Seit Beginn der winkelstabilen palmaren Plattenosteosynthesen von distalen Radiusfrakturen vor knapp 20 Jahren ist das Problem der sekundären Sehnenrupturen, insbesondere der langen Daumenstrecksehne (Extensor pollicis longus [EPL]) und der langen Daumenbeugesehne (Flexor pollicis longus [FPL]), ins allgemeine Bewusstsein gerückt [2].

Rupturen der langen Daumenstrecksehne nach distaler Radiusfraktur

Die erste Generation winkelstabiler palmarer Radiusplatten wurde mit Schrauben besetzt, deren scharfkantige Spitzen bei Überstand über die dorsale Kortikalis immer wieder zu Sehnenrupturen führten. Diese treten einige Wochen bis wenige Monate nach Osteosynthese auf und äußern sich in einer plötzlichen Streckunfähigkeit des Daumens im Endgelenk und Unfähigkeit, den Daumenstrahl über die Handebene hinaus anzuheben (Abb. 1). Der Schraubenüberstand ist insbesondere dann tückisch, wenn die Schraube ins 3. Strecksehnenfach (mit der EPL-Sehne) vorragt, in der seitlichen Röntgenprojektion wegen des daneben vorspringenden Tuberculum Listeri aber nicht zur Darstellung kommt. Intraoperativ kann der Schraubenüberstand durch die Skyline-view-Röntgenprojektion, also eine tangentiale Darstellung des knöchernen Kanals neben dem Tuberculum Listeri, mit einem normalen 2‑D-Bildwandler dargestellt werden [7]. Auch eine Röntgendurchleuchtung unter langsamer abwechselnder Pro- und Supination gibt einen guten dreidimensionalen Eindruck der Lage der Schraubenspitzen (wie auch der Reposition der Fragmente) [2]. Wenn vorhanden, sollte bei 3‑D-Scans auf ein evtl. Vorragen einer Schraubenspitze ins 3. Strecksehnenfach geachtet werden.

Abb. 1
figure 1

Präoperativer Befund (linker Daumen) und postoperativer Befund (rechter Daumen) einer Ruptur der langen Daumenstrecksehne (Extensor-pollicis-longus [EPL]-Ruptur): 6 Wochen nach beidseitiger distaler Radiusfraktur und palmarer Plattenosteosynthese war die EPL-Sehne rechts gerissen und wurde durch Sehnentransfer (hier Extensor digiti minimi [EDM]) operativ versorgt. Die aktuellen Funktionsaufnahmen zeigen die freie postoperative Funktion des operierten rechten Daumens für ab Daumenstreckung, c -beugung und d Elevation über die Handebene hinaus 17 Monate nach Unfall. Aktuell ist die linke EPL-Sehne gerissen, hier zeigt der linke Daumen das Funktionsdefizit einer noch unversorgten EPL-Ruptur

Auch stumpfe Schraubenspitzen und selbst eine konservative Therapie der Radiusfraktur können mit einer Ruptur der EPL-Sehne einhergehen. Als Ursache wird die Druckerhöhung im eingeengten 3. Strecksehnenfach vermutet, die offenbar innerhalb weniger Wochen zur Arrosion und Ruptur der EPL-Sehne führt [4]. Bei konservativer Therapie sind es v. a. die unverschobenen Frakturen, die eine EPL-Sehnenruptur nach sich ziehen können [8].

Therapie der EPL-Sehnenruptur nach distaler Radiusfraktur

Am besten ist die rechtzeitige Dekompression des Sehnenfachs, noch bevor es zur Ruptur gekommen ist. Sollte in einer postoperativen Röntgenaufnahme oder Computertomographie (CT) ein Schraubenüberstand ulnar des Tuberculum Listeri zur Darstellung kommen, sollte diese Schraube umgehend ausgetauscht werden. Auch Knochenfragmente, die ins 3. Strecksehnenfach hineinragen, sollten entfernt bzw. das Sehnenfach sollte dekomprimiert werden. Manche Patienten berichten kurz vor der Sehnenruptur über Schmerzen oder ein Gefühl der Krepitation, was unbedingt ernst genommen und mit der sofortigen operativen Dekompression des 3. Sehnenfachs und Subkutanverlagerung der EPL-Sehne behandelt werden sollte.

Wenn es zur Ruptur gekommen ist, also der Daumen plötzlich nicht mehr richtig gestreckt und nicht über die Handrückenebene angehoben werden kann, dann ist eine direkte Naht der arrodierten und letztlich gerissenen Sehne niemals möglich.

Als Verfahren der EPL-Sehnenrekonstruktion hat sich am zuverlässigsten der Sehnentransfer der Extensor-indicis-Sehne vom Zeigefingergrundgelenk auf den distalen Stumpf der EPL-Sehne (der sog. Indicis-Transfer) bewährt ([1]; Abb. 2). Hierzu wird über eine erste Hautinzision über dem 1. Mittelhandknochen die gerissene EPL-Sehne dargestellt und der distale Stumpf vom Handgelenk nach distal in das Operationsgebiet gezogen.

