Sehr geschätzte Leserinnen und Leser (oder wird es in Zukunft Lesende heißen?),

wenn Sie meine Editorials regelmäßig lesen, kennen Sie meine Ausflüge in die Geschichte der Gefäßchirurgie. Nun liegt heute ein primär angiologisches Leitthemenheft vor Ihnen, auch wenn natürlich die Behandlung oft einen interdisziplinären Charakter hat. Ich habe die Gelegenheit genutzt und ein paar Informationen zu den Eigennamen der Erkrankungen zusammenzutragen, die uns ja schon lange begleiten. Dabei bin ich selbst, was Eigennamen insbesondere von chirurgischen Erkrankungen angeht, seit Studentenzeiten geprägt: Damals (1992) wurde vom chirurgischen Prüfer im Staatsexamen (und nicht in der Facharztprüfung zum Chirurgen!) gefragt: Nennen Sie 3 Erkrankungen mit dem Eigennamen „de Quervain“.

Nun geht es heute aber nicht um den Schweizer Chirurgen Johann Friedrich (Fritz) de Quervain, sondern um die Ärzte, nach denen die entzündlichen Gefäßerkrankungen benannt wurden. Wer oder was steckt hinter Takayasu, Horton, Churg, Strauß, Wegener, Kawasaki, Schönlein-Henoch und Behçet?

Wer oder was steckt hinter Takayasu, Horton, Churg, Strauß, Wegener, Kawasaki, Schönlein-Henoch und Behçet?

Der Name Schönlein ist Ihnen im zweiten Heft des letzten Jahres begegnet, als ich „Virchows Trias“ (die er ja selbst nie so beschrieben hatte) nachgegangen bin. Hierzu finden wir eine Parallele zur Takayasu-Arteriitis, die laut ICD-Klassifikation auch als „M31.4 – Aortenbogen-Syndrom“ bezeichnet wird: In seiner Falldemonstration auf der 12. Jährlichen Tagung der Augenärztlichen Gesellschaft Japans 1908 beschrieb Mikito Takayasu (*1859/1860 im Landkreis Ogi, Japan, †1938, Abb. 1) zwar Gefäßanastomosen am Augenhintergrund [1], der typische Befund des Pulsverlustes der A. radialis wurde aber von einem anderen Kollegen auf dem gleichen Kongress präsentiert: „Yoshiakira Ohnishi presented „a case with similar changes in the fundus accompanying impalpable pulse of the radial artery“ [2]. 1921 wurde der Begriff „Takayasu-Krankheit“ von Nakajima eingeführt [3]. Später wurde der Begriff „Takayasu-Arteriitis“ geprägt.

Abb. 1
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Mikito Takayasu. (Aus Numano [20])

Neben der Takayasu-Arteriitis handelt es sich auch bei der Riesenzellarteriitis um eine Großgefäßvaskulitis (s. auch die revidierte Chapel-Hill-Konsensus-Klassifikation [4]). Weitere Einzelheiten zur Klassifikation und den Krankheiten selbst finden Sie in großer Fülle in diesem Heft. Die Riesenzellarteriitis wurde früher auch Morbus Horton genannt. Die Erstbeschreibung einer Arteriitis temporalis erfolgte 1890 durch Jonathan Hutchinson (Übersicht in [7]), in der er die Erkrankung der Arterie von der Atherosklerose abgrenzte. 1932 publizierten Horten et al. 2 Fälle mit granulomatöser Arteriitis der A. temporalis [5].

Bayard Taylor Horton wurde 1895 in Virginia, USA, geboren [6]. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er an der Mayo Clinic in Rochester. Zwischen 1937 und 1957 behandelte er 1402 Patienten, die ihn wegen Kopfschmerzen aufsuchten [5]. Während Horton anfangs noch der Meinung war, die Arteriitis temporalis wäre generell benigne (da sich in seinen ersten Fällen die Symptomatik spontan zurückbildete), publizierten Jennings (1938) und Gilmour (1941) Fälle mit konsekutiver Blindheit bzw. systemischem Charakter der Erkrankung [7]. Der Begriff „Polymyalgia rheumatica“ wurde 1957 durch Barber geprägt.

