Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • haben Sie verstanden, warum eine Heparintherapie eine Thrombozytopenie und Thrombosen verursachen kann.

  • können Sie den 4T-Score anwenden.

  • können Sie die Wertigkeit der Testverfahren für die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) einordnen.

  • wissen Sie, wie Patienten mit HIT leitliniengerecht behandelt werden.

Einleitung

Die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) ist die häufigste immunologisch bedingte medikamenteninduzierte Thrombozytopenie (Inzidenz: 1:5000 Krankenhauspatienten). Im Gegensatz zu anderen Formen der Thrombozytopenie, die durch einen erhöhten Verbrauch (z. B. Verbrauchskoagulopathie) oder eine eingeschränkte Bildung (z. B. Chemotherapie) verursacht werden, sind die betroffenen Patienten nicht blutungsgefährdet, sondern erleiden neue thrombembolische Komplikationen. Die frühzeitige Erkennung der HIT ist wichtig, weil eine Erhöhung der Heparindosis nach der ersten thrombotischen Komplikation weitere Komplikationen auslösen kann [1].

Das höchste Risiko, eine HIT zu entwickeln, haben kardiochirurgische Patienten (bis zu 3 %) und Patienten nach großen vaskulären Eingriffen (ca. 0,5–1 %; [2]) sowie alle operativen Patienten, die unfraktioniertes Heparin (UFH) erhalten. Patienten nach kleineren operativen Eingriffen oder mit konservativer Behandlung sowie alle Patienten, die ausschließlich niedermolekulares Heparin (NMH) erhalten, haben ein deutlich niedrigeres Risiko für eine HIT (≪1 %).

Pathophysiologie der HIT

Aktivierte Thrombozyten setzen das Chemokin Plättchenfaktor 4 (PF4) frei. PF4 ist stark positiv geladen und bindet stark negativ geladene Strukturen, wie z. B. Heparin. PF4 bindet besser an UFH als an NMH. Außerdem bindet PF4 auch an andere stark negativ geladene Polyanionen [4], z. B. auf Bakterienoberflächen. Im Komplex mit Polyanionen (z. B. Heparin) ändert sich die Struktur von PF4, sodass immunogene PF4/Polyanion-Komplexe entstehen [5, 6], gegen die einige Patienten Antikörper entwickeln (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT): Heparin ist stark positiv geladen und bildet mit dem Thrombozytenprotein Plättchenfaktor 4 (PF4) Komplexe. Gegen diese Komplexe bilden einige Patienten Anti-PF4/Heparin-Antikörper. Anti PF4/Heparin-IgG (Immunglobulin G) bindet an PF4/Heparin-Komplexe, und es entstehen Immunkomplexe. Diese vernetzen den thrombozytären Fcγ-Rezeptor IIa (FcγRIIa) und führen zur Thrombozytenaktivierung. Aktivierte Thrombozyten setzen Mikropartikel frei; diese sind die katalytische Oberfläche für die Gerinnungskaskade, und es entsteht Thrombin. Thrombin aktiviert weitere Thrombozyten. Das freigesetzte PF4 bindet an Endothelzellen und Monozyten. In Anwesenheit von Heparin können weitere PF4/Heparin-Antikörper an diese Zellen binden und diese auch aktivieren. Dadurch wird Gewebefaktor („tissue factor“) freigesetzt, der wiederum zur Thrombinbildung beiträgt. Diese sich selbst verstärkenden Kreisläufe führen zu einer anhaltenden Thrombingenerierung und damit zu einem erhöhten Risiko für thrombembolische Komplikationen. (Aus [3] mit freundl. Genehmigung des Thieme Verlags)

Die HIT tritt zwischen Tag 5 und Tag 10 nach Heparingabe auf. Diese schnelle Bildung von Immunglobulin-G(IgG)-Antikörpern kann nur im Rahmen einer sekundären Immunantwort erfolgen. Die Erklärung hierfür ist, dass die HIT eine fehlgeleitete bakterielle Abwehrreaktion ist [7]. Da PF4 an viele verschiedene Bakterienarten bindet, kann das Immunsystem mit einer Antikörperspezifität (Anti-PF4/Polyanion-Antikörper) verschiedenste Bakterien abwehren. Unter der Behandlung mit Heparin bindet Heparin an Thrombozyten, sodass die Thrombozyten für das Immunsystem wie PF4/Polyanion-beladene Bakterien aussehen.

