1 Einleitung

Durch die Elektrifizierung des Individualverkehrs werden große Stückzahlen elektrischer Niederspannungsmaschinen benötigt. Eine wirtschaftliche Fertigung kann durch einen hohen Automatisierungsgrad gewährleistet werden. Dieser kann bei Maschinen mit Steckwicklungen (oder Hairpin-Wicklungen) realisiert werden. Um Produktionskosten zu senken, wird dabei eine Verbesserung bestehender Fertigungsprozesse angestrebt [1, 2]. Um schnell ladende Fahrzeuge mit hohen Leistungen realisieren zu können, werden hohe Zwischenkreisspannungen benötigt. Gleichzeitig werden vermehrt Umrichter mit hohen Spannungsanstiegsgeschwindigkeiten \(\mathrm{d}u/ \mathrm{d}t\) eingesetzt, was zu ausgeprägten Überschwingvorgängen führen kann. Beides stellt eine besondere Belastung des Isolierstoffsystems dar und kann zu Teilentladungen und damit zu einer drastischen Verkürzung der Lebensdauer des Wicklungssystems führen [3]. Im Gegensatz zu Statoren mit einer verteilten Runddrahtwicklung, ist bei Statoren mit Steckwicklungen die Position jedes einzelnen Leiters in der Nut bekannt. Dies ermöglicht eine gezielte Auslegung der Windungsisolierung, indem die Isolierschichtdicken an die Spannung zwischen zwei benachbarten Leitern angepasst werden. Diese Spannung ist allerdings nicht an jeder Position des Stators messtechnisch zugänglich. Aus diesem Grund werden transiente Modelle der Wicklung benötigt. Das Verhalten elektrischer Leitungen kann durch die Telegraphengleichung beschrieben werden. Diese lässt sich ebenfalls durch eine Verkettung unendlich vieler Ersatzschaltungen ausdrücken (vgl. Abb. 1). In der Wicklung einer elektrischen Maschine treten neben nichtlinearem Materialverhalten auch Kopplungseffekte auf, die durch die Telegraphengleichung nicht erfasst werden. Eine Möglichkeit, das transiente Verhalten der Wicklung zu modellieren, ist es, modifizierte verkettete Ersatzschaltbilder zu nutzen, die Nichtlinearitäten und Kopplungen in einem bestimmten Frequenzbereich abbilden können [4, 5, 10]. Die konzentrierten Parameter der Modelle lassen sich entweder durch Messungen oder durch elektromagnetische Finite-Elemente-Simulationen (FES) bestimmen [6, 7]. Im Rahmen dieses Artikels wird ein Hairpin-Stator mit der in [8] vorgestellten Methode modelliert. Ein weiteres transientes Wicklungmodell ist durch die Lösung der Telegraphengleichung im Frequenzbereich gegeben.

Abb. 1.
figure 1

Ersatzschaltbild zur Modellierung des Hochfrequenzverhaltens einer Leitung

2 Versuchsaufbau

In dieser Veröffentlichung wird die Ausbreitung der Spannung anhand der Statorwicklung eines Lenkmotors untersucht. Die Wicklung des Stators wird dabei dreisträngig kurzgeschlossen und mit einer H-Brücke verbunden (vgl. Abb. 2). Es befindet sich kein Rotor innerhalb der Statorbohrung.

Abb. 2.
figure 2

Verschaltung des Stators

Die Schaltung versorgt den Prüfling mit einer bipolaren Pulsspannung. Ein idealisierter Spannungsanstieg ist in Abb. 3 dargestellt. Die Spannungsanstiegszeit \(t_{\mathrm{r}}\) bezeichnet dabei die Spanne zwischen den Zeitpunkten, an denen 10 % und 90 % des Spannungsanstieges abgeschlossen sind. Bei der hier vorgenommenen Modellierung wird der idealisierte Spannungsanstieg durch die Fehlerfunktion beschrieben.

