Um die Frage nach dem Bewährten in der Wirbelsäulentraumatologie zu beantworten, ist es zunächst notwendig herauszuarbeiten, in welchen Bereichen derzeit ein Konsens besteht. Es muss hierbei jedoch zwischen Übereinkünften im Allgemeinen und solchen im Konkreten unterschieden werden. Eine solche Übereinkunft im Allgemeinen ist sicher die Forderung, dass instabile Wirbelfrakturen, die mit einem traumabedingten neurologischen Defizit einhergehen, einer operativen Behandlung zugeführt werden müssen. Ebenso besteht Einigkeit dahingehend, dass stabile Wirbelfrakturen ohne neurologisches Defizit konservativ behandelt werden. Hieraus ergibt sich zwangsläufig die Forderung nach einer eindeutigen Klassifikation, die für jeden Frakturtyp eindeutige Stabilitäts- bzw. Instabilitätskriterien definiert. Anforderungen, die eine Klassifikation erfüllen sollte, wurden bereits definiert [35]; eine umfassende Umsetzung hat bislang nicht stattgefunden.

Gängige Klassifikationen definieren Instabilitäten entsprechend dem ihnen zugrunde liegenden Prinzip. So wird bei den sog. Säulenmodellen als Instabilitätskriterium die Beteiligung von mindestens 2 Säulen gesehen [5, 40]. Der unfallbedingte Kyphosewinkel, der Grad der Zerstörung, der Unfallmechanismus und der neurologische Status haben in diesen Klassifikationen keine Bedeutung.

Morphologische Einteilungen [17, 26] hingegen berücksichtigen eine Vielzahl von Frakturmorphologien und ziehen hieraus Rückschlüsse auf den Unfallmechanismus. Aus beiden Kriterien wiederum ergibt sich die Einschätzung hinsichtlich der Stabilität einer Wirbelfraktur.

Weitere gängige Klassifikationsprinzipen sind die, bei denen aufgrund unterschiedlicher Kriterien ein Punktwert erreicht wird, der wiederum das weitere therapeutische Handeln, konservativ oder operativ, vorgibt [18, 35]. Zu den Kriterien gehören z. B. der neurologische Status, die Möglichkeit der ligamentotaktischen Reposition und die Verletzungsschwere des posterioren Bandkomplexes.

Es sind jedoch nicht nur die Klassifikationen uneinheitlich, auch hinsichtlich der konkreten Versorgung besteht kein Konsens. Abhängig von der Einschätzung der Instabilität einer Verletzung stehen dorsale, ventrale und kombiniert dorsoventrale Verfahren zur Verfügung. Darüber hinaus werden offene und minimalinvasive Stabilisierungen durchgeführt und Kombinationen mit Zementaugmentationen beschrieben.

Auf einem Gebiet, auf dem wenig Übereinkunft hinsichtlich der Standardversorgung besteht, ist es sicherlich nicht einfach, Neuerungen darzustellen. Doch haben sich in den vergangenen Jahren innovative Techniken bei der Versorgung von Wirbelsäulenverletzungen etabliert, die Erwähnung finden sollen.

Als eine Neuerung, die zwar vorrangig an der Halswirbelsäule genutzt wird, aber auch ihre Berechtigung an Brust- und Lendenwirbelsäule hat, sei die Navigation erwähnt. Diese Technik ermöglicht sichere Versorgungen in Grenzbereichen der Traumatologie.

Eine weitere Neuerung ist die Zugschraubenosteosynthese bei ventralen Spaltbrüchen als Alternative zum dorsoventralen Vorgehen. Bei geeigneter Größe des ventralen Fragmentes ist es möglich, eine Dislokation und Pseudarthrosenbildung suffizient zu verhindern.

Abschließend ist als Anhalt für ein funktionierendes Vorgehen bei Wirbelsäulenverletzungen das eigene Versorgungsschema beschrieben. Unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten handelt es sich um etablierte Therapieabläufe, die Neues und Bewährtes in der Wirbelsäulentraumatologie berücksichtigen.