Ich komme zurück auf Johann Lukas Schönlein (*1793 in Bamberg; †1864), u. a. Internist und Pathologe. Zahlreiche Errungenschaften sind auf den großen Mediziner zurückzuführen. Seine Beschreibung der Purpura rheumatica (als „Peliosis rheumatica“), die Kombination aus Arthralgie/Arthritis in Kombination mit dem typischen Hautbefund, wurde von einem seiner Schüler niedergeschrieben (aus [8]), wobei medizinhistorisch wohl William Heberden 1801 erstmals diese Form der Purpura beschrieb und publizierte („Purpura maculae“, Übersicht in [7]). Eduard Heinrich Henoch (*1820 in Berlin, †1910) war Schüler Schönleins. Er leitete bis 1893 die Klinik und Poliklinik für Kinderkrankheiten der Charité. 1867/1874 berichtete er über Kinder mit blutigem Durchfall, Bauchweh und Ausschlag mit schmerzhaften Gelenken (Übersicht in [7, 8]). Mir ist nicht gelungen, herauszufinden, wer das Eponym „Purpura Schönlein-Henoch“ als erster publiziert hat.

Friedrich Wegener (*1907 in Varel, †1990) war ein deutscher Pathologe. Sein Studienkollege Heinz publizierte 1931 die ersten Fälle der Krankheit, die später als Wegener-Granulomatose bezeichnet werden sollte [9]. Wegener selbst hatte im Rahmen seiner Arbeiten verschiedene granulomatöse Erkrankungen gesehen. Seine eigenen Forschungen auf diesem Gebiet führten zu der Entdeckung einer eigenständigen pathologischen Entität. In seiner Publikation 1939 stehen die nasalen Läsionen im Vordergrund. Es wurden aber auch granulomatöse Veränderungen mit Vaskulitis verschiedener Gefäße und Organe sowie Glomerulonephritis mit periglomerulären Granulomen beschrieben [10]. Er selbst bezeichnete die Erkrankung als „rhinogene Granulomatose“. Der Begriff „Wegener-Granulomatose“ wurde in späteren Publikationen von Ringertz 1947, Johnsen 1948 und Godman u. Churg 1954 geprägt [7]. Heute wird sie als „Granulomatose mit Polyangiitis“ (GPA) bezeichnet [4].

Womit wir bei dem Eponym des Churg-Strauss-Syndroms (heute: „eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis“, EGPA) angenommen sind. Jacob Churg wurde 1910 in Dolginow, damals russisches Kaiserreich, geboren. Nach Abschluss seines Studiums in Vilnius (heute Hauptstadt von Litauen) begann er zunächst als Internist zu arbeiten. Später konzentrierte er sich auf die Pathologie. 1936 wanderte er nach New York aus und begann in der Mt. Sinai Klinik, in der sein Onkel in der Dermatologie arbeitete. Er setzte seine Forschungsarbeiten fort und konzentrierte sich zusammen mit Lotte Strauss auf die Erforschung pathologischer Gefäßveränderungen. Churg erhielt einen Lehrstuhl für Pathologie und galt als Spezialist für Nieren- bzw. glomeruläre Erkrankungen [11]. Er starb 2005 im Alter von 95 Jahren. Lotte Strauss wurde 1913 in Nürnberg geboren. Nach Beginn ihres Medizinstudiums in Deutschland, beendet sie dieses 1937 in Siena, Italien. 1938 wanderte sie in die USA aus, wo sie zunächst als Mikrobiologin am Beth Israel Hospital in New York arbeitete [12]. In der Folge wurde sie in der Pathologie ausgebildet und wechselte 1941 an das Mt. Sinai Hospital. Dort forschte sie zusammen mit Jacob Churg. Ihr Spezialgebiet war die Kinderpathologie. Lotte Strauss starb 1985. Jacob Churg und Lotte Strauss berichteten 1949 in einem Abstract und 1951 in einem Artikel über die „allergic granulomatosis, allergic angiitis, and periarteritis nodosa“ [13, 14]. In ihrer Arbeit beschrieben sie eine Serie von 13 Patienten, die an einer granulomatösen Vaskulitis in Verbindung mit Asthma, Fieber, und Eosinophilie litten, und dies unterschied sich von der klassischen Polyarteriitis nodosa [14].