Abb. 3.
figure 3

Idealisierter Spannungsanstieg

Bedingt durch Induktivitäts- und Kapazitätsbeläge der Wicklung sowie der Leitungen provoziert dabei jeder Schaltvorgang ein Überschwingen. Mit Hilfe eines Oszilloskops mit mehren Kanälen kann der Spannungsverlauf zwischen den Eingangsklemmen und dem geerdeten Stator als Referenzsignal gemessen werden. Mit einem zweiten Messkanal wird die Spannung zwischen jedem der Schweißpunkte der Wicklung und dem geerdeten Stator gemessen. Mit Hilfe des Referenzsignals kann dann die Spannung zwischen zwei beliebigen Leitern durch Subtraktion berechnet werden. Der Messaufbau ist in Abb. 4 gegeben. Die Zwischenkreisspannung bei den hier durchgeführten Versuchen beträgt \(U_{\text{dc}} = {20}\) V. Die Daten des Stators können Tab. 1 entnommen werden.

Abb. 4.
figure 4

Messaufbau

Tab. 1. Kapazitäten des Whitebox-Modells

Bei der Modellbildung wird der Spannungsverlauf entlang der Wicklung betrachtet. Der im Folgenden verwendete Ausdruck Windungsnummer bezeichnet dementsprechend die elektrische Position der betrachteten Windung. Eine Aussage darüber, in welchen Nuten die entsprechende Windung platziert ist, ist mit Hilfe des in Abb. 5 gegebenen Wickelschemas möglich. Da die Wicklung symmetrisch ist und immer der Spannungsverlauf von den Klemmen von Strang A zu den Klemmen von Strang B betrachtet wird, ist Strang C in der Abbildung ausgegraut.

Abb. 5.
figure 5

Windungsnummern (obere Zeile) und zugehörige Nutpositionen (untere zwei Zeilen)

3 Modellierung

In diesem Abschnitt werden zwei verschiedene Modelle zur Berechnung der transienten Spannung vorgestellt. Das Lumped-Parameter-Modell wird dabei ausschließlich mit Hilfe der Daten aus einer FE-Simulation parametriert und beschreibt darum ein Whitebox-Modell. Bei der Anwendung der Telegraphengleichung im Frequenzbereich werden sowohl Messdaten, als auch Geometriedaten der Wicklung verwendet. Darum handelt es sich hierbei um eine Greybox-Modell.

3.1 Whitebox-Modell

Das Ersatzschaltbild, mit welchem das transiente Verhalten der Maschine abgebildet wird, besteht aus zwei verschiedenen Gruppen. Eine Gruppe stellt dabei den Wickelkopf dar, die andere den Teil der Wicklung, welcher in der Nut verläuft. Die hier modellierte Maschine beinhaltet pro Nut zwei Leiter, die aufgrund der Sehnung immer zu zwei verschiedenen Strängen gehören. Ströme und Spannungen innerhalb der Leiter werden durch kapazitive und induktive Kopplung voneinander beeinflusst. Dies wird im Ersatzschaltbild durch die Kapazität \(C_{\mathrm{tt}}\) und die Koppelinduktivität \(M\) berücksichtigt (siehe Abb. 6(a)). Um die Frequenzabhängigkeit von Widerstand und Induktivitäten abzubilden, wird eine sogenannte LR-Ladder verwendet. Der Wickelkopf wird durch das in Abb. 6(b) dargestellte Ersatzschaltbild modelliert.

Abb. 6.
figure 6

Ersatzschaltbilder zur Modellierung des Hochfrequenzverhaltens der Wicklung

In Abb. 7(a) ist die Leiteranordnung in zwei benachbarten Nuten schematisch dargestellt. Der helle Leiter liegt dabei im Nutgrund, der dunkle an der Nutöffnung. Da die Leiter aus der jeweiligen Lage im Wickelkopf direkt nebeneinander verlaufen, ist auch hier eine kapazitive Kopplung vorhanden. Dies wird in der in Abb. 7(b) abgebildeten Verschaltung von Nuten und Wickelköpfen zum gesamten Statormodell deutlich.

