Dosierung von 0,375 µg/kg/min kontinuierlich verabreicht. Zur Analgosedierung erhält der Patient 40 µg Sufentanil und 3 mg Midazolam i.v.

Materialien für die Kühlung des Patienten standen nicht zur Verfügung, die Körperkerntemperatur (KKT) beträgt auf der Intensivstation laut transösophagealer Messung 34,7 °Celsius (C).

Um 21:45 Uhr wird vom internistischen Intensivmediziner ein Sekundäreinsatz in das KH mit PCI-Möglichkeit indiziert und das Notarztteam erneut angefordert.

Bei Übernahme zeigt der Patient stabile Vitalwerte, der Blutdruck stabilisierte sich unter laufender Katecholamingabe auf 110/70 mm Hg und einer Herzfrequenz von 70 Schlägen/min (21.52 Uhr).

Transport in das Krankenhaus mit PCI-Möglichkeit

Der Sekundärtransport beginnt um 22.00 Uhr und verläuft komplikationslos. Die Werte des Patienten bleiben wie bei Übernahme im Primärkrankenhaus stabil. Um 22.40 Uhr wird der Patient im KH mit PCI-Möglichkeit übergeben. Der Patient wird primär auf der Intensivstation aufgenommen und in weiterer Folge einer Koronarangiographie unterzogen (07:20 Uhr des Folgetages).

Diagnose der PCI

Der Befund der Koronarangiographie ergibt eine Dreigefäßerkrankung (3-GE), distale Hauptstammstenose 85 % mit Thrombus, TIMI-3-Fluss, LAD proximal 60 %, RCA medial 60 %.

Aufgrund dieses Befunds wurde der Patient am Folgetag einer CABG-Operation unterzogen und konnte nach 14 Tagen stationärem Aufenthalt in gutem Allgemeinzustand und ohne neurologisches Defizit (CPC-Score 1) in die kardiologische Rehabilitation entlassen werden.

Diskussion

Wir berichten den Fall eines 61-jährigen Mannes mit akutem ST-Streckenhebungsinfarkt, HKS und darauffolgendem ROSC. Die Kernfrage dieses Fallberichts ist, ob direkt nach ROSC und bei instabilem Kreislauf der Primärtransport in das in unmittelbarer Nähe befindliche KH (ca. 1 km) ohne PCI-Möglichkeit oder in das weit entfernte (ca. 45 km) KH mit PCI-Möglichkeit erfolgen soll.

Die neuen Leitlinien [2,3,4] weisen darauf hin, dass der direkte Transport in ein Herzkatheterlabor der Goldstandard ist.

Haben Fliehkräfte Einfluss auf die instabile Kreislauffunktion?

Im beschriebenen Fall vertrat der Notarzt die Meinung, dass ein Transport über 45 km im kardiogenen Schock nach ROSC durch die Fliehkräfte während der Fahrt und wegen der Unmöglichkeit, Patienten im fahrenden RTW ca. 40 min lang suffizient zu reanimieren, nicht mit dem Überleben des Patienten vereinbar sei. Wegen der schlechten Kreislaufverhältnisse des Patienten nach der Reanimation, die nach Einlieferung in das KH ohne PCI-Möglichkeit weiterhin bestanden, erwartete der Notarzt durch die Belastung des Kreislaufs bei einem bodengebundenen Transport ein rasches Auftreten eines neuerlichen HKS.

Die Annahme des Notarztes, dass die erheblichen Fliehkräfte beim bodengebundenen Transport negative Auswirkungen auf den Zustand des instabilen Patienten haben, ist derzeit nicht wissenschaftlich belegt. Dämpfungseigenschaften eines modernen RTW sowie ein behutsamer Fahrstil sind nachvollziehbare Gegenargumente.

Viele Notärzte werden schon die Erfahrung gemacht haben, dass nach Lagerungsmanöver eine Verschlechterung der Kreislaufverhältnisse bei instabilen Patienten aufgetreten ist. Naheliegend hierbei ist die Annahme, dass diese Lagerungsmanöver durch Volumenumverteilung im Körperkreislauf Auswirkungen auf den Kreislaufzustand haben können.

Zusammenfassend kann man sagen, dass nach derzeitigem Wissensstand Bedenken im Hinblick auf die Kreislaufbelastung durch Fliehkräfte eine nachgeordnete Rolle spielen sollten.

Mechanische Reanimationshilfen

Eine mechanische Reanimationshilfe (mCPR-Gerät, z. B.: Autopulse® oder LUCAS®) war nicht verfügbar. Deshalb erachtete der Notarzt die vorherige Stabilisierung des Kreislaufes im nur 1 km entfernten Krankenhaus nach erfolgter Thrombolyse vor Ort als die sicherere Methode, den Patienten lebend zum KH mit PCI-Möglichkeit zu bringen.

Wäre ein mCPR-Gerät verfügbar gewesen, das eine qualitativ hochstehende CPR im fahrenden RTW ermöglicht hätte, wäre die Entscheidung des Notarztes womöglich zugunsten des direkten Transports in das KH mit PCI-Möglichkeit ausgefallen.

