Das im Juli 2020 beschlossene Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) hat die Diskussion um die Betreuungsqualität von ambulant palliativmedizinischen Intensivpatienten neu entfacht: Wann ist die Indikation zur Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen bei hirngeschädigten Patienten gegeben? Um die Lebensqualität der Patienten zu gewährleisten, müssen wir uns aktiv in die Betreuung von außerklinisch behandelten Intensivpatienten einbringen.

Warum beschäftigt uns Palliativmediziner das eine um das andere Mal die Indikation zur Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen über den Klinikaufenthalt hinaus? Die hier am stärksten wachsende Patientengruppe sind die hochbetagten, multimorbiden Patienten mit einem Versagen bei der Atmungsentwöhnung (Weaning), zumeist zerebral vorgeschädigt bis hin zu tiefsten dauerhaften (Wach-)Komaformen. Diese Patienten werden durch Intensivpflegedienste in der Intensivpflege-Wohngemeinschaft (WG) oder auch zuhause betreut.

Mit der Etablierung ambulanter palliativmedizinischer Strukturen hatte sich für viele von uns die Frage gestellt, ob nun genau dieser Patientenkreis zu den Palliativpatienten gehört. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die regelmäßige und aufmerksame ärztliche Betreuung durch ambulant tätige Palliativmediziner von den vor Ort tätigen Intensivpflegediensten zunächst stark begrüßt wurde. Denn es bestand offenkundig Optimierungsbedarf in der ärztlichen Begleitung, wenn man überhaupt davon sprechen konnte. Allerdings lernten wir bald, dass das Hinterfragen einer fortbestehenden Indikation zur Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen auf Widerstand der Beteiligten stieß.

Die Diskussion um die Betreuungsqualität neu entfacht hat das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG). Es wurde nach einer Reihe von Änderungen im Juli 2020 beschlossen, und dessen Durchführungsbestimmungen, die durch den gemeinsamen Bundesausschuss zu treffen sind, werden im Sommer 2021 erwartet.

Fehlanreize unterbinden

Das IPReG soll Missstände beseitigen. Denn über Jahre ist der Pflegebedarf außerklinisch betreuter Patienten bewusst aufgebauscht worden: So gab es 2003 vor der Ära der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) circa 500 heimambulant intensivversorgte Patienten, aktuellen Schätzungen zufolge geht man jetzt von über 40.000 aus.

Naheliegend ursächlich wirken Fehlanreize, wie sich aktuell gut nachvollziehen lässt: Laut AOK liegen die Erlöse eines stationär behandelten COVID-19-Patienten ohne Beatmung im Schnitt bei circa 5.000 €, mit Beatmung jedoch bei 38.500 € [1]. Längere Beatmungen werden nach Ablauf bestimmter Stunden nur noch abgestaffelt bezahlt. Damit besteht ein hoher Anreiz, eine Beatmung bis zum Ablauf einer erlösrelevanten Beatmungszeit fortzusetzen. Dem hohen geldlichen Anreiz für eine folgende Dauerversorgung stehen dann ein fehlendes Konzept der Beatmungsentwöhnung sowie eine fehlende ärztliche Therapieführung gegenüber.

Fachärztliche Indikationsprüfung

Diesen Missständen entgegenzuwirken, lag in der Absicht des Bundesgesundheitsministers. Es sollten verbindliche Qualitätskriterien für die außerklinische Pflege, strenge Kontrollen und eine frühzeitige Prüfung von Entwöhnungspotenzial definiert werden. Dies hat zu einem ziemlichen Aufschrei in der Branche geführt, soll doch nun erstmals die Indikation verpflichtend fachärztlich geprüft werden. Die Notwendigkeit einer solchen eigentlich selbstverständlichen Regelung spiegelt sich in der Versorgungsrealität wider: Nur bei 4 % der beatmeten Intensivpatienten fand eine Willensermittlung mithin die Bestimmung eines Therapieziels statt - es müssten 100 % sein [2].

Die Kritik richtete sich zunächst gegen handwerkliche Fehler des Gesetzes, wie eine Heimunterbringung gegenüber einer Eins-zu-Eins-Betreuung in der Häuslichkeit zu priorisieren. Nachdem diese Fehler beseitigt wurden, fokussiert sich nun die Kritik auf die mangelnde Qualifikation des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, Qualitätskriterien zu überprüfen und ob dies nicht eine Benachteiligung des betroffenen Patienten ermöglichen könnte. Beschrieben wird dies im Deutschen Ärzteblatt [3].