Abb. 7.
figure 7

Ersatzschaltbilder zur Modellierung des Hochfrequenzverhaltens der Wicklung

Aus numerischen Gründen wird mit Hilfe einer Stern-Polygon-Transformation (siehe [9]) die kapazitive Kopplung zwischen benachbarten Leitern im Wickelkopf auf den geerdeten Stator bezogen und zur Kapazität \(C_{\mathrm{end,0}}\) hinzuaddiert. Die Parametrierung des Modells erfolgt mit Hilfe einer elektrostatischen und einer magnetischen FE-Simulation. Mit der elektrostatischen Simulation werden die kapazitiven Kopplungen in der Nut und im Wickelkopf erfasst. Für die betrachtete Maschine ergeben sich die numerischen Werte aus Tab. 2.

Tab. 2. Kapazitäten des Whitebox-Modells

Die magnetische FE-Simulation wird zur Parametrierung der LR-Ladder verwendet. Dazu wird die Simulation bei 40 verschiedenen, logarithmisch verteilten Frequenzen im Bereich von \(f={1}~{\mathrm{kHz}}\) bis \(f={100}~{\mathrm{MHz}}\) durchgeführt. Mit Hilfe eines Parameterfittings werden Induktivitäten und Kapazitäten einer LR-Ladder mit vier Elementen so angepasst, dass sie den Impedanzverlauf der Simulation wiedergeben kann. In Abb. 8 sind simulierte und durch die LR-Ladder beschriebenen Impedanzen aufgetragen.

Abb. 8.
figure 8

Durch FE-Simulation und durch LR-Ladder wiedergegebener (a) Realteil und (b) Imaginärteil der Impedanz

Die identifizierten Parameter sind in Tab. 3 aufgelistet.

Tab. 3. Parameter der LR-Ladder

3.2 Greybox-Modell

Die Modellierung der zeit- und ortsabhängigen Spannungen \(u(x,t)\) und Ströme \(i(x,t)\) im Frequenzbereich basiert auf der Telegraphengleichung:

$$ \begin{aligned} \frac{\partial }{\partial x} u(x,t) &=-L' \frac{\partial }{\partial t}i(x,t)-R'i(x,t) \\ \frac{\partial }{\partial x} i(x,t) &=-C'\frac{\partial }{\partial t}u(x,t)-G'u(x,t) \, . \end{aligned} $$
(1)

Dabei beschreiben \(L'\) und \(C'\) Induktivitäts- und Kapazitätsbeläge und \(R'\) und \(G'\) Widerstands- und Leitwertbeläge. Die Zeitabhängigkeit in der Telegraphengleichung wird dabei eliminiert, indem rein sinusförmige Spannungen betrachtet werden. Gleichung (1) kann dann entsprechend zu

$$ \begin{aligned} \underline{U}(x) &=\underline{U}_{\mathrm{h0}} \mathrm{e}^{- \underline{\gamma } x}\ + \underline{U}_{\mathrm{r0}} \mathrm{e}^{+ \underline{\gamma } x} \\ \underline{I}(x) &=\frac{\underline{U}_{\mathrm{h0}}}{\underline{Z}} \mathrm{e}^{-\underline{\gamma } x}\ - \frac{\underline{U}_{\mathrm{r0}}}{\underline{Z}} \mathrm{e}^{+ \underline{\gamma } x} \end{aligned} $$
(2)

vereinfacht werden. Dabei ist \(\underline{Z}\) der komplexe Wellenwiderstand und \(\underline{\gamma }\) die komplexe Ausbreitungskonstante

$$ \underline{\gamma }=\alpha +\mathrm{j}\beta \, . $$
(3)