Epidemiologie

Bis zu 80 % aller Wirbelsäulenverletzungen betreffen die Brust- oder Lendenwirbelsäule; 70 % hiervon sind auf Höhe des thorakolumbalen Überganges (TLÜ) lokalisiert [7]. Bis zu 20 % der Frakturen des TLÜ gehen mit einem neurologischen Defizit einher [15]. Betroffen sind vorwiegend Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Während in Deutschland von einem jährlichen Aufkommen von etwa 8000 schwerwiegenden Verletzungen von Brust- oder Lendenwirbelsäule ausgegangen wird, ist die Inzidenz international deutlich diskrepant. In der aktuellen Literatur werden beispielsweise für die Schweiz und die USA Quoten von 6 % Wirbelsäulenverletzter von allen verletzten Patienten in Notaufnahmen angegeben [13, 20]. Demgegenüber steht eine Quote von 23 % in einem kanadischen Kollektiv [23].

Ursachen für diese zum Teil erheblichen Diskrepanzen werden vorrangig in der lückenhaften Datenlage gesehen. Insbesondere wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine vollständige Dokumentation notwendig ist. So werden derzeit konservativ behandelte Frakturen oder solche, die als Begleitverletzungen auftreten, nicht oder nur eingeschränkt dokumentiert [4, 13, 23]. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass in neueren Untersuchungen die Rückenmarkverletzungen, nicht jedoch die Wirbelsäulenverletzungen, untersucht und epidemiologisch aufgearbeitet werden [23].

Als Unfallmechanismen sind Verkehrsunfälle, hier wiederum v. a. Motorradunfälle, sowie Stürze aus großer Höhe ursächlich. Als seltenere Ursachen von Wirbelverletzungen sind zunehmend auch Schuss- oder Stichverletzungen zu erwähnen.

Bewährtes

Ziele in der Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen

Die grundsätzlichen Ziele in der Behandlung von traumatischen Wirbelsäulenverletzungen sind seit vielen Jahrzenten die gleichen und werden weiterhin uneingeschränkt gefordert [13,14,15]. So sollen spinale und radikuläre Kompressionen beseitigt werden. Die Wiederherstellung der Wirbelsäulenstabilität soll unter Opferung möglichst weniger Bewegungssegmente erfolgen. Eine Wiederherstellung der Wirbelsäulenachsen und -form soll erreicht werden. Zusätzlich soll die Behandlung von Wirbelverletzungen eine schmerzarme Frühmobilisation, bestenfalls ohne Orthesen, ermöglichen und damit die Voraussetzungen für die frühestmögliche Einleitung einer Rehabilitation schaffen.

Von diesen Zielen als Grundlage ausgehend, lassen sich relativ allgemeine Behandlungsrichtlinien formulieren, bezüglich derer Konsens besteht. Es besteht Einigkeit, dass Wirbelfrakturen mit neurologischem Defizit und Bedrängung nervaler Strukturen operativ angegangen werden müssen. Ebenso ist man sich hinsichtlich der konservativen Behandlung stabiler Wirbelfrakturen ohne neurologisches Defizit einig. Der Umkehrschluss hingegen, also die Notwendigkeit der operativen Behandlung instabiler Frakturen, ist bislang nicht als abschließend geklärt anzusehen.

Dies ist z. B. auf unterschiedliche Klassifikationen zurückzuführen, weshalb dieser Komplex nun beleuchtet werden soll.

Klassifikationen

Anforderungen an eine Klassifikation von Wirbelfrakturen sind bereits formuliert. Es soll v. a. allgemein verständlich die Bruchform beschrieben werden. Ebenso soll sie eine hohe Reliabilität und Reproduzierbarkeit aufweisen. Sie soll Therapieempfehlungen vorgeben und, wenn möglich, das Outcome voraussagen können. Abschließend ist eine möglichst hohe Verbreitung gewünscht [22].

Derzeit sind weltweit im Wesentlichen 4 Klassifikationssysteme gängig [36]. Zunächst ist hier das klassische 3-Säulen-Modell nach Denis zu nennen (Abb. 1; [5]).

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung des 3‑Säulen-Modells nach Denis. SSL ligamentum supraspinale, PLL ligamentum longitudinale posterius, ALL ligamentum longitudinale anterius, AF anulus fibrosus ([5], mit freundl. Genehmigung Wolters Kluwer Health, Inc.)

Das Prinzip hierbei ist die Zuordnung jedes Wirbelsäulenabschnittes zu einer vertikal verlaufenden Säule. Das Instabilitätsmerkmal ist die Beteiligung der sog. mittleren Säule an einer Verletzung.