Über eine zweite Inzision über dem Handgelenk wird die Indicis-Sehne in der distalen Hälfte des 4. Strecksehnenfachs dargestellt, die unter den Extensor-digitorum-Sehnen schräg von der Ulna zum Zeigefinger zieht; diese wird jetzt angeschlungen. Der Extensor-indicis-Muskel ragt ins 4. Strecksehnenfach hinein, was ebenfalls der Identifikation der Sehne unter den übrigen Fingerstrecksehnen dient.

Über eine dritte Hautinzision über dem 2. Metakarpalkopf werden die beiden langen Strecksehnen des Zeigefingers dargestellt, von denen es sich bei der ulnaren Sehne um die Extensor-indicis-Sehne handelt. Diese wird hier ein zweites Mal angeschlungen: Durch abwechselnden Zug an den beiden Schlingen kann jetzt die Sehne eindeutig verifiziert werden (falls nicht absolut eindeutig, sollte die Anatomie überprüft werden). Die (ulnare Indicis‑)Sehne wird jetzt distal abgesetzt, zum Handgelenk zurückgezogen und weiterhin unter den Fingerstrecksehnen über die radialen Handgelenkstrecksehnen unter den Ästen des N. radialis in die erste Inzision hindurchgezogen, Wundverschluss der 2. und 3. Hautinzision. Jetzt wird über dem Metakarpale 1 die Indicis-Sehne in den distalen Stumpf der EPL-Sehne einmal eingeflochten und mit U‑Naht fixiert.

Die Sehnenvorspannung ist für den späteren Erfolg entscheidend: Sie sollte geringfügig höher als normal sein, damit die Muskelfasern des umgelagerten Muskels bei Daumenbeugung ihre Elongation dem Gehirn melden können. Dies wird im Tenodese-Test überprüft: Handgelenkbeugung führt zur passiven Daumenstreckung, -streckung zur -beugung. Aber die Sehnenspannung darf nicht zu stark ausfallen, was geprüft wird, indem der Daumen zum Kleinfingergrundglied gebeugt wird, das er noch gut erreichen muss. Die U‑Naht wird bis zur Perfektionierung der Vorspannung ggf. mehrmals genäht. Erst dann wird die Sehnennaht komplettiert, entweder nach Pulvertaft mit 3 weiteren Durchflechtungen oder nach Fridén mit beidseits fortlaufenden Nähten [5]. Die Nachbehandlung erfolgt entweder statisch (4-wöchige Ruhigstellung unter lockerer Handgelenk- und Daumenextension) oder dynamisch mit einem verkürzten Strecksehnenschema.

Abb. 2
figure 2

Operative Versorgung einer Extensor-pollicis-longus (EPL)-Ruptur des linken Daumens. a Darstellung des distalen Sehnenstumpfes, b Abtrennung der Extensor-indicis-Sehne in Höhe des Metakarpale-2-Kopfes und Umlagerung zum distalen EPL-Stumpf, c Beginn der Durchflechtungsnaht. Nach der ersten, mit U‑Naht gesicherten Durchflechtung wird die Vorspannung kontrolliert und ggf. mehrfach korrigiert

Wenn die Indicis-Sehne ebenfalls gerissen ist, kann alternativ die Extensor-digiti-minimi-Sehne umgelagert werden, oder es wird die Palmaris-longus-Sehne als freies Transplantat in die gerissene EPL-Sehne eingesetzt [9]. Bei der Entnahme der Palmaris-longus-Sehne sollte die Hautinzision nicht zu kurz erfolgen, sodass die Sehne vor Durchtrennung eindeutig identifiziert werden kann und niemals der N. medianus verletzt wird.

Keine Alternative ist bei Rupturen der EPL-Sehne die Arthrodese des Daumenendgelenks, da die EPL-Sehne neben der Daumenstreckung auch die Rückführung des Daumenstrahls aus der palmaren Abduktion bzw. die Anhebung des Daumenstrahls über die Handebene hinaus zur Aufgabe hat [2].

Ruptur der langen Daumenbeugesehne nach distaler Radiusfraktur

Im Gegensatz zur Strecksehne werden Rupturen der FPL-Sehne nach distaler Radiusfraktur ausschließlich nach palmarer Plattenosteosynthese beobachtet [3]. Die Zeitintervalle sind wesentlich länger und betragen oft mehrere Jahre, gelegentlich sogar 10 bis 15 Jahre nach Osteosynthese. Die Patienten können plötzlich ihr Daumenendgelenk nicht mehr beugen, sodass der Widerhalt beim Daumengriff fehlt. Die Beugung des Daumengrundgelenks durch den intakten Thenarmuskel M. flexor pollicis brevis bleibt dagegen ungestört.