Thrombozyten exprimieren Fcγ-Rezeptoren IIa auf ihrer Oberfläche. Diese werden durch die Fc-Teile der HIT-Antikörper vernetzt, was zu Thrombozytenaktivierung und Thrombozytenaggregation führt. Diese Fc-Rezeptor-abhängige Thrombozytenaktivierung kann nur durch PF4/Heparin-Antikörper der Ig-Klasse G ausgelöst werden. Deshalb sind HIT-Antikörper der Klassen IgM und IgA klinisch wenig relevant.

Die Aktivierung der Thrombozyten und deren intravasale Aggregation führen zur Thrombozytopenie und zur Freisetzung von Mikropartikeln. Diese liefern die katalytische Oberfläche für die Bildung von Thrombin. Gleichzeitig binden PF4/Heparin-Komplexe an Endothelzellen und an Monozyten [8]. Diese werden aktiviert, sodass sie vermehrt „tissue factor“ exprimieren, was die Thrombinbildung nochmals massiv verstärkt. Die Folge sind neue thrombembolische Komplikationen. Je mehr Heparin in dieser Situation gegeben wird, desto mehr Immunkomplexe aus HIT-Antikörpern und PF4/Polyanion-Komplexen entstehen und desto mehr Thrombin wird gebildet. Anti-PF4/Polyanion-Antikörper verschwinden bei den meisten Patienten innerhalb weniger Wochen nach Absetzen von Heparin. Nach 3 Monaten sind die Antikörper nur noch bei weniger als 5 % der Patienten nachweisbar [9] – dies ist wichtig für die Behandlung von Patienten mit HIT in der Anamnese (siehe diesen Abschnitt).

Klinische Diagnose der HIT

Bestimmung der Thrombozytenzahl

Leitkriterium für den HIT-Verdacht ist ein schneller (innerhalb von 1–2 Tagen) Abfall der Thrombozytenwerte zwischen Tag 5 und Tag 10 (selten bis Tag 14) nach Beginn der Heparingabe um mindestens 50 % [10]. Um die HIT frühzeitig zu erkennen, sollte die Thrombozytenzahl bei Patienten kontrolliert werden, die ein hohes Risiko für eine HIT haben [11]; dies sind v. a. Patienten nach kardiochirurgischen Eingriffen und alle Patienten, die UFH erhalten. Die Bestimmung der Thrombozytenanzahl sollte systematisch vor Beginn und an den Tagen 5, 7 und 9 nach Beginn der Heparingabe erfolgen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Thrombozytenmonitoring und Bewertung des Thrombozytenabfalls, postoperativer Thrombozytenverlauf bei 452 orthopädischen und unfallchirurgischen Patienten (Tag 0: Operationstag; grauer Bereich: Mittelwert ±75 %-Perzentile): Der für die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) typische Abfall der Thrombozytenwerte um 50 % kann nicht erkannt werden, wenn im Fall eines Thrombozytenabfalls oder einer neuen Thrombose (tiefe Beinvenenthrombose, TVT) zwischen Tag 5 und Tag 10 nur der präoperative (Prä-Op) Ausgangswert der Thrombozyten mit dem aktuellen Wert zum Zeitpunkt des Ereignisses verglichen wird. Der Thrombozytenverlauf eines HIT-Patienten aus dieser Patientengruppe (durchgezogene Linie) macht diesen Punkt deutlich: Wird der Thrombozytenabfall mit dem Ausgangswert vor der Operation verglichen, kann es zur Fehlinterpretation des 4T-Scores kommen (≤30 % statt 50 % Abfall = 0–1 Punkt statt 2 Punkte). Diese Dynamik der Thrombozytenwerte ist der wichtigste Grund für die Empfehlung, die Thrombozytenwerte ab Tag 5 bis Tag 10 alle 2 Tage zu bestimmen. (Adaptiert nach Hinz et al. [12])

Eine Dosis UFH reicht für die Immunisierung!

Bei Heparinanwendung soll an das Risiko einer HIT gedacht werden (Expertenkonsens). Bei Verwendung von UFH sollte regelmäßig eine Kontrolle der Thrombozytenzahl durchgeführt werden. Bei Verwendung von NMH kann die Kontrolle in der Regel entfallen (Expertenkonsens; [11]).

4T-Score

Die Wahrscheinlichkeit der HIT wird zunächst mit dem 4T-Score abgeschätzt (Tab. 1). Der 4T-Score hat einen hohen negativ-prädiktiven Wert [13]. Bei einem niedrigen Score von 0 bis 3 Punkten ist eine HIT sehr unwahrscheinlich (Irrtumswahrscheinlichkeit: <5 %). Mittlere Scores von 4 bis 5 Punkten entsprechen einer HIT-Wahrscheinlichkeit von etwa 10–20 %, hohe Scores von 6 Punkten oder mehr einer Wahrscheinlichkeit von etwa 40–80 %. Die Sensitivität des Scores bei höheren Werten hängt dabei v. a. von der Erfahrung des Anwenders ab.

