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Medizinische und juristische Beurteilung substanzabhängiger (mutmaßlicher) Täter

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Journal für Rechtspolitik

Zusammenfassung

Nach dem österreichischen Suchtmittelrecht besteht die Möglichkeit, bei (mutmaßlichen) Tätern, die suchtmittelabhängig sind, gesundheitsbezogene Maßnahmen anzuordnen. Eine breite Palette von solchen Maßnahmen, die in allen Stadien des Strafverfahrens mit gesteigerten Voraussetzungen angeboten werden können, ist vorgesehen. Wenn sich der Täter einer solchen Maßnahme unterzieht, wird entweder eine Anzeige, das Strafverfahren oder die Verbüßung der ausgesprochenen Strafe vermieden; Österreich wird so dem internationalen Trend „Therapie statt Strafe“ im Suchtmittelbereich bei abhängigen Personen gerecht.

Die Umsetzung gesundheitsbezogener Maßnahmen in der Praxis wurde erstmals von einem interdisziplinären Team in rechtlicher und medizinischer Hinsicht evaluiert und analysiert. Probleme werden aufgezeigt und mögliche Lösungen präsentiert.

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Abb 1
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Abb 7

Notes

  1. Die rechtlichen und medizinischen Berichte der Studie basieren insbesondere auf einer Literaturrecherche bzw der Rechtsprechung.

  2. Offizielle Daten über das Ausmaß der gesundheitsbezogenen Maßnahmen gibt es nur bedingt in Österreich, nämlich nur hinsichtlich der Diversion durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht sowie zum Vollzugsaufschub (siehe dazu Sicherheitsbericht 2010). Über gesundheitsbezogene Maßnahmen anstatt einer Anzeige stehen keine validen Daten zur Verfügung, obwohl auch dies im SMG verlangt wird (§ 24a Abs 3), da die Erfassung dieser Daten und die Übermittlungspraxis der entsprechenden Behörden und Ärzte sich sehr unterscheidet.

  3. Die Stichprobe umfasst 140 Personen. Die Interviews wurden zwischen März 2010 und Mai 2011 in verschiedenen Einrichtungen in Wien, die „gesundheitsbezogene Maßnahmen“ anbieten, durchgeführt. In stationärer Therapie befindliche Personen wurden im Schweizerhaus Hadersdorf, in ambulanter Therapie befindliche Personen wurden im Verein Pass, im Allgemeinen Krankenhaus Wien, im Institut für Suchtdiagnostik sowie in der Institution Grüner Kreis rekrutiert. Alle Personen wurden am Beginn der Untersuchung ausführlich über die Untersuchung aufgeklärt und haben in das Interview eingewilligt. Einschlusskriterien: Alle volljährigen Personen, die eine gesundheitsbezogene Maßnahme zum Interviewzeitpunkt erhalten haben; Ausschlusskriterium: Minderjährige Personen und Individuen, die zur Zeit der Befragung unter starkem Drogeneinfluss standen, aggressives Verhalten zeigten, nicht teilnehmen wollten oder nicht ausreichend Deutsch sprachen.

  4. Es werden Probleme sowie Schweregrad der Belastung in folgenden Bereichen abgefragt: Körperliche Gesundheit, Arbeit/Unterhalt, Alkohol, Drogen, rechtlicher Bereich, familiärer/sozialer und psychischer Bereich. Neben der subjektiven Selbsteinschätzung des Interviewten wird eine objektive Fremdeinschätzung durch den Interviewer vorgenommen.

  5. Kokkevi ua, European Addiction Severity Index (Europ-Asi) http://www.emcdda.europa.eu/html.cfm/index3647EN.html (alle Internetquellen Stand: 03.08.2011).

  6. Kokkevi/Hartgers, Europe ASI: European adaptation of a multidimensional assessment instrument for drug and alcohol dependence. European Addiction Research, 1995, 208.

  7. Oeberg ua, The Addiction Severity Index – Crime Module, 1998.

  8. Es werden durch diesen Zusatzfragebogen detaillierte Aspekte der Suchterkrankung in Zusammenhang mit vergangener und gegenwärtiger Kriminalität, entsprechende rechtliche Aspekte und das soziale Umfeld erfragt. Auch hier wird wiederum eine subjektive Selbsteinschätzung und eine objektive Fremdeinschätzung vorgenommen.

  9. Die Daten beinhalten vergleichbare Informationen zu den ASI-Daten, wie soziodemographische, medizinische sowie rechtliche Daten. Detaillierte Daten zu verbüßten und gegenwärtigen Haftstrafen sowie zur Opioiderhaltungstherapie sind neben Basisinformationen zu den inhaftierten Personen erhältlich.

  10. Bundesrechenzentrum GmbH, IVV – Integrierte Vollzugsverwaltung 2011.

  11. Hierin werden detaillierte Informationen insbesondere zum Ausspruch der zum Interviewzeitpunkt zu absolvierenden gesundheitsbezogenen Maßnahmen und zu Verurteilungen gestellt.

  12. Stichtag der Abfrage war der 01.04.2011, 2.044 Personen werden von der Statistik erfasst, in Substitution befanden sich 228 Personen.

  13. Diese wurden im August 2011 geführt.

  14. Hier werden etwa bestraft: Erwerb, Besitz, Erzeugung, Beförderung, Einfuhr, Ausfuhr, einem anderen Anbieten, Überlassen oder Verschaffen von Suchtgiften, Anbau von Opiummohn, Kokastrauch oder Cannabispflanze zur Suchtgiftgewinnung, Anbieten, Überlassen, Verschaffen oder zum Zweck des Suchtgiftmissbrauchs Anbauen von psilocin-, psilotin- oder psilocybinhaltigen Pilzen.