\(\alpha \) beschreibt dabei den dissipativen Anteil der Ausbreitungskonstante und \(\beta \) die Phasenverschiebung. \(\alpha \) und \(\beta \) werden dabei von den Leitungsparametern bestimmt:

$$\begin{aligned} &\alpha ^{2} = (R'G'-\omega ^{2} L'C')+(\omega L'G'-\omega C'R')^{2} \, , \end{aligned}$$
(4)
$$\begin{aligned} &\arctan (\beta ) = \frac{\omega L'G'+\omega C'R'}{R'G'-\omega ^{2} L'C'} \, . \end{aligned}$$
(5)

Mit Hilfe einer Fourier-Transformation kann die dominante Frequenz, welche durch den Spannungssprung an den Eingangsklemmen angeregt wird, identifiziert werden. Die Ausbreitungskonstante lässt sich durch Messung des Eingangssignals und eines weiteren Signals bestimmen.

Wird eine Welle betrachtet, die von den Klemmen eines Stranges zu den Klemmen der anderen beiden Stränge läuft, passiert diese den Sternpunkt. An dieser Stelle halbiert sich die Impedanz der Wicklung, was zu einem Reflexionsvorgang führt. Für den Transmissionskoeffizienten \(\underline{T}_{\mathrm{SP}}\) und den Reflexionskoeffizienten \(\underline{\Gamma }_{\mathrm{SP}}\) gilt am Sternpunkt

$$ \underline{T}_{\mathrm{SP}} = -2\cdot \underline{\Gamma }_{\mathrm{SP}} \, . $$
(6)

Wird jedoch dieselbe Eingangsspannung gleichzeitig auf alle drei Stränge gegeben, muss die Diskontinuität am Sternpunkt aufgrund der Symmetrie nicht betrachtet werden, da sich die Spannungen aller drei Stränge überlagern. Der Refelexionsvorgang an einer Leitung, bei der einseitig eine Spannungswelle einläuft, ist schematisch in Abb. 9 dargestellt. Der Eingang der Leitung ist als Klemme 1 gekennzeichnet. Die Welle wird mit der Ausbreitungskonstante \(\underline{\gamma }\) gedämpft und an der Klemme 2 mit dem Reflexionskoeffizienten \(\underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}\) reflektiert. Daraufhin läuft die Welle zurück zur Klemme 1, wo sie wiederum mit dem Reflexionskoeffizienten \(\underline{\Gamma }_{\mathrm{1}}\) reflektiert wird. Die hin- und rücklaufenden Wellen überlagern sich dabei. Die resultierende Spannung an der Position \(x\) lässt sich wie folgt darstellen:

$$ \begin{aligned} &\underline{U}_{\mathrm{singleLine}}(x) = \\ &=\underline{U}_{\mathrm{in}}\left (\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } x}+ \mathrm{e}^{-\underline{\gamma } (d-x)}\mathrm{e}^{- \underline{\gamma } d}\underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}\right ) \cdot \sum _{k=0}^{\infty }\left (\underline{\Gamma }_{\mathrm{1}} \underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}\mathrm{e}^{-2\underline{\gamma } d} \right )^{k} = \\ &=\underline{U}_{\mathrm{in}} \frac{\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } x}+\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d}\mathrm{e}^{-\underline{\gamma }(d-x)}\underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}}{1-\underline{\Gamma }_{\mathrm{1}}\underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}\mathrm{e}^{-2\underline{\gamma } d}} \, . \end{aligned} $$
(7)
Abb. 9.
figure 9

Schematische Darstellung des Reflexionsvorganges an einer einfachen Leitung

Bei dem verwendeten Messaufbau sind alle drei Klemmen des Stators mit demselben Potential verbunden. Darum muss eine beidseitig einlaufende Spannungswelle betrachtet werden. Die Reflexionskoeffizienten sind an allen Klemmen gleich. Darum gilt:

$$ \underline{\Gamma }_{\mathrm{1}}=\underline{\Gamma }_{\mathrm{2}}= \underline{\Gamma }_{\mathrm{t}} \, . $$
(8)