Tab. 1 4T-Score zur Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT)

Der 4T-Score basiert auf den 4 wichtigsten klinischen Kriterien der HIT. Jedes einzelne Kriterium kann mit 0, 1 oder 2 Punkten bewertet werden. Dieser Score ist immer eine Momentaufnahme und kann sich im Verlauf des Krankheitsbildes des Patienten ändern, wenn sich weitere klinische Aspekte ergeben, wie z. B. eine positive Blutkultur.

Voraussetzung für die richtige Ermittlung der einzelnen Kriterien bzw. die Zuordnung der Punktewerte ist die gründliche Recherche aller notwendigen Informationen, v. a. des Beginns der Heparinexposition. Daher empfehlen die Autoren dieses Artikels, den Beginn der Heparintherapie, die Art des verwendeten Heparins, Bolusgaben, den Operationszeitpunkt sowie die Thrombozytenzahlen an den Tagen 0, 5, 7 und 9 nach Beginn der Heparingabe in jeden Arztbrief aufzunehmen. Das ist insbesondere wichtig, wenn Patienten nach komplikationslosem Operationsverlauf vor Tag 10 in die Anschlussheilbehandlung oder die Hausarztbetreuung entlassen werden.

Thrombozytopenie

Ein Thrombozytenabfall um mehr als 50 %, aber nicht unter 20 Gpt/l ist die häufigste Manifestation der HIT. Die Thrombozytenwerte können jedoch trotz Thrombozytenabfall um mehr als 50 % auch noch im Normbereich (≥150 Gpt/l) liegen.

Bei internistischen Patienten wird mit dem Ausgangswert vor Beginn der Heparingabe verglichen. Bei chirurgischen Patienten fällt die Thrombozytenzahl eingriffsbedingt in den ersten 4 Tagen um bis zu 30 % ab und steigt dann rasch auf Werte an, die deutlich über dem Ausgangswert liegen (Abb. 2). Daher wird bei chirurgischen Patienten bei erneutem Thrombozytenabfall der höchste Thrombozytenwert nach Beginn der Heparingabe zum Vergleich genutzt. Ein Thrombozytenabfall von 30–50 % erhält 1 Punkt. Thrombozytopenien von weniger als 20.000/µl sind normalerweise durch andere Ursachen bedingt (allerdings kann eine zusätzliche Verbrauchskoagulopathie auch bei einer HIT Thrombozytenwerte unter 20 Gpt/l verursachen). Deswegen zählt ein Thrombozytenabfall auf Werte zwischen 10–20 Gpt/l 1 Punkt und auf unter 10 Gpt/l 0 Punkte.

Zeitliches Auftreten von Thrombozytopenie, Thrombosen oder anderen Komplikationen

Die HIT tritt typischerweise zwischen Tag 5 und Tag 10 nach Beginn der Heparingabe auf, unabhängig davon, ob der Patient bereits früher mit Heparin behandelt wurde [9].

Von dieser Regel gibt es 2 Ausnahmen:

  • Größere Operationen setzen „die Uhr wieder auf Null“, sodass das kritische Zeitfenster ab dem Operationstag gerechnet wird. Entsprechend können Dialysepatienten, die jahrelang Heparin komplikationslos vertragen haben, in der 2. Woche nach einer Operation eine HIT entwickeln.

  • Patienten, bei denen noch HIT-Antikörper zirkulieren, können mit Beginn der Heparingabe sofort mit einem Thrombozytenabfall reagieren. Gefährdet sind insbesondere Patienten, die innerhalb der letzten 30 (seltener 100) Tage Heparin bekommen haben. Dementsprechend werden diese Fälle mit 2 oder 1 Punkt(en) bewertet.

Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass zur Bewertung im 4T-Score der Beginn des Thrombozytenabfalls herangezogen wird und nicht der Zeitpunkt, an dem der Thrombozytenwert einen 50 %igen Abfall erreicht hat. Dies ist besonders relevant bei der Beurteilung von langsam abfallenden Thrombozytenwerten über mehrere Tage; diese sind meist nicht durch eine HIT bedingt.