  15. „Gewöhnung“ im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn ein Suchtmittel mit Selbstverständlichkeit gebraucht wird oder wenn der Gebrauch oder Genuss des Suchtmittels so sehr zum Bedürfnis geworden ist, dass er nicht oder nur noch mit äußerster Willensanstrengung unterlassen werden kann. Sie kann sich in einem „aktuellen, auf fortgesetzte Einnahme des Suchmittels gerichteten Wunsch[…]“ manifestieren, der dazu führt, dass das Suchtmittel „ohne besonderen Anlass, gewissermaßen mit Selbstverständlichkeit gebraucht wird“, sodass es sich um einen „in regelmäßigen, zeitlich nahe liegenden Abständen vorgenommenen, nicht notwendig täglichen Konsum von Suchtmitteln“ handelt. Siehe dazu etwa 12 Os 8/05a, 12 Os 102/08 d.

  16. Die Freiwilligkeit betreffend ist zu hinterfragen, ob es sich tatsächlich um eine reine Freiwilligkeit handelt, oder doch ein gewisser Zwang, sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen, durch die Gefahr einer Anzeige und eines Strafverfahrens gegeben ist.

  17. Beispiele zu den jeweiligen gesundheitsbezogenen Maßnahmen sind angeführt beiLitzka/Matzka/Zeder, Kurzkommentar zum Suchtmittelgesetz², 2009, § 11 RZ 15.

  18. Siehe §§ 11 Abs 3 und 15 SMG.

  19. Siehe zur Auslegung die Kommentare zu § 11 inLitzka/Matzka/Zeder (FN 17) undBirklbauer/Keplinger, Praxiskommentar zum Suchtmittelgesetz², 2008.

  20. Es müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: Die Tat wurde zum eigenen persönlichen Gebrauch bzw persönlichen Gebrauch eines anderen begangen, ohne dass der Beschuldigte einen Vorteil daraus gezogen hat, die Tat nicht in die Zuständigkeit des Schöffen oder Geschworenengerichts fällt, die Schuld nicht als schwer anzusehen wäre und der Berücksichtigung spezialpräventiver Aspekte.

  21. Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen: Straftat steht im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln, die verhängte Freiheitsstrafe übersteigt drei Jahre nicht, und der Verurteilte ist an ein Suchtmittel gewöhnt und stimmt zu, sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen. Bei Strafen, die 18 Monate übersteigen, darf der Täter zudem nicht auf Grund seiner Gefährlichkeit eingesperrt werden müssen.

  22. Die nachträglich bedingte Strafnachsicht ist ebenfalls im SMG vorgesehen (§ 40 SMG), hat jedoch in der Studie keine Rolle gespielt.

  23. Vgl RV 110 S 38.

  24. Schaub ua, Predictors of Retention in the ‚Voluntary‘ and ‚Quasi-Compulsory‘ Treatment of Substance Dependence in Europe. Eur Addict Res, 2009, 53 (54).

  25. Siehe § 35 Abs 1 deutsches Betäubungsmittelgesetz.

  26. Diese Änderung erfolgte durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 110/2011.

  27. Unter der Grenzmenge versteht das Gesetz die Menge, „die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen“ (§§ 28b und 31b SMG). Dabei wird bei Suchtgiften von der Reinsubstanz der Wirkstoffe ausgegangen, und bei Suchtgiften als auch psychotropen Stoffen „auf die Eignung […], Gewöhnung hervorzurufen, sowie auf das Gewöhnungsverhalten von an einer solchen Sucht Erkrankten“ (§ 28b SMG) Bedacht genommen (§§ 28b und 31b SMG). Die Grenzmenge für die in Cannabis enthaltene Variante von Tetrahydracannabinol liegt beispielsweise bei 20 Gramm (siehe dazu die Suchtgift-Grenzmengenverordnung, BGBl II 377/1997 idF 174/2009).

  28. WHO/UNODC/UNAIDS (Hrsg), Position paper 2004– Substitution maintenance therapy in the management of opioid dependence and HIV/AIDS prevention, http://www.who.int.

  29. Fischer/Kayer, Substanzabhängigkeit vom Morphintyp – State-of-the-Art der Erhaltungstherapie mit synthetischen Opioiden, Psychiatrie und Psychotherapie 2006, 13.

  30. Haltmayer/Rechberger/Skriboth/Springer/Werner, Konsensus-Statement „Substitutionsgestützte Behandlung Opioidabhängiger“, Suchtmed 2009, 281.

  31. Österreichisches Parlament (Hrsg), Parlamentskorrespondenz Nr 679 v 30.06.2011 http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2011/PK0679/.

  32. § 11 SMG.

  33. Köchl/Jagsch, Therapie statt Strafe, 2009, 34.

  34. § 15 SMG legt die Qualitätsstandards für Einrichtungen fest.

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Correspondence to Karin Bruckmüller.

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Unter Mitarbeit von Mag.Daniel Bauer undKatrin Forstner. Personenbezogene Bezeichnungen beziehen sich zur besseren Lesbarkeit des Textes auf Frauen und Männer in gleicher Weise.

Die vorliegende Studie wurde vom Jubiläumsfond der Österreichischen Nationalbank gefördert.

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Bruckmüller, K., Köchl, B., Fischer, G. et al. Medizinische und juristische Beurteilung substanzabhängiger (mutmaßlicher) Täter. Journal für Rechtspolitik 19, 267–278 (2011). https://doi.org/10.1007/s00730-011-0027-y

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