Unsere Patientinnen und Patienten bekommen Diagnosen und biologische Therapie wie in anderen Fächern der Medizin. Darüber hinaus benötigen unsere Patienten zusätzliche psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Hilfen, die leider wie in anderen Fächern der Medizin oft zu kurz kommen. Unsere Diagnosen sind vielleicht weniger zeitstabil als interne oder neurologische Diagnosen und die Therapierbarkeit hängt stärker von intrapsychischen Faktoren sowohl der Kranken als auch der Behandelnden ab. Erst die Qualität und Quantität unserer Beziehungsarbeit ermöglicht valide Diagnosen und nachhaltige Therapieerfolge, die damit stark von der Personaldichte und dem Zeitaufwand aller unserer Berufsgruppen abhängen. Sowohl das neue Arbeitszeitgesetz als auch die enorm zunehmende digitalisierte Dokumentation stören gegenwärtig die Beziehung zu unseren Patientinnen und Patienten. Das Interview eines Patienten durch einen Psychiater, der dabei auf den Bildschirmarbeitsplatz blickt und Kästchen ankreuzt oder kurze Textfelder ausfüllen muss, lässt kein Gespräch mit Beziehungscharakter zu. Ohne ausreichend Zeit droht die Individualität einzelner betroffener Menschen verloren zu gehen. Unsere wunderbaren, in dieser Häufung in keinem anderen Fach zu erlebenden Begegnungen machen unser Fach einzigartig, spannend und gesellschaftspolitisch faszinierend. Als Beispiel seien die aktuellen Flüchtlingsschicksale oder Traumatisierungen von Opfern des Faschismus oder deren Kinder und Enkelkinder angeführt.

Weiterentwicklung gefordert

Wir sollten uns bemühen, dieses spannende Fach der Psychiatrie und medizinischen Psychotherapie in alle Richtungen weiterzuentwickeln und es vor Vereinfachungen in alle Richtungen zu schützen. Solche Vereinfachungen sind sowohl rein biologistische Ansätze (z. B. ausschließliche Psychopharmakotherapie), aber genauso psychotherapeutischer Autismus mit Ablehnung psychiatrischer Diagnosen und Vernachlässigung biologischer Therapien oder auch die reine Versorgungspsychiatrie zur „Versorgung sogenannter psychiatrischer Fälle“ mit zu geringen nachhaltigen therapeutischen Bemühungen.

Ein Blick zurück

Ich habe mit viel Engagement die letzten zehn Jahre versucht, lebendige und lehrreiche Kasuistiken zu fördern, um die Schönheit und Faszination unseres Fachs darzustellen und so die nach H.G. Zapotoczky als Chief-Editor übernommene Zeitschrift psychopraxis.neuropraxis weiterzuentwickeln.

Ich bin tief überzeugt, dass die neuen Chef-Herausgeber Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Aigner für die Psychiatrie und Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller für die Neurologie diesen Weg mit ihrem Fachwissen, ihrer Begeisterung und ihren Persönlichkeiten erfolgreich weiterführen werden.

Ihr

Peter Fischer