Thrombosen und andere Komplikationen

Rund 50 % der Patienten mit HIT entwickeln eine neue Thrombose. Grundsätzlich sollte das Auftreten von neuen Thrombosen unter Heparintherapie, insbesondere bei ungewöhnlicher Lokalisation, an eine HIT denken lassen. Die häufigsten Thrombosen sind venöse Thrombosen der Beine und Lungenembolien. Bei den arteriellen Thrombosen sind v. a. die Arterien der Extremitäten betroffen, während Schlaganfälle und Herzinfarkt deutlich seltener auftreten. Sonderformen sind Sinus‑, Mesenterialvenen- oder Pfortaderthrombosen und Nebennierenrindennekrosen (Venenthrombosen der Nebennieren, gefolgt von Einblutungen).

Selten sind akute systemische Reaktionen nach Heparinbolus (Fieber, Schüttelfrost, Dyspnoe oder Tachypnoe, Hypertension, Brustschmerzen, Tachykardie, akute Kopfschmerzen, transiente ischämische Attacke [TIA]; [14]) oder heparininduzierte Hautnekrosen. Derartige Symptome werden mit 2 Punkten bewertet.

Für zunehmende oder rezidivierende tiefe Beinvenenthrombose im gleichen Gefäßgebiet wird 1 Punkt vergeben, erneute Lungenembolie bei einem Patienten, der Heparin zur Behandlung einer Lungenembolie erhält, asymptomatische Armvenenthrombose, erythematöse (nichtnekrotische) Hautläsionen oder Verschlüsse von Dialysefiltern oder extrakorporalen Oxygenierungsgeräten, Thrombosen in Gefäßen, in denen ein Katheter liegt, sowie nicht objektiv gesicherte Thrombosen.

Andere („oTher“) Ursachen für eine Thrombozytopenie

Dies ist das subjektivste Kriterium des Scores. 2 Punkte werden vergeben, wenn keine anderen Gründe denkbar sind. Häufige andere Ursachen sind jedoch eine perioperative Thrombozytopenie bei großen orthopädischen und herzchirurgischen Eingriffen, Sepsis oder Zytostatikatherapie. Weitere Ursachen für Thrombozytopenien sind ein Thrombozytenabfall bei beatmeten Patienten, die disseminierte intravasale Koagulopathie, eine ausgeprägte Lungenembolie und eine thrombolytische Therapie. Liegen diese Erkrankungen vor, wird maximal 1 Punkt vergeben.

Die Summe der für die Einzelkriterien vergebenen Punkte ergibt die Höhe des Scores und die damit verbundene Wahrscheinlichkeit einer HIT-Diagnose (Tab. 1). Die Diagnosesicherung erfolgt mithilfe von Laboruntersuchungen zum Nachweis der PF4/Heparin-Antikörper und deren thrombozytenaktivierender Eigenschaften. Nur bei ausreichendem klinischen Verdacht (4T-Score: > 3) sollte eine HIT-Antikörper-Diagnostik durchgeführt werden (Diagnosealgorithmus siehe Abb. 3). Eine HIT-Antikörper-Diagnostik sollte auch durchgeführt werden, wenn die exakte Bestimmung des 4T-Scores aufgrund fehlender Informationen nicht möglich ist.

Abb. 3
figure 3

Diagnosealgorithmus „to hit HIT“ (HIT heparininduzierte Thrombozytopenie, IgG Immunglobulin G). (Modifiziert nach Greinacher [1])

Der 4T-Score und eine Anleitung zur Bewertung stehen zum Download zur Verfügung (https://www2.medizin.uni-greifswald.de/transfus/index.php?id=335, Zugriff am 13.01.2018).

Labordiagnostik der HIT

Nur ein kleiner Teil der Anti-PF4/Heparin-Antikörper ist klinisch relevant. Es sollte nur auf HIT-Antikörper der Ig-Klasse G getestet werden. Dies erfolgt mithilfe von Antigentests (z. B. ELISA [„enzyme-linked immunosorbent assay“], Chemilumineszenztest, Partikelgelagglutinationstest). Alle diese Tests haben eine hohe Sensitivität für PF4/Heparin-Antikörper, aber nur eine niedrige Spezifität für die Sicherung der Diagnose einer HIT [15, 16].

Der alleinige Nachweis von Anti-PF4/Heparin-Antikörpern im Antigentest beweist die HIT nicht [17]. Es muss abgeklärt werden, ob das Serum der Patienten zusammen mit Heparin Thrombozyten aktiviert. In Deutschland ist der HIPA (heparininduzierte Plättchenaktivierung)-Test der am weitesten verbreitete funktionelle HIT-Test.

