Im Notfall ist der qualifizierte erste Kontakt eines Menschen mit dem Gesundheitssystem von enormer Bedeutung für den weiteren Behandlungsverlauf. Nach wenigen Sätzen muss die Tragweite der geschilderten Beschwerde erkannt und adäquate Maßnahmen müssen eingeleitet und die geeignete weitere Versorgung gebahnt werden. Ersteinschätzung ist eine notfallmedizinische Kernaufgabe!

Besonders anspruchsvoll ist die Aufgabe der Einschätzung einer Gesundheitsstörung am Telefon

Besonders anspruchsvoll ist diese Aufgabe der Einschätzung einer Gesundheitsstörung am Telefon, wo der visuelle Eindruck ebenso fehlt wie die Möglichkeit, wichtige Vitalparameter zu erheben. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, Informationen möglichst strukturiert zu erfragen und daraus standardisiert Schlüsse zu ziehen. In der telefonischen Ersteinschätzung der Rettungsleitstelle und der 116117 des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes hat sich in den letzten Jahren in Deutschland das Bemühen verstärkt, systematisch strukturierte Abfragesysteme zu etablieren, die dann in der Folge zu einer optimierten Patientensteuerung schon vor dem Krankenhaus führen können. Das neue Ersteinschätzungssystem SmED (strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) der kassenärztlichen Vereinigung, das dieses Ziel verfolgt, wird in diesem Heft von von Stillfried et al. vorgestellt. Dass politische und ökonomische Rahmenbedingungen eines Gesundheitssystems auch auf die Möglichkeiten und Grenzen einer Triage wirken, wird in dem Beitrag von von Stillfried ebenso deutlich wie in dem Artikel von Kumle et al., der den Wert der Telefontriage für die weitere Versorgung in den Notaufnahmen der Kliniken betrachtet.

Bislang ist relativ wenig bekannt darüber, wie sich die Hilfeersuchen, die über den Notruf 112 eingehen, zusammensetzen. Die bisherigen Klassifizierungsinstrumente der vom Rettungsdienst behandelten Patienten orientieren sich an rein medizinischen Variablen und Kriterien. Die bekannteste ist die NACA-Schätzskala. Damit lässt sich allerdings, insbesondere in den weniger dringlichen Fällen, keine verlässliche Einsatzmittelzuordnung vornehmen. Ein neues Klassifizierungsinstrument mit 7 Stufen (GVS‑1 bis GVS-7), das Lechleuthner et al. in seiner Arbeit vorstellen, wurde nun in Köln evaluiert. Lechleuthner et al. zeigen, wie mithilfe der neuartigen Klassifizierung Einsatzmittel optimaler zuzuordnen sind.

Für die Notfallversorgung am Krankenhaus ist von besonderer Bedeutung, wie die Interaktion des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes mit dem Krankenhaus in Zukunft gestaltet wird. Im optimalen Fall werden Patienten mit niedrigem Risiko, an einer schweren Krankheit zu leiden, in eine ambulante Versorgungsstruktur geleitet. Wie dies in anderen europäischen Ländern versucht und erreicht wird, schildert Rossbach-Wilk in ihrem Artikel. Diese Arbeit zeigt, dass die Trennung in einen kassenärztlichen Bereitschaftsdienst und einen stationären Behandlungssektor in der Notfallversorgung mit unterschiedlichen Vergütungssystematiken in Deutschland eine besondere Herausforderung in der Planung der Patientensteuerung bedeutet. Das Modell, dass jeder niedergelassene Arzt verpflichtet ist, an der Notfallversorgung teilzunehmen, ist eine Eigenheit des deutschen Systems. Andere europäische Länder übertragen die Notfallversorgung in den Kliniken spezialisierten Notfallmedizinern und im Niedrigrisikobereich den Allgemeinmedizinern.

Am Krankenhaus ist die medizinische Ersteinschätzung nicht erst seit dem GBA-Beschluss vom April 2018 zur gestuften Notfallversorgung in Deutschland aufgrund der nun geforderten gesetzlichen Ersteinschätzungsfrist von maximal 10 min in den Fokus gerückt, sondern ist bereits in den meisten Krankenhäusern zum Alltag geworden. Einen Überblick über den Status quo der Notaufnahmetriage, verbunden mit einem Ausblick, wird im Beitrag von Klinger gegeben.

Aktuell wird die Diskussion zur Triage oft durch die gesundheitspolitisch geplante Neustrukturierung der Notfallversorgung befeuert. Die Begriffe Triage, Ersteinschätzung, medizinische Klassifizierung, NACA, GVS‑7, SmED, ESI (Emergency Severity Index), MTS (Manchester Triage Scale) etc. sind in den Medien vertreten und werden oftmals eher politisch instrumentalisiert als medizinisch korrekt verwendet. Ziel dieses Sonderhefts ist es daher, unseren Lesern die Möglichkeit zu bieten, kompakt und umfassend unter Berücksichtigung der jeweiligen Perspektiven und wissenschaftlichen Evidenz Klarheit über die aktuellen Entwicklungen in der Ersteinschätzung und Patientensteuerung zu schaffen.

Wir danken allen Autoren für die sehr interessanten und zukunftsweisenden Beiträge und wünschen unseren Lesern Erkenntnisgewinn und viel Freude beim Lesen.

Ihre Herausgeber

figure a

C. Dodt

figure b

H. Dormann

figure c

A. Lechleuthner