Ohne Frage - die Weichen in der langfristigen Versorgung von intensiv zu behandelnden Patienten sind hinsichtlich der Beatmung sicher in den ersten Wochen und Monaten gestellt. Hier soll das Weaningpotenzial ausgeschöpft werden, die Verlegung von Patienten in geeignete Rehabilitationszentren gestärkt werden, und gegebenenfalls sollten auch nach längerer Beatmungsbehandlung Weaningversuche nicht generell als unwirksam gelten [4].

Tausende Patienten befinden sich im "Schwebezustand"

All diese durchaus positiven Diskussionen und gesetzlichen Regeln ändern nichts an der Tatsache, dass sich tausende von Patienten in einem "Schwebezustand" befinden: Sie sind nachweislich nicht in der Lage, ihren Willen zu kommunizieren, und sind aufgrund schwerster kognitiver Funktionsstörungen auf intensivmedizinische Behandlungen angewiesen, wobei sich nicht selten der Zustand über Jahre nicht verbessert. Und genau vor solchen Situationen fürchten sich ältere Menschen. 91 % von ihnen würden einen Eingriff mit dem Risiko für geistige Behinderungen ablehnen. "Lieber tot, als schwerbehindert dahin zu vegetieren", sagen sinngemäß die meisten [5].

Egal, wie man den Zustand bezeichnet - Wachkoma, Zustand reaktionsloser Wachheit oder Ähnliches -, Lebensqualität bei diesen Patienten zu entdecken, ist schwierig. Es wird nur anekdotisch wenige Menschen geben, die einer Lebensverlängerung in einem solchen Endzustand zustimmen würden.

Ist ein Therapieziel im Sinne des Patienten zu erreichen?

Es gibt anhaltend Hoffnung, Betreuern, vielleicht auch Betreuungsrichtern, Argumente für oder gegen eine Fortsetzung der intensivmedizinischen Maßnahmen gemäß ethischen Prinzipien von "nicht schaden bzw. nutzen" vor Augen zu halten. Der Schlüssel liegt in der Indikationsprüfung - ist ein Therapieziel im Sinne des Patienten zu erreichen? In einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt, formulieren Erik Bodendieck und Kollegen [6]: "Die Aufrechterhaltung des Lebens in einem Zustand der dauerhaften Bewusstlosigkeit kann durchaus ein Behandlungsziel darstellen. Eine anhaltende Bewusstseinsbeeinträchtigung rechtfertigt daher für sich genommen nicht den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen. […] Die Lebenserhaltung als Ziel der Behandlung und dementsprechend die Indikation zum Einsatz oder zur Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen sind aus medizinischer Sicht dann nicht mehr gegeben, wenn entweder die Sterbephase bereits begonnen hat, die Maßnahmen sich als wirkungslos erwiesen haben oder belastende Nebenwirkungen verursachen, die mit Blick auf den zu erwartenden geringen Nutzen für den Patienten nicht mehr verhältnismäßig sind".

An diesem Punkt müssen wir zu einer Operationalisierung unseres Handelns kommen - ansonsten wird die Aufrechterhaltung lebenserhaltender Behandlungen über Jahre und Jahrzehnte bei hirngeschädigten Patienten fortgeführt und für die Betroffenen das Leiden ohne jede Aussicht auf Besserung protrahiert.

Ein möglicher Lösungsansatz kann die frühzeitige Einbeziehung tragfähiger palliativmedizinischer Strukturen in der Phase der Frührehabilitation von schwer hirngeschädigten Patienten sein, wie sie bereits in wenigen derartigen Einrichtungen z. B. im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg etabliert sind.

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Frühzeitig sollte man das Weaning-Potenzial der Patienten in ambulanter Intensivpflege prüfen.

In den Kliniken müssen wir Palliativmediziner danach streben, ähnlich wie in den Tumorkonferenzen, in die Diskussion der Behandlungsentscheidungen hirngeschädigter Patienten einbezogen zu werden. Wir sollen dafür werben, dass Fachkollegen aus Neurologie/Intensivmedizin die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin erwerben. Darüber hinaus müssen wir uns aktiv in die Ausbildung von Fachpflegekräften für außerklinische Beatmung mit einem entsprechenden Stundenkontingent "Palliativmedizin" integrieren und uns durchaus aktiv in die Mitbetreuung bzw. Betreuung oder deren Organisation von außerklinisch behandelten Intensivpatienten einbringen.