Das Labor sollte die Testergebnisse für den HIT-Antikörper-Antigentest halbquantitativ angeben (negativ, schwach positiv oder stark positiv), um die Interpretierbarkeit zu verbessern. Je stärker das Laborergebnis des Antigentests ausfällt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass auch der HIPA-Test positiv ausfällt [18].

Eine nicht zu Ende geführte Diagnostik kann den Patienten gefährden. Die Information „HIT-Patient“ wird über den Entlassungsbrief oft jahrelang mitgeführt, ohne dass eine HIT jemals bestätigt wurde. Das kann zur Folge haben, dass aufgrund dieser Information Notfalleingriffe, z. B. eine Koronarintervention, verzögert und/oder der nötige Bolus UFH zur Prozedur vorenthalten werden.

Tipp: Organisieren Sie das Anforderungsformular für die Laborkontrollen so, dass automatisch ein funktioneller HIT-Test (HIPA) veranlasst wird, sobald der Antikörpernachweis positiv ist!

Management bei Verdacht auf HIT

Da Funktionstests zur Sicherung der Diagnose Speziallaboratorien vorbehalten sind, stehen die Ergebnisse oft erst nach 1 bis 2 Tagen zur Verfügung. Dies erfordert eine Strategie für das Patientenmanagement bis zum Vorliegen des Ergebnisses des Funktionstests, die auf dem Ergebnis des 4T-Scores und damit der HIT-Wahrscheinlichkeit aufbaut und die klinischen Risiken des Patienten für Blutungen und thrombembolische Komplikationen berücksichtigt ([19]; Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Strategie bis zur Sicherung der Diagnose bei mittlerer HIT(heparininduzierte Thrombozytopenie)-Wahrscheinlichkeit, Abwägung des Blutungs- und Thromboserisikos: a Thromboseprophylaxe bei hohem Blutungs- und niedrigem Thromboserisiko, b therapeutische Antikoagulation bei niedrigem Blutungs- und hohem Thromboserisiko

Hoher 4T-Score (6–8 Punkte) oder gesicherte akute HIT

  • Absetzen von Heparin und sofortiger Beginn mit einem kompatiblen Antikoagulans in therapeutischer Dosierung

  • Keine Gabe von Vitamin-K-Antagonisten (VKA), bevor sich die Thrombozytenzahl wieder erholt und stabilisiert hat

  • Kein(e) Vena-cava-Filter oder intravaskuläre Stent- oder Katheterimplantationen (Ausnahme Koronarstent bei akutem Myokardinfarkt)

  • Keine prophylaktischen Thrombozytentransfusionen, auch nicht vor arterieller Embolektomie

  • Ausschluss klinisch asymptomatischer tiefer Beinvenenthrombosen durch Ultraschalluntersuchung

  • Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose durch vollständige Labordiagnostik (Antigentest und Funktionstest)

Mittlerer 4T-Score (4–5 Punkte)

  • Negativer Antikörpernachweis im Antigentest – Fortsetzung der Heparingabe, tägliche Kontrolle der Thrombozytenzahl; liegt das Testergebnis nicht am gleichen Tag vor, sollte der Patient mit einem alternativen Antikoagulans behandelt werden, bis das Testergebnis vorliegt

  • Positiver Antikörpernachweis im Antigentest – Heparingabe sofort stoppen, funktionellen Test anfordern, alternative Antikoagulation starten

  • Thrombozytenzahl täglich weiter kontrollieren

Hinsichtlich der Dosierung der alternativen Antikoagulanzien sollten Nutzen und Risiko nach folgenden klinischen Gesichtspunkten abgewogen werden (Abb. 4):

  1. a)

    Hohes Blutungsrisiko,

  2. b)

    hohe Wahrscheinlichkeit für andere Gründe für den Thrombozytenabfall,

  3. c)

    neue Thrombosen,

  4. d)

    zusätzliche Indikationen für eine therapeutische Antikoagulation.

Die Punkte a) und b) rechtfertigen eine prophylaktische Dosierung, z. B. mit Danaparoid s. c. (3-mal täglich 750 IE) oder Fondaparinux (2,5 mg 1‑mal täglich; Abb. 4a); die Punkte c) und d) begründen die absolute Indikation für eine therapeutische Dosierung (Abb. 4b).

Niedriger 4T-Score (≤3 Punkte)

  • In der Regel sind Laboruntersuchungen nicht notwendig. Die Heparingabe kann fortgesetzt, und die routinemäßigen Thrombozytenkontrollen können durchgeführt werden.