Unter dieser Voraussetzung gilt für die Spannung \(\underline{U}\) an der Position \(x\):

$$ \underline{U}(x) = \underline{U}_{\mathrm{in}} \frac{\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } x}+\mathrm{e}^{-\underline{\gamma }(d-x)}+\underline{\Gamma }_{\mathrm{t}}\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d}\left (\mathrm{e}^{\underline{\gamma } x}+\mathrm{e}^{\underline{\gamma }(d-x)}\right )}{1-\underline{\Gamma }_{\mathrm{t}}^{2} \mathrm{e}^{-2\underline{\gamma } d}} \, . $$
(9)

Im Allgemeinen sind Ausbreitungkonstante \(\underline{\gamma }\) und Reflexionskonstante \(\underline{\Gamma _{\mathrm{t}}}\) frequenzabhängig. Um mit Hilfe der Wellentheorie die Spannungsverteilung in einem Stator betrachten zu können, wird die Modellierung der Spannungsverteilung zunächst auf eine dominante Frequenz reduziert. Hierzu muss die Spannung zwischen den Eingangsklemmen und dem geerdeten Stator, sowie zwischen Sternpunkt und Stator gemessen werden. Von der gemessenen Spannung wird dann ein idealer Spannungspuls subtrahiert. Da die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Spannung endlich ist, muss eine Totzeit zwischen Klemmen und Sternpunkt berücksichtigt werden (vgl. Abb. 10).

Abb. 10.
figure 10

Totzeit zwischen Spannungssprung an den Eingangsklemmen und am Sternpunkt

Das resultierende Signal wird Fourier-transformiert. In Abb. 11 ist zu erkennen, dass die Maxima der Amplituden aller Windungen in einem schmalen Frequenzband liegen. Im Folgenden wird die Frequenz, an welcher das Maximum auftritt, als dominante Frequenz bezeichnet. Mit Hilfe der Messdaten von Eingangsklemmen und Sternpunkt, kann nun Gl. (9) parametriert werden. Dabei gilt an den Klemmen:

$$ \underline{U}(0) =\underline{U}(d)=\underline{U}_{\mathrm{in}} \frac{1+\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d}}{1-\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d}\underline{\Gamma }_{\mathrm{t}}} \, . $$
(10)

Die Spannung am Sternpunkt beträgt:

$$ \underline{U}(d/2) =\underline{U}_{\mathrm{in}} \frac{2\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d/2}}{1-\mathrm{e}^{-\underline{\gamma } d}\underline{\Gamma }_{\mathrm{t}}} \, . $$
(11)
Abb. 11.
figure 11

Spektrum der Spannung in jeder Nut nach Subtraktion eines idealisierten Sprunges

In Abb. 12 werden die gemessene und die mit Gl. (9) bestimmte Amplitude miteinander verglichen. Die Stützpunkte zur Parametrierung der Gleichung (Sternpunkt und Klemmen) sind mit einem Kreis gekennzeichnet.

Abb. 12.
figure 12

Gemessene und berechnete Amplitude

Die Modellierung der Spannung basiert ausschließlich auf den Messdaten von Sternpunkt und Maschinenklemmen. Zunächst wird ein idealisierter Sprung von den Messdaten abgezogen. Das verbleibende Signal wird Fourier-transformiert und die dominante Frequenz wird identifiziert. Für diese Frequenz wird Gl. (9) parametriert, mit deren Hilfe nun für die dominante Kreisfrequenz \(\omega ^{*}\) Amplitude und Phasenverschiebung der Spannung an jeder Position der Wicklung berechnet werden können. Der Spannungsverlauf für eine festgelegte Position wird bestimmt, indem zunächst die komplexen Faktoren \(\underline{k}_{\mathrm{1}}\) und \(\underline{k}_{\mathrm{2}}\) berechnet werden. Diese entsprechen den Quotienten aus der Spannung an der betrachteten Position \(\underline{U}(x^{*}, \mathrm{j}\omega ^{*})\) und der Sternpunktspannung \(\underline{U}(d/2, \mathrm{j}\omega ^{*})\) beziehungsweise der Klemmenspannung \(\underline{U}(0,\mathrm{j}\omega ^{*})=\underline{U}(d,\mathrm{j} \omega ^{*})\):

