Inkontinenz ist eines der häufigsten und auch am stärksten tabuisierte Leiden. Eine schwache Blase oder ein schwacher Darm ist jedoch nicht nur ein Problem des alten Menschen. Auch Jüngere und sogar Kinder sind betroffen. Trotz hohem Leidensdruck sucht kaum die Hälfte der betroffenen Menschen aktiv nach Hilfe. Bei der „Welt-Kontinenz-Woche“ der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) Anfang des Sommers wurden aktuelle Möglichkeiten der Unterstützung und der Behandlung präsentiert.

Etwa eine Million Menschen leiden in Österreich unter Harn- oder Stuhlinkontinenz. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, dass Blase oder Darm schwach werden — ab 80 bereits bei jedem Dritten. Betroffen sind aber auch jüngere Menschen und Kinder. Die Ausprägungen sind vielfältig: Manche verlieren Harn beim Husten, Lachen oder Stiegen steigen, manche müssen ständig zur Toilette — auch nachts, was zusätzlich belastet. Andere wiederum verlieren Darminhalt. „Erkrankungen des Beckenbodens, zu denen Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz und die Senkung von Beckenorganen zählen, sind vor allem bei Frauen weit verbreitet. Etwa ein Viertel aller Frauen leidet an mindestens einem dieser Probleme. Schwangerschaft und vor allem ein schwieriger Geburtsverlauf sind ganz wesentliche Risikofaktoren, später eine Inkontinenz zu entwickeln“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Lothar Fuith, Gynäkologe und Präsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ).

Weniger als die Hälfte sucht Hilfe

Knapp 70 Prozent der Patienten mit Harninkontinenz waren, laut einer österreichischen Befragung, noch nie in ärztlicher Behandlung. Um Betroffenen die Zusammenhänge zu erklären und zu helfen, die eigene Situation besser einschätzen zu können, hat die MKÖ neue Infoblätter zu den Themen Sexualität sowie Verstopfung entwickelt und einen Selbsttest online gestellt, der die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer behandlungswürdigen Inkontinenz sichtbar macht. Betroffene sollen dadurch motiviert werden, ihre Situation professionell abklären zu lassen.

Der Allgemeinmediziner, aber auch Pflegepersonen im Krankenhaus oder der Hauskrankenpflege, nimmt häufig als erster Ansprechpartner eine Schlüsselrolle in der Erkennung einer Inkontinenz ein. Dabei sollten Mitarbeiter der Gesundheitsberufe den ersten Schritt machen und aktiv nach der Kontinenz fragen. Noch passiert dies deutlich zu selten. Um Allgemeinmediziner bei ihrer wichtigen Aufgabe zu unterstützen, stellt die MKÖ den neuen Leitfaden „Inkontinenz: Dia-gnose & Therapie von Blasen- und Darmschwäche“ für die allgemeinmedizinische Praxis zur Verfügung. Er wurde gemeinsam mit der ÖGAM entwickelt und enthält die wichtigsten Informationen zur Diagnose und Therapie von Blasen- und Darmschwäche sowie Hinweise auf MKÖ-zertifizierte, spezialisierte Einrichtungen (Kontinenz- und Beckenbodenzentren) und Fachpersonen in ganz Österreich für die weiterführende Patientenversorgung.

Die schwache Blase des starken Geschlechts

Inkontinenz ist bei Frauen zwar insgesamt häufiger, sie ist jedoch nicht vorrangig ein Frauenleiden, auch wenn dies oft so wahrgenommen wird. Bei Männern ruft die Blasenschwäche nach Prostata-Operationen negative Assoziationen wie ‚Krebsleiden‘ und ‚Impotenz‘ hervor. Dazu reden sie noch weniger oft darüber als Frauen und isolieren sich sozial. Etwa die Hälfte aller Männer wartet bis zu fünf Jahre, bis sie Hilfe suchen. Die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Krankenstände und sinkende Produktivität beeinträchtigen das Berufsleben, soziale Interaktionen wie Reisen und das Privatleben werden verringert. Beziehungen und der Selbstwert leiden.

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Photo: © MKÖ

Größtes Tabu Darmschwäche

Noch dramatischer ist die Situation, wenn unkontrolliert Darminhalt verloren wird. „Wenige Menschen mit Stuhlinkontinenz bitten ihren Arzt um Hilfe. Weil sie sich schämen, weil sie nicht wissen, welcher Arzt der richtige ist und/oder weil sie gar nicht wissen, dass Behandlung möglich ist“, so die Chirurgin mit Spezialgebiet Proktologie und MKÖ-Vorstandsmitglied OÄ Dr. Michaela Lechner. „Doch auch hier kann der Hausarzt gut helfen. Am Beginn muss ein einfühlsames Gespräch stehen, gefolgt von einer körperlichen Untersuchung. Oft ist eine konservative Therapie möglich.“

Quelle: Presseaussendung der MKÖ

Informationen: https://doi.org/www.kontinenzgesellschaft.at/wcw

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