  • Der Patient sollte weiter beobachtet und im Verlauf wiederholt ein 4T-Score bestimmt werden. Wenn der 4T-Score nicht sicher (fehlende Informationen) durchgeführt werden kann, sollte in jedem Fall ein Antigentest durchgeführt werden.

Alternative Antikoagulanzien bei HIT

Danaparoid (Tab. 2) ist eine Mischung aus verschiedenen, schwach negativ geladenen, kurzkettigen Glucosaminoglykanen (Anti-Faktor-Xa[FXa]/Anti-Faktor-IIa[FIIa]-Verhältnis: 28:1). Neben seiner antikoagulatorischen Wirkung hemmt Danaparoid den Pathomechanismus der HIT, indem es die Bildung von PF4/Heparin-Komplexen und dadurch die Plättchenaktivierung hemmt [20]. Zugelassen ist Danaparoid für die Prophylaxe und die Behandlung der thromboembolischen Erkrankungen bei Patienten, die entweder eine HIT haben oder hatten. Je nach Indikation wird es i. v. oder s. c. verabreicht. Danaparoid hat eine Halbwertszeit von etwa 25 h für die Anti-FXa-Aktivität. Aufgrund seiner längeren Halbwertszeit kann die Danaparoidgabe kurzzeitig unterbrochen werden, z. B. für nicht-invasive diagnostische Prozeduren (bildgebende Verfahren etc.), ohne dass die antikoagulatorische Wirkung abrupt nachlässt. Die Elimination von Danaparoid geschieht zu etwa 50 % renal. Bei moderater Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearence [KrCl]: 30–60 ml/min) sollte die Dosis um 30 %, bei schwerer Niereninsuffizienz um rund 50 % reduziert werden. Danaparoid ist darüber hinaus anwendbar für die intermittierende Hämodialyse sowie für die kontinuierliche Nierenersatztherapie (Hämofiltration und Hämodialyse). Die Überwachung der Therapie erfolgt über den Anti-FXa-Test (danaparoidspezifische Eichkurve!).

Tab. 2 Eigenschaften der alternativen Antikoagulanzien zur Therapie der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT)

Anmerkung: In den aktuellen Fachinformationen von Danaparoid, Stand Februar 2018, wird für die akute HIT ohne Thromboembolie die prophylaktische Dosierung empfohlen. Dies ist eine fehlerhafte Empfehlung. Patienten mit akuter HIT benötigen eine Antikoagulation in therapeutischer Dosierung. Die Fachinformation ist derzeit in Überarbeitung.

Argatroban (Tab. 2) ist ein synthetischer, direkter Thrombinhemmer. Zugelassen ist Argatroban zur Antikoagulation bei Patienten mit HIT. Argatroban hemmt auch das Thrombin im Thrombus. Sein klinisch größter Vorteil ist die kurze Halbwertszeit (52 ± 16 min). Argatroban darf nur i.v. verabreicht werden. Die Elimination erfolgt über die Leber. Bei Patienten mit Leberinsuffizienz muss die Dosis stark reduziert werden. Die Überwachung der Therapie erfolgt über die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT). Hierbei muss berücksichtigt werden, dass insbesondere bei Intensivpatienten mit extrakorporalem Kreislauf häufig ein erworbener Mangel an Faktor XI und Faktor XII vorliegt, welcher per se zu einer Verlängerung der aPTT führt. Dies erschwert die Dosierung von Argatroban. Von besonderer Wichtigkeit ist, dass Argatroban bei Erkrankungen, die den Prothrombinspiegel beeinflussen, die aPTT-Werte viel stärker verlängert, als dies bei gleichen Plasmaspiegeln und normalen Prothrombinwerten der Fall ist (z. B. Verbrauchskoagulopathie, Leberinsuffizienz, verminderte Leberperfusion). Dies spiegelt eine falsch-hohe Intensität der Antikoagulation vor, mit der Konsequenz der Dosisreduktion und dem Risiko der Unterdosierung sowie nachfolgenden neuen Thrombosen [21]. Das Monitoring kann unabhängig von diesen Kofaktoren über die verdünnte Thrombinzeit erfolgen. Argatroban beeinflusst den Quickwert. Dies macht die Umstellung auf VKA schwierig.

Dosierungsempfehlungen für Danaparoid und Argatroban stehen als Download zur Verfügung (https://www2.medizin.uni-greifswald.de/transfus/index.php?id=391; Zugriff am 13.01.2018).