$$\begin{aligned} \underline{k}_{\mathrm{1}} &= \frac{\underline{U}(x^{*},\mathrm{j}\omega ^{*})}{\underline{U}(d/2,\mathrm{j}\omega ^{*})} \, , \end{aligned}$$
(12)
$$\begin{aligned} \underline{k}_{\mathrm{2}} &= \frac{\underline{U}(x^{*},\mathrm{j}\omega ^{*})}{\underline{U}(0,\mathrm{j}\omega ^{*})} \, . \end{aligned}$$
(13)

Anschließend werden die Spektren aus der Messung an den Klemmen und am Sternpunkt abhängig von ihrer Postion \(x^{*}\) mit den Faktoren \(\underline{k}_{\mathrm{1}}\) beziehungsweise \(\underline{k}_{\mathrm{2}}\) skaliert:

$$ \begin{aligned} \underline{U}(x^{*},\mathrm{j}\omega ) =& \left (1- \left |\frac{x^{*}-d/2}{d/2}\right |\right )\underline{k}_{\mathrm{1}} \underline{U}(d/2,\mathrm{j}\omega ) \\ &+\left |\frac{x^{*}-d/2}{d/2}\right | \underline{k}_{\mathrm{2}} \underline{U}(0,\mathrm{j}\omega ) \, . \end{aligned} $$
(14)

Der Zeitverlauf der Spannung ist durch inverse Fourier-Transformation und Addition des idealisierten Spannungssprungs gegeben. Das Verfahren wird durch Abb. 13 veranschaulicht. Die Bezeichnungen der verwendeten Spannungen sind durch Tab. 4 gegeben.

Abb. 13.
figure 13

Verfahren zur Anwendung des Greybox-Modells

Tab. 4. Bezeichnungen der Größen des Greybox-Modells

4 Mess- und Simulationsergebnisse

In diesem Kapitel werden die Simulationsergebnisse, die mit den zuvor vorgestellten Methoden erzielt werden, vorgestellt und mit den Messergebnissen verglichen.

4.1 Lumped-Parameter-Modell

In Abb. 14 ist der zeitliche Verlauf der gemessenen und mit dem Whitebox-Modell simulierten Spannung dargestellt. Dabei werden der Scheitelwert und die Frequenz der Spannung unterschätzt. Dies wird insbesondere am Sternpunkt deutlich.

Abb. 14.
figure 14

Mess- und Simulationsergebnisse des Lumped-Parameter-Modells

Gemessene und berechnete Scheitelwerte der Spannungen in zwei Strängen sind in Abb. 15 dargestellt. Da es sich um eine symmetrische Wicklung handelt, sind die gemessenen und simulierten Spannungen nahezu symmetrisch zum Sternpunkt. Der Scheitelwert wird für jede Windung unterschätzt. Die Differenz zwischen simulierter und gemessener Spannung nimmt mit der Nähe zum Sternpunkt zu.

Abb. 15.
figure 15

Gemessene und mit dem Whitebox-Modell berechnete Amplitude der Spannung

4.2 Analyse im Frequenzbereich

Gemessene und modellierte Spannung stimmen beim Greybox-Modell am Sternpunkt beziehungsweise an den Klemmen miteinander überein. Die Abweichung zwischen gemessener und simulierter Spannung ist darum bei Windungen, die in unmittelbarer Nähe zum Sternpunkt oder zu den Klemmen liegen besonders gering (vgl. Abb. 16(a)). Die größte Abweichung zwischen Messung und Simulation tritt in Windung 21 auf (vgl. Abb. 16(b)). Insbesondere die Frequenz der angeregten Schwingung und die Spannungsanstiegsgeschwindigkeit \(\mathrm{d}u/\mathrm{d}t\) werden deutlich genauer abgebildet als vom Whitebox-Modell.