Ebenfalls gängig ist die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) in ihrer letzten Aktualisierung von 2013 [27], die auf der Klassifikation von Magerl [17] beruht. Diese geht zunächst von 3 unterschiedlichen Unfallmechanismen (Kompression [A], Distraktion [B] und Torsion [C]) aus. Innerhalb dieser Gruppen werden weitere Unterscheidungen abhängig von den verletzten Wirbelsäulenanteilen getroffen (A1–A4, B1, B2, C1–C3). Als eindeutig stabil wird lediglich die A1-Verletzung angesehen, die A2-Verletzung stellt eine Grauzone dar. Ab der Verletzungsschwere A3 wird die Fraktur als instabil angesehen.

Ebenfalls gängig ist die Load-sharing-Klassifikation nach McCormack (Tab. 1; [18]). Auch hier findet zunächst eine Dreiteilung statt. Es werden der Grad der knöchernen Zerstörung, das Ausmaß der Fragmentdislokation und das notwendige Repositionsmaß beurteilt. Hierdurch lässt sich ein Zahlenwert ermitteln, der die Notwendigkeit der operativen Stabilisierung wiedergibt.

Tab. 1 Klassifikation nach McCormack [18]

In die Gruppe der gängigen Klassifikationssysteme wird ebenfalls der Thoracolumbar Injury Classifications and Severity Score (TLICS; [35]) gezählt. Auch hier wird anhand unterschiedlicher Kriterien ein Zahlenwert ermittelt, der als Maß für die Instabilität herhält. Anders als bei den bisher genannten Systemen wird jedoch der neurologische Befund sowie explizit die Beteiligung des posterioren Bandapparates berücksichtigt (Tab. 2).

Tab. 2 Kriterien der TLICS(Thoracolumbar Injury Classifications and Severity Score)-Klassifikation [35]

Werden diese Klassifikationen von Wirbelsäulenverletzungen anhand der oben genannten Anforderungen überprüft, zeigen sich ausnahmslos Defizite in unterschiedlichen Bereichen. An Kritikpunkten wird im Einzelnen geäußert, dass die Klassifikation nach Denis und die der AO eine zu eingeschränkte Reliabilität aufweisen [22, 35]. Zusätzlich wird der AO-Klassifikation eine zu hohe Komplexität, insbesondere in den Untergruppen, für den alltäglichen Gebrauch vorgeworfen [21, 35]. Im Gegensatz dazu bietet die Denis-Klassifikation eine zu geringe Komplexität, die verhindert, dass alle Frakturformen eindeutig klassifiziert werden können. Darüber hinaus werden bei beiden Klassifikationen die fehlenden therapeutischen und prognostischen Anhaltspunkte kritisiert [22].

Der Load-sharing-Klassifikation wird ebenso wie dem TLICS eine geringe Reliabilität bei – verglichen mit den Klassifikationen nach Denis und AO – besserer Reproduzierbarkeit vorgehalten [22].

Auch die örtliche Verbreitung ist ein Kritikpunkt. So hat die AO-Klassifikation ihren Schwerpunkt in Europa, während der TLICS vorwiegend in Nordamerika Verwendung findet, was beiden Klassifikationen nachteilig angerechnet wird [7, 10, 37].

Ein Versuch, die genannten Kritikpunkte an der AO-Klassifikation zu beheben, ist inzwischen durch die AOSpine-Classification Group unternommen worden [26]. Unter der Bezeichnung Thoraco-Lumbar AOSpine Injury-Score (TL AOSIS) wurde eine Vereinfachung der Untergruppen vorgestellt. Zusätzlich werden nun auch neurologische Defizite und sog. „patientenspezifische Modifikatoren“ in die Klassifikation aufgenommen.

Wie eingangs erwähnt, sollte sich dem Bewährten genähert werden, indem übereinstimmende Auffassungen herausgearbeitet werden. Es muss daher konstatiert werden, dass bezüglich der gängigen Klassifikationen kein Konsens besteht und damit keine Klassifikation als eindeutig bewährt angesehen werden kann.

Operative Versorgung

Wie bereits erwähnt, besteht Einigkeit in der Forderung, dass instabile Wirbelfrakturen mit neurologischen Defizit operativ versorgt werden müssen [14, 15]. Ebenso ist inzwischen die Versorgung mit einem winkelstabilen Implantat unstrittiger Standard [24]. Unterschiedliche Auffassungen bestehen hingegen bezüglich der Art der Versorgung. Es werden für verschiedene Frakturformen dorsale, ventrale sowie kombiniert dorsoventrale Vorgehensweisen vorgeschlagen.