Die präklinische Erfahrung zeigt, dass eine suffiziente Reanimation während eines Transports ohne mCPR-Gerät über lange Strecken präklinisch praktisch nicht adäquat durchführbar ist. Nicht nur aufgrund des großen Sicherheitsrisikos für das Personal (stehend im fahrenden Rettungswagen Herzdruckmassage durchführend), sondern auch wegen der auf die Helfer einwirkenden Fliehkräfte in den Kurven und bei Beschleunigungs- und Bremsmanöver sollte dies über lange Strecken vermieden werden. Bekannt ist, dass bei längeren Transporten die mechanische gegenüber der manuellen CPR bessere Erfolge erzielt [3, 4]. Kürzere Hands-off-Zeiten und die kontinuierliche Durchführung der Maschine bieten eine bessere CPR-Qualität [3, 4]. Die routinemäßige Anwendung der mechanischen Reanimationshilfen für die CPR wird aktuell in den Leitlinien nicht mehr empfohlen [3, 4].

Seit dem Jahr 2010 wurden drei große randomisierte Studien (7582 Patienten) durchgeführt und konnten keinen klaren Vorteil von mCPR-Geräten gegenüber der herkömmlichen Herzdruckmassage aufzeigen [5]. Es wird aber empfohlen, während eines länger andauernden Transports im Interesse der Sicherheit des Personals eine mechanische Reanimationshilfe zu verwenden [3, 4].

Als logische Schlussfolgerung für die Praxis erscheint es sinnvoll zu sein, die Thoraxkompressionen mit einem mCPR-Gerät konstant und ohne Unterbrechung während des Transports durchzuführen.

Dass in dem vorliegenden Fall kein mCPR-Gerät vorrätig war, kann natürlich auch auf ein strukturelles Defizit hindeuten. Diese Geräte werden nicht täglich verwendet und sind teuer; zwei Faktoren, die eine Anschaffung nicht wirtschaftlich erscheinen lassen.

Viele Länder und Systeme im deutschsprachigen Raum haben sich der Thematik angenommen und großzügig Notarztsysteme mit mCPR-Geräten ausgestattet. Doch wie in diesem Fallbericht geschildert gibt es noch zahlreiche Gegenbeispiele. Gerade diese Fälle sollten den Verantwortlichen von Notarzt- und Gesundheitssystemen vor Augen führen, dass Strukturprobleme vorherrschen.

Ein weiteres mögliches Strukturproblem scheint die Unmöglichkeit eines raschen luftgebundenen Transports aufgrund der eingetretenen Nacht zu sein. In der Schweiz und Skandinavien sind bereits rund um die Uhr Luftrettungsmittel für Primär- und Sekundäreinsätze einsatzbereit. In Österreich ist die Situation derzeit in Erprobung, darüber hinaus steht für das ganze Land ein Sekundärtransport-NAH ganztätig zur Verfügung. Wären mehrere oder sogar alle NAH in Nachtbereitschaft, würde dies zwar eine finanzielle Anstrengung darstellen, jedoch möglicherweise auch eine Verbesserung der Notfallversorgung im deutschsprachigen Raum.

CPR während des Transports

Ein anderer Ansatz wäre gewesen, den Patienten nach ROSC direkt in das in 45 km Entfernung gelegene KH mit PCI-Möglichkeit zu transportieren. Bei Zustand nach CPR und schlechten Kreislaufverhältnissen müsste jedoch im schlimmsten Fall die erneute CPR während des langen Transports angenommen werden. Hierbei stellt sich dann die Frage, ob eine hochqualitative CPR während des Transports überhaupt möglich ist und ob der Patient nicht von einem kurzen Aufenthalt auf einer Intensivstation zur Kreislaufstabilisierung profitiert, um den längeren Transport mit besserer Kreislaufsituation zu beginnen. Es ist davon auszugehen, dass nach kurzzeitiger Intensivtherapie dem kardiogenen Schock medikamentös entgegengewirkt wurde und dadurch der Kreislauf vor dem Sekundärtransport stabilisiert werden konnte. Eine gleichwertige Schocktherapie wäre wahrscheinlich während des Transports nicht möglich gewesen, da eine therapieoptimierende, steuernde Laborkontrolle (pH-Wert, Kalium etc.) im Notarzteinsatzfahrzeug nicht verfügbar war.

Fazit für die Praxis

Die richtige Zuweisungsstrategie ist folgende:

  • Prinzipiell sollte bei einem Myokardinfarkt direkt ein KH mit PCI-Möglichkeit angefahren werden.

  • Sollte die Situation durch verschiedene Gegebenheiten verkompliziert werden (OHCA oder kardiogener Schock), kann ein Zwischenstopp in einem Krankenhaus ohne PCI-Möglichkeit zur Stabilisierung eines instabilen Kreislaufs vertretbar sein, falls keine Möglichkeit zur für Patient und Personal sicheren, unterbrechungsfreien mechanischen CPR bzw. zum raschen Hubschraubertransport besteht.

  • Derartige mögliche Strukturdefizite in der präklinischen Notfallmedizin sollten behoben werden.

  • Es gilt das Motto: „It takes a system to save a life“.