Abb. 16.
figure 16

Mess und Simulationsergebnisse der Modellierung im Frequenzbereich

In Abb. 17 sind gemessener und berechneter Scheitelwert der Spannung für jede Windung entlang der Wicklung abgebildet. Die Differenz zwischen gemessener und berechneter Maximalspannung ist in der Mitte des jeweiligen Stranges am größten.

Abb. 17.
figure 17

Gemessene und mit dem Greybox-Modell berechnete Amplitude der Phase-Erde Spannung

4.3 Spannungsfall innerhalb einer Nut

Mit Hilfe der Modellierung der Spannungsverteilung soll vorhergesagt werden, wie groß der Spannungsfall über der Isolierung ist. Studien zum Vergleich der Teilentladungseinsetzspannungen von Windungsisolierung und Nutgrundisolierung zeigen, dass Teilentladungen im Falle der Windungsisolierung schon bei deutlich geringeren Spannungen auftreten [11]. Darum ist es zur Auslegung des Isolierstoffsystems notwendig, den Spannungsfall über der Windungsisolierung vorhersagen zu können. Bei der hier untersuchten elektrischen Maschine liegen Leiter verschiedener Stränge in einer Nut, ohne von einem Phasentrenner separiert zu werden. Der größte auftretende Spannungsfall ist in Abb. 18 abgebildet. Es ist zu erkennen, dass der gemessene Spannungsfall deutlich höher ist, als durch das Whitebox-Modell prädiziert wird. Die Abweichung zwischen gemessenem und durch das Greybox-Modell prädizierten Spannungsfall ist deutlich geringer.

Abb. 18.
figure 18

Spannungsfall über der Windungsisolierung

5 Schlussfolgerung

In diesem Artikel werden zwei Modelle zur Abbildung des transienten Spannungsverlaufs innerhalb der Statorwicklung untersucht. Das Whitebox-Modell kann bereits in der Entwurfsphase der Maschine erstellt werden, da ausschließlich Geometrie- und Materialdaten zur Parametrierung benötigt werden. Für das Greybox-Modell werden Messdaten von den Maschinenklemmen und dem im Allgemeinen nicht zugänglichen Sternpunkt benötigt. Das Greybox-Modell kann die transiente Spannung in der Maschine genauer prädizieren. Der Scheitelwert der Strang-Erde-Spannung wird vom Greybox-Modell mit einem maximalen Fehler von 4% vorhergesagt, während der maximale Fehler des Whitebox-Modells 15% beträgt. Das Greybox-Modell bildet auch Spannungsanstiegsgeschwindigkeit \(\mathrm{d}u/ \mathrm{d}t\) und angeregte Frequenz besser ab. Darum eignet es sich auch dafür, den Spannungsfall über der Windungsisolierung zu prädizieren. Die Qualität des Whitebox-Modells wird im Wesentlich durch die vorhandenen Geometrie- und Materialdaten bestimmt. Insbesondere Daten zur komplexen Permittivität der Isolierung sowie zur Permeabilität und zu den Verlustparametern des weichmagnetischen Materials müssen über einen großen Frequenzbereich verfügbar sein. Die hier vorgestellten Messungen und Modellierungen werden an einem Stator, der von einer H-Brücke gespeist wird, durchgeführt. Bei der Übertragung der Modelle auf einen kompletten Antriebsstrang müssen die höhere Induktivität, die durch den Rotor verursacht wird, sowie das Schaltmuster des Umrichters berücksichtigt werden.