Im Weiteren soll nun der Versuch unternommen werden, bestehenden Konsens bezüglich der operativen Versorgung von Wirbelfrakturen darzustellen. Als Grundlage dient der TL AOSIS.

Frakturen der Gruppen A0 und A1 werden nach wie vor als stabil angesehen und damit konservativ behandelt [4, 25]. Hinsichtlich der Therapie der A2- und A3-Frakturen, die nach dem TL AOSIS konservativ zu behandeln sind, besteht dagegen keine Einigkeit [4, 7, 11, 25, 35, 39]. Vor allem bei A2-Frakturen werden nach konservativer Behandlung immer wieder symptomatische Pseudarthrosen beschrieben [1, 3]. Ähnlich uneinheitlich ist die Literaturlage bezüglich der B‑ und C‑Frakturen; auch hier sind operative wie konservative Vorgehensweisen beschrieben [4, 7, 11, 24, 35, 38, 39].

Neben der Indikationsstellung wird auch die Art der Versorgung kontrovers gesehen. Es bestehen nur wenige Vorschläge, wann ein rein dorsales, ein rein ventrales oder ein dorsoventral kombiniertes Vorgehen indiziert ist [36, 41, 42].

Übereinstimmend wird die bisegmentale dorsale Spondylodese als akute primäre Versorgung bei Wirbelfrakturen angesehen. Auch A3-, A4-, B1- und B2-Verletzungen können rein dorsal behandelt werden, wenn keine schwere Verletzung der vorderen Säule vorliegt [7]. Eine eindeutige Definition, was eine schwere Verletzung der vorderen Säule ausmacht, steht noch aus.

Mithilfe einer langstreckigen dorsalen Spondylodese jedoch sei eine stabile Versorgung aller instabilen Frakturen inklusive C‑Verletzungen möglich [34].

Das rein ventrale Vorgehen wird für keine Verletzung als einzige indizierte Maßnahme angesehen. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme, die bei Sonderindikationen wie den Verletzungen mit neurologischem Defizit durch anteriore Fragmente sowie bei Kneifzangenfrakturen oder inkompletten Berstungsbrüchen vorgenommen werden kann [7, 31].

Ebenso uneindeutig ist die Indikation zum dorsoventralen Vorgehen. Hier wird neben inkompletten Berstungsbrüchen die persistierende Instabilität nach dorsaler Instrumentierung genannt [31, 32].

Die tatsächlichen Gegebenheiten in Deutschland wurden bereits 2009 durch die MultiCenterStudie II der AG Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) erfasst [24]. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass die Art der operativen Versorgung von der Verletzungshöhe abhängig zu sein scheint. Bei Verletzungen der Brustwirbelsäule (BWS) dominieren mit 65 % die dorsalen Stabilisierungen vor den kombiniert dorsoventralen mit 32 %. Ähnlich ist die Verteilung auf Höhe der Lendenwirbelsäule (LWS), wo in 57 % der Fälle rein dorsal vorgegangen wurde, im Vergleich zu 41 % kombiniert. Die Verteilung auf Höhe des thorakolumbalen Überganges war mit jeweils 47 % dorsal und kombiniert paritätisch besetzt. Das rein ventrale Vorgehen hatte auf keiner der genannten Höhe eine Relevanz und kam in maximal 6 % der Fälle vor.

Zusammenfassend lässt sich damit konstatieren, dass sowohl die Indikation zur Stabilisierung und die Art der Versorgung als auch der Zugangsweg nur für wenige Bruchformen an der Wirbelsäule als übereinstimmend geklärt anzusehen sind. Im Einzelnen können nur die konservative Behandlung von A0- und A1-Frakturen sowie das notfallmäßige, primär dorsale Vorgehen als allgemein anerkannt eingestuft werden.

Neues

Die sicherlich bedeutendste Neuerung auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie der letzten 15 Jahre war die Einführung der intraoperativen Navigation (IN). Anders als bei der Stabilisierung von Frakturen an Extremitätenknochen ist die exakte Lage der Pedikelschrauben von entscheidender Bedeutung, da eine Schraubenfehllage zu erheblichen unfallunabhängigen neurologischen Ausfällen führen kann.