Als ursächlich für die FPL-Sehnenruptur wird die Arrosion der Sehne an der Platte im Eingang in den Karpalkanal angesehen, die verstärkt dann auftritt, wenn die Platte in der seitlichen Röntgenprojektion distal den Radius überragt, was v. a. dann der Fall ist, wenn sie nicht proximal der Watershed-Linie angelegt werden konnte ([6]; Abb. 3). Das Ausmaß des Plattenüberstands wurde von Soong [11] klassifiziert (0 – kein Überstand, 1 – palmarer Überstand, 2 – palmarer und distaler Plattenüberstand). Vonseiten der Industrie werden derzeit Platten entwickelt, die eine Rinne für die FPL-Sehne aufweisen. Aber auch eine persistierende dorsale Abkippung des distalen Radius verstärkt die arrodierende Krafteinwirkung auf die FPL-Sehne.

Abb. 3
figure 3

Seitliches Röntgenbild einer palmaren Radiusplatte, die die Radiuskante nach palmar überragt (Soong 1 [11]). Diese Plattenlage bedeutet ein erhöhtes Risiko für eine Ruptur der langen Daumenbeugesehne (Flexor-pollicis-longus [FPL]-Ruptur) nach Jahren bis Jahrzehnten

Therapie der Flexor-pollicis-longus-Sehnenrupturen nach distaler Radiusfraktur

Palmare distale Radiusplatten, die den Knochen nach palmar hin überragen, sollten generell entfernt werden, v. a. immer dann, wenn der Patient dies wünscht, und dringlich, wenn Beschwerden bei der Daumenbeugung (Schmerzen oder Krepitation) berichtet werden [12].

Wenn es zur FPL-Sehnenruptur gekommen ist, ist genau wie auf der Streckseite eine direkte Sehnennaht niemals möglich. Entweder kann die FPL-Sehne rekonstruiert werden, oder aber es wird der Widerhalt des Daumens durch Endgelenkarthrodese oder -tenodese wieder hergestellt, sofern die Thenarmuskulatur eine gute Flexion im Daumengrundgelenk zeigt.

Die Sehnenrekonstruktion ist mit freiem Interponat der Palmaris-longus-Sehne möglich oder durch Umlagerung der Flexor-digitorum-superficialis-Sehne des Ringfingers (FDS4) zum Daumenendgelenk [10]. Letzteres Verfahren geht oft nicht primär, da der Sehnenkanal im Thenarbereich häufig vernarbt und eingeengt ist; die deutlich dünnere Palmaris-longus-Sehne ist hier etwas weniger problematisch (Abb. 4). Eine zweizeitige Sehnenrekonstruktion (Einlage eines Silikonstabs zur Induktion eines Sehnengleitlagers; 3 Monate später Sehnentransfer) ist wegen der ca. 7-monatigen Behandlungsdauer eher Ausnahmefällen vorbehalten. Somit sollte auch bei geplanter Sehnenrekonstruktion immer die Rückzugsmöglichkeit der Daumenendgelenktenodese mit dem Patienten vereinbart werden. Wenn eine Sehnenrekonstruktion möglich war, so erfolgt die Nachbehandlung über 3 Monate nach den üblichen dynamischen Regimes der Beugesehnenchirurgie.

Abb. 4
figure 4

Flexor-pollicis-longus (FPL)-Sehnenruptur 5 Jahre nach palmarer Plattenosteosynthese einer distalen Radiusfraktur, die Platte wurde gerade entfernt. a Die direkte Naht einer geschlossen gerissenen Daumensehne ist niemals möglich. b Die Palmaris-longus-Sehne wird zur freien Transplantation als Sehneninterponat vorbereitet. c Eingeflochtenes Interponat in situ

Fazit für die Praxis

  • EPL-Ruptur:

    • Das Zeitintervall der EPL-Ruptur nach distaler Radiusfraktur beträgt Wochen bis Monate.

    • Ursachen sind dorsal überstehende Schrauben und sonstige Einengung des 3. Strecksehnenfachs, auch unter konservativer Therapie.

    • Die Therapie besteht in Indicis-Transfer und Palmaris-longus-Sehneninterponat. Bei beiden Verfahren ist auf die korrekte, leicht (!) überkorrigierte Vorspannung zu achten.

    • Keine Option sind die direkte Sehnennaht und die Daumenendgelenkarthrodese.

  • FPL-Ruptur:

    • Das Zeitintervall der FPL-Ruptur nach distaler Radiusfraktur beträgt Jahre bis über 1 Jahrzehnt.

    • Ursache ist die palmare Osteosyntheseplatte.

    • Die Prophylaxe besteht in der Metallentfernung jeder distalen palmaren Radiusplatte.

    • Die Therapie besteht im Palmaris-longus-Sehneninterponat oder im FDS4-Sehnentransfer; oft nur zweizeitig möglich mit Silikonstab in erster Operation, Sehnentransfer nach 3 Monaten (gesamte Behandlungsdauer ca. 7 Monate).

    • Gute Alternativen sind die Daumenendgelenkarthrodese oder -tenodese.

    • Keine Option ist die direkte Sehnennaht.