Der erste Fall von Kawasaki-Syndrom wurde 1961 beobachtet [15]. Der damals 4‑jährige Junge erholte sich spontan von seinen Beschwerden und wurde mit „Diagnose unbekannt“ entlassen. In den Folgejahren stellte der japanische Kinderarzt Tomisaki Kawasaki (*1925 in Tokio) die typische Konstellation häufiger fest und publizierte 1967 eine Serie mit den ersten 50 Fällen und nannte die Erkrankung „mukokutanes Lymphknotensyndrom“. Wie Horton ging Kawasaki zunächst von einer relativ benignen Erkrankung aus, bis eine landesweite Studie Todesfälle als Folge dieser Erkrankung nachwies [15]. Unbehandelt kommt es bei 15–25 % der Patienten zu Veränderungen an den Herzkranzgefäßen. Zwar ist bekannt, dass eine Infektion das Entstehen des Kawasaski-Syndroms triggert, der ätiologische Mechanismus ist aber noch unbekannt. Die unterschiedliche Inzidenz in bestimmten Ländern macht einen genetischen Hintergrund wahrscheinlich. Im Jahr 2011 erschien eine interessante Theorie, nach der Luftströmungen aus Zentralasien, die über den Nordpazifik ziehen, als umweltbedingter Trigger eine Rolle bei der Entstehung dieser Erkrankung spielen [16].

Hulusi Behçet wurde am 20. Februar 1889 in Istanbul, Türkei, geboren. Er absolvierte sein Medizinstudium an der Gülhane Military Medical Academy und spezialisierte sich auf Dermatologie und venerische Erkrankungen [17]. Nach dem 1. Weltkrieg ging er nach Budapest und an die Charité, um 1919 wieder in die Türkei zurückzukehren. Er baute die Klinik an der Universität von Istanbul auf und war der erste Türke, der den akademischen Titel „Professor“ erhielt. Seine Hauptinteressen seit 1922/23 waren u. a. Syphilis, Leishmaniose und Mykosen. Die ersten Beobachtungen zu der Erkrankung, die später seinen Namen tragen sollte, machte er an einem Patienten, den er erstmals um 1924/25 betreute [17]. Zunächst waren Syphilis und Tuberkulose als Ursache vermutet worden. 1930 wurde ihm eine Patientin zugewiesen, die unter Aphten im Mund und Genitalbereich und Augensymptomen litt. Jegliche Untersuchungen auf einen bakteriellen oder mykotischen Erreger blieben ohne Befund, allerdings wurden ein Zusammenhang mit einer Viruserkrankung durch Nachweis korpuskulärer Strukturen gesehen [17]. Zusammen mit einem 3. Patienten schlussfolgerte er die Eigenständigkeit einer virusbedingten Erkrankung und publizierte dies 1937, übrigens in deutscher Sprache, die er fließend beherrschte [18]. Diese Krankheit wurde 1947 auf einem Kongress als Morbus Behçet benannt [19]. Eine infektiöse Genese konnte bis heute nicht bestätigt werden. Behçet starb im März 1948 an einem plötzlichen Herztod.

Nach diesem Parforceritt durch die Medizingeschichte möchte ich Sie gerne auf das vorliegende Heft vorbereiten. Christoph Thalhammer und Iris Baumgartner haben ein hervorragendes Heft zu den aktuellen Aspekten der Vaskulitis zusammengestellt und werden in der folgenden Einführung zum Thema näher darauf eingehen. Neben der Vaskulitis geht es in Heft 2 auch wieder um ganz verschiedene Themen: das Aortenaneurysma (R. Grundmann: DIGG-Daten, A. Gombert: Grundlagenforschung), gefäßmedizische Evidenz (R. Grundmann: Kongresszusammenfassung), einen interessanten Fall (T. Traeger), Komplikationen nach Varizen-Operation (P.-M. Baier), und als CME-Fortbildung die Entstehung der Arteriosklerose.

Ich wünsche Ihnen, wie immer an dieser Stelle, nun viel Freude mit der vorliegenden Ausgabe!

Herzlichst,

Ihr

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Prof. Dr. A. Larena-Avellaneda