Neben der erhöhten Genauigkeit der Schraubenpositionierung ist die Reduzierung von Röntgenstrahlen ein Aspekt, der durch die Nutzung von Navigationssystemen herbeigeführt werden soll [12].

Das Prinzip der Navigation ist es, intraoperativ gewonnene Daten, z. B. Instrumente oder Materiallage, in Echtzeit in einen präoperativ gewonnenen Datensatz einzufügen. Auf diese Weise ist eine Visualisierung der idealen und der tatsächlichen Materiallage möglich.

Die Basis für eine IN ist ein Bilddatensatz der zu navigierenden Region. Es kommen hierzu CT-, 2‑D- und 3‑D-Röntgendatensätze infrage [12]. Der Vorteil der CT-Datensätze ist die detailliertere Darstellung der betroffenen Wirbelsäulenregion. Nachteilig hingegen ist, dass dieser Datensatz präoperativ mit der Gefahr der zwischenzeitlichen Dislokation erstellt wird, die die Genauigkeit der Navigation einschränken kann. Dieser Nachteil kann durch eine intraoperative CT reduziert werden, wird jedoch durch erhebliche Hardware-Kosten und eine zusätzliche Strahlenbelastung erkauft.

Geringere Strahlenbelastung bringt die intraoperative 2‑D-Bildgebung mit sich. Hier ist allerdings auf die zuweilen eingeschränkte Bildqualität durch patientenspezifische Parameter hinzuweisen.

Die dritte Möglichkeit, eine Grundlage für die IN zu schaffen, besteht in einem ebenfalls intraoperativ gewonnenen 3‑D-Datensatz, der eine bessere Bildqualität als die 2‑D-Darstellung liefert, jedoch, wie auch die intraoperative CT, eine erhöhte Strahlenbelastung mit sich bringt.

Für die Navigation selbst wird in der Technik mit CT-Grundlage am zu navigierenden Wirbel ein Infrarotmarker (IM) montiert. Mithilfe einer entsprechenden Kamera wird dessen Lage im Raum auf den CT-Datensatz übertragen. Anschließend wird – ebenfalls mit einem mit IM versehenen sog. Pointer – die Lage des Wirbels im Raum übertragen. Alle nun bei der Navigation eingesetzten Instrumente sind durch IM zu identifizieren und ermöglichen so das regelrechte Einbringen von Pedikelschrauben entlang von visualisierten Trajektorien, die in den initialen Datensatz projiziert werden.

Inzwischen hat die Navigation ihren festen Platz in der Versorgung von Halswirbelsäulenverletzungen, wird jedoch auch weiterhin bei Verletzungen von Brust- und Lendenwirbelsäule verwendet.

Bemerkenswert hinsichtlich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Neuerung ist sicherlich die geringe Anzahl an Veröffentlichungen zum Thema. Mit den Stichworten „navigation“ und „spine“ ergibt sich bei einer PubMed-Recherche eine Trefferanzahl von nur 933 seit 1991.

Die Erwartung, dass es zu geringeren Raten von Schraubenfehllagen kommt, scheint erfüllt [6, 9]. Ebenso ist trotz anders lautender Untersuchungsergebnisse [33] von einer Reduktion der intraoperativen Röntgenstrahlung auszugehen [2, 19].

Eine weitere Neuerung betrifft die Anwendung eines alten unfallchirurgischen Prinzips an der Wirbelsäule: die Zugschraubenosteosynthese bei Wirbelkörperkneifzangenfrakturen.

Zur Therapie dieser Frakturen, A2 nach AO, wurden bereits vielfach Vorschläge veröffentlicht. Die Ansätze reichen vom konservativen Vorgehen, über Vertebroplastien bis hin zum dorsoventralen Vorgehen mit Wirbelkörperersatz [3, 8, 16, 28,29,30]. Nachteile der genannten Empfehlungen sind ebenfalls umfangreich beschrieben. So gehen konservative Behandlungen mit einer erhöhten Pseudarthrosegefahr einher [8]. Während Vertebroplastien mit der Gefahr des unkontrollierten Zementaustrittes in die angrenzenden Bandscheibenfächer einhergehen, adressieren reine dorsale Spondylodesen nicht die eigentliche Pathologie. Das letztgenannte dorsoventrale Vorgehen behebt sicherlich eine bestehende Instabilität. Hier besteht jedoch eine deutlich erhöhte Zugangsmorbidität. Zusätzlich ist das lebenslange Verbleiben von Fremdmaterial bei dieser Versorgung nicht zu vermeiden.