Bivalirudin (Tab. 2) ist ein synthetischer direkter Thrombinhemmer. Wegen seiner kurzen Halbwertszeit (25 ± 12 min) wird es ausschließlich i. v. verabreicht; das Monitoring geschieht über die aPTT. Bivalirudin ist nicht explizit für die Therapie von Patienten mit HIT zugelassen, wird aber bei herzchirurgischen Eingriffen alternativ zu UFH für die Antikoagulation eingesetzt [22]. In den zugelassenen Indikationen, bei der perkutanen Koronarintervention, kann es ebenfalls alternativ zu UFH eingesetzt werden.

Fondaparinux (Tab. 2) ist ein synthetischer indirekter FXa-Inhibitor. Fondaparinux ist nicht explizit für die Behandlung von Patienten mit HIT, jedoch zur Thromboseprophylaxe und zur Behandlung von Thrombosen und Lungenembolien zugelassen. Es wird häufig für die Behandlung der HIT eingesetzt [23, 24]. Die berichteten Fallserien zeigen eine relativ niedrige Rate von Rethrombosen und Blutungen. Aufgrund seiner Einmalgabe ist Fondaparinux besonders geeignet für die langfristige parenterale therapeutische Antikoagulation. Bei der Anwendung bei Patienten mit Niereninsuffizienz besteht die Gefahr der Akkumulation.

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK; Tab. 2) haben keine Zulassung für die Behandlung von HIT-Patienten, sind jedoch für die Behandlung von Thrombosen und Lungenembolie zugelassen. Zunehmend werden Fallserien berichtet [25], bei denen Patienten mit HIT mit Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban behandelt wurden. In den meisten Fällen ist die Therapie effektiv und das Risiko für Blutungen gering. Eine mögliche Einschränkung der DOAK bei der Behandlung der HIT sind die wechselnden Plasmaspiegel aufgrund der 1‑ oder 2‑maligen Einnahme pro Tag. Es ist unklar, ob in der akuten Phase der HIT die niedrigen Plasmaspiegel vor der erneuten Medikamenteneinnahme ausreichend sind, um die Thrombingenerierung in der Akutphase der HIT zu kontrollieren. Die DOAK sind sehr gut geeignet für die langfristige Antikoagulation nach der akuten Phase der HIT, wenn sich die Thrombozytenzahlen wieder normalisiert haben.

VKA sind in der akuten Phase der HIT kontraindiziert. Sie hemmen auch die Carboxylierung von Protein C. Durch die massive prothrombotische Gerinnungssituation in der akuten HIT führt der durch VKA verursachte zusätzliche funktionelle Protein-C-Mangel zu Thrombosen in der Mikrozirkulation. Die häufigste Ursache für den Verlust einer Extremität als Komplikation der HIT sind der zu frühe Beginn mit VKA und eine daraus resultierende Phlegmasia coerulea dolens [26]. Wurde einem Patienten mit akuter HIT bereits ein VKA gegeben, sollte dieser sofort abgesetzt und Vitamin K i. v. substituiert werden. Nach der Normalisierung der Thrombozytenzahl können VKA zur langfristigen Antikoagulation gegeben werden. Die Therapie wird immer unter Fortsetzung der alternativen Antikoagulation bis zum Erreichen der Ziel-INR, aber für mindestens 5 Tage begonnen.

Intensität und Dauer der Antikoagulation

Patienten mit einer akuten HIT benötigen zunächst eine alternative Antikoagulation in therapeutischer Dosierung, unabhängig davon, ob die HIT mit einer neuen thrombembolischen Komplikation assoziiert ist oder nicht.

Patienten mit HIT-assoziierter Thrombose benötigen eine Antikoagulation in therapeutischer Dosierung für mindestens 3 Monate. Die Diagnose „HIT“ ist keine Indikation für eine langfristige Antikoagulation. Patienten ohne Thrombose benötigen mindestens eine therapeutische Antikoagulation, bis die Thrombozytenzahl an 2 aufeinanderfolgenden Tagen einen stabilen Wert oberhalb des Ausgangswertes vor der Heparingabe erreicht hat. Danach entscheiden andere Erkrankungen des Patienten über die Indikation zur therapeutischen Antikoagulation.

Besondere Situationen

Die arterielle Embolektomie sollte bei akuter HIT ohne prophylaktische Thrombozytentransfusion durchgeführt werden, auch wenn die Thrombozytenwerte niedrig sind. Das Gefäß kann während der Prozedur mit Danaparoid gespült werden (750 Anti-FXa IE in 250 ml NaCl; bis zu 50 ml für die Spülung nutzen). Anmerkung: Perioperative Blutungen sind in der Regel durch eine Überdosierung des alternativen Antikoagulans verursacht. Ist diese ausgeschlossen, ist bei symptomatischer Blutung und niedriger Thrombozytenzahl die Thrombozytentransfusion indiziert.

Intravasale Katheter, Stents und Vena-cava-Filter sollten bei der HIT strikt vermieden werden, da sie weitere Thrombosen provozieren. Insbesondere Vena-cava-Filter können zu massiven Thrombosierungen führen [27].

Patienten mit HIT in der Anamnese

Für die Antikoagulation zu einem späteren Zeitpunkt sollte zur Thromboseprophylaxe oder therapeutischen Antikoagulation ein alternatives Antikoagulans verwendet werden, auch im perioperativen Management. HIT-Antikörper sind bei den meisten Patienten 3 Monate nach der akuten HIT nicht mehr nachweisbar. Bei erneuter Heparinexposition werden frühestens nach 5 Tagen wieder HIT-Antikörper gebildet. Heparin hat große Vorteile bei großen gefäßchirurgischen Eingriffen, insbesondere bei Operationen unter Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. In diesen Situationen überwiegen die Vorteile des Heparins, z. B. die Antagonisierbarkeit mit Protamin, das Risiko, eine erneute HIT zu induzieren. Heparin kann intraoperativ gegeben werden, wenn keine HIT-Antikörper im funktionellen HIT-Test nachgewiesen werden [28]. Vor und nach der Operation sollte ein alternatives Antikoagulans verwendet werden. Wenn nach 5 Tagen erneut HIT-Antikörper gebildet sind, sollte kein Heparin mehr im Körper vorhanden sein. Es besteht jedoch das geringe Risiko der Induktion einer Autoimmun-HIT. Deshalb sollten auch bei kurzfristiger Heparinreexposition die Thrombozytenwerte zwischen Tag 5 und Tag 10 kontrolliert werden.

Autoimmun-HIT

In seltenen Fällen kann die HIT zur Autoimmunerkrankung werden [29, 30]. Hier bilden Patienten Antikörper, die an PF4 auf der Thrombozytenoberfläche binden, ohne dass Heparin gegeben wird. Das klinische Bild entspricht dem einer besonders schwer verlaufenden HIT. Im Labor aktiviert das Serum des Patienten Thrombozyten auch ohne Zugabe von Heparin (diagnostisches Schlüsselkriterium). Die Thrombozytopenie persistiert bei der Autoimmun-HIT über Wochen bis Monate. Über den gesamten Zeitraum benötigen betroffene Patienten eine hochdosierte alternative Antikoagulation. Der Therapieerfolg kann anhand des Thrombozytenanstiegs und der D‑Dimere gemessen werden.

Gefäßchirurgen sollten an eine Autoimmun-HIT denken, wenn ein Patient mit akuten arteriellen Gefäßverschlüssen aufgenommen wird und gleichzeitig erniedrigte Thrombozytenwerte aufweist, insbesondere wenn innerhalb der letzten 4 Wochen eine Heparinexposition, eine größere orthopädische Gelenkersatzoperation oder ein bakterieller Infekt stattgefunden haben. Alle 3 Situationen können die Autoimmun-HIT auslösen.

Fazit für die Praxis

  • HIT ist eine klinische Diagnose, Laboruntersuchungen bestätigen diese.

  • Der 4T-Score ermittelt die klinische Wahrscheinlichkeit der HIT; bei einem 4T-Score ≤ 3 Punkte ist eine HIT unwahrscheinlich.

  • PF4/Heparin-IgG-Antikörper werden im Antigentest nachgewiesen (ohne Antikörper – keine HIT, aber Antikörper allein machen auch keine HIT).

  • Nach positivem Antigentest immer Funktionstest durchführen!

  • Positiver Antigentest und positiver Funktionstest sichern die Diagnose „HIT“.

  • Bei der akuten HIT alle Heparine vermeiden und alternativ antikoagulieren.

  • Für die Therapie der akuten HIT zugelassen sind Argatroban und Danaparoid; Fondaparinux und DOAK werden auch erfolgreich eingesetzt.

  • Vitamin-K-Antagonisten sind bei der akuten HIT kontraindiziert.

  • Eine Reexposition mit Heparin ist kurzzeitig möglich, wenn der Funktionstest negativ ist.

  • Eine Autoimmun-HIT ist eine besonders aggressive Form der HIT mit schwerer Thrombozytopenie und fulminanten fortschreitenden Thrombosen auch ohne vorherige Heparinexposition (Trigger: große Operationen, bakterielle Infekte, Heparin).