Ein alternativer Ansatz kann hier die Kombination der dorsalen Spondylodese mit einer Zugschraubenosteosynthese sein.

Hierzu führten wir biomechanische Untersuchungen an 18 humanen Präparaten des thorakolumbalen Überganges (TLÜ) durch. Alle Präparate wurden 3 Belastungszyklen als natives, als frakturiertes und als verschraubtes Präparat sowie einem abschließenden Dauerversuch ausgesetzt. Zur Kontrolle morphologischer Veränderungen wurden zu definiten Zeitpunkten innerhalb des Untersuchungsablaufes Computertomographien vorgenommen. Es konnte gezeigt werden, dass ohne Versorgung bereits frühzeitig eine Dislokation des ventralen Fragmentes eintritt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Unverschraubtes Präparat des thorakolumbalen Überganges nach Abschluss der dynamischen Tests, vor dem Dauerversuch mit deutlich einsehbarem Frakturspalt

Darüber hinaus konnte dargestellt werden, dass diese Fragmentdislokation durch Einbringen einer Zugschraube verhindert werden konnte (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Verschraubtes Präparat nach Abschluss der dynamischen Tests sowie des Dauerversuchs; ein Frakturspalt ist nicht mehr erkennbar

Auch erste klinische Einsätze zeigen sehr ermutigende Ergebnisse. So konnte bei einem Patienten mit entsprechender Frakturmorphologie das Zugschraubenprinzip erfolgreich umgesetzt werden (Abb. 45 und 6).

Abb. 4
figure 4

Unfall-CT mit erkennbarer A2-Fraktur

Abb. 5
figure 5

Postoperative Röntgenkontrolle: Stabilisierung mittels Druckplattenfixateur und Zugschraube

Abb. 6
figure 6

Röntgenkontrolle nach Materialentfernung mit erhaltenem Alignment, erhaltener Wirbelkörperhöhe, ohne verbliebenes Fremdmaterial

Die bisherigen klinischen Verläufe zeigten ausnahmslos verheilte Frakturen. Alle Patienten konnten in die Berufstätigkeit zurückkehren und sind uneingeschränkt sportfähig bzw. in der Lage, ihren gewohnten Freizeitaktivitäten nachzukommen.

Konzeptvorschlag zur Therapie von Wirbelfrakturen

Das eigene Konzept fußt auf der Einteilung nach Wolter [40], ein Säulenmodell, das von 4 vertikalen Säulen ausgeht. Hiernach werden im täglichen Ablauf Indikationen gestellt.

Die Standardversorgung besteht in der dorsalen Spondylodese mittels Stabsystem, minimalinvasiv implantiert. Besteht die Notwendigkeit einer offenen Stabilisierung, wird auf ein winkelstabiles Plattensystem (Druckplattenfixateur) zurückgegriffen, da unserer Ansicht nach im Vergleich zum Stabsystem überlegene biomechanische Eigenschaften bestehen. Bei initialer Querschnittlähmung (QSL) erfolgt bereits primär die langstreckige dorsale Stabilisierung unter der Vorstellung, dass auf diesem Weg auch bei Patienten mit QSL eine frühzeitige Mobilisation im Langsitz möglich ist.

Die dorsoventrale Stabilisierung wird nach unserem Konzept im Verlauf bei Alignmentverlust bzw. symptomatischer Keilwirbelbildung vorgenommen.

Fazit für die Praxis

  • Die bisher aufgeführten Aspekte zeigen das derzeitige Dilemma in der Wirbelsäulenchirurgie: Es fehlt an Übereinstimmung in den meisten Bereichen der Behandlung von Wirbelverletzungen, angefangen bei einer einheitlichen Klassifikation bis hin zu einheitlichen Richtlinien für die Traumaversorgung.

  • Regelmäßiges Überarbeiten und Prüfungen z. B. bestehender Klassifikationen, wie von der AOSpine vorgenommen, sind Maßnahmen zur Annäherung an eine allgemein anerkannte Klassifikation.

  • Ebenso sind weitere randomisierte Untersuchungen zur Festlegung allgemein anerkannter Therapieschemata notwendig.

  • Hier sind die entsprechenden Fachgruppen wie auch Kliniker gefordert, Unklarheiten zu beseitigen und zunehmenden